Freudige Gesichter, glückliche Familien – dieses Bild von Weihnachten haben einige Menschen im Kopf. Doch manchmal kommt an den Feiertagen keine Feststimmung auf. Was dann?
Der Tod eines geliebten Menschen, eine Trennung, Krankheit oder auch Streit in der Familie: Es gibt viele Gründe, warum es schwerfällt, in Weihnachtsstimmung zu kommen. Auch das Gefühl von Einsamkeit kann dann besonders groß sein, wenn sich überall Menschen zum Feiern treffen. Und vielleicht belasten finanzielle Nöte schwerer als sonst.
„Das Weihnachtsfest ist hoch emotionalisiert und aufgebauscht als Familienfest„, sagt Heike Schneidereit-Mauth. Sie ist evangelische Pfarrerin und leitet die Seelsorge im Kirchenkreis Düsseldorf. „Dann fällt es natürlich besonders auf, wenn es bei einem selbst nicht besonders rund läuft.“
Nicht nur nach oben vergleichen
Alle freuen sich auf Weihnachten und genießen das Fest – nur man selbst nicht? „Der Eindruck täuscht“, sagt die Theologin, die auch als Therapeutin und Coach arbeitet.
Tatsächlich erlebe sie, dass der Seelsorge-Bedarf rund um die Feiertage zunimmt. Das weiß sie aus dem Krankenhaus und dem Gefängnis. Aber auch von den vermeintlich glücklichen Familien im Reihenhaus. „Diejenigen, die sich völlig unbeschwert auf die Weihnachtsfeiertage freuen, sind meinem Eindruck nach in der Minderheit“, sagt Heike Schneidereit-Mauth.
Das bestätigt auch die Hamburger Psychologin Elke Overdick. „Zur Realität gehört sicherlich, dass es glücklichere Menschen als mich gibt. Aber wenn ich mich schon vergleiche, dann sollte ich es in beide Richtungen tun.“
Statt sich zu vergleichen, empfiehlt Overdick, die eigene Perspektive zu ändern. Das bedeute, auch in einer schwierigen Situation zu schauen, wofür man dankbar ist. „Das ist als Rat ausgelutscht, aber trotzdem wirksam. Wenn mir etwas einfällt, wofür ich dankbar sein kann, finde ich in meinem Inneren ein Stück Ruhe“, sagt Overdick.
Allen Gefühlen Platz geben
Was aber auch wichtig ist: Die eigenen Ansprüche an die Festtage zu prüfen – und vielleicht auch die der anderen. „Ich muss nicht fröhlich sein. Ich muss gar nichts. Ich darf auch an Weihnachten traurig und deprimiert sein oder mich einsam fühlen“, sagt Elke Overdick. Auch Pfarrerin Schneidereit-Mauth rät, die schweren Gefühle nicht zu verdrängen, sondern ihnen einen Platz zu geben.
Dabei können Hilfsangebote wie zum Beispiel die Telefonseelsorge unterstützen. „Manchmal ist es hilfreich, über Dinge im Vertrauen sprechen zu können“, sagt Heike Schneidereit-Mauth. „Oft geht es bei Traurigkeit und Schmerz auch um ambivalente Gefühle, die man mit einer unbekannten Person vielleicht leichter besprechen kann als mit jemandem aus dem eigenen Umfeld.“
Aber auch dort kann man über seine Gefühle sprechen. „Wenn ich zum Beispiel meine Partnerin oder meinen Partner verloren habe und deshalb woanders mitfeiere, kann ich ansprechen, dass dieser Mensch mir fehlt“, sagt Schneidereit-Mauth. Das gebe auch den anderen die Möglichkeit, mit dem Thema umzugehen.
Danach habe vielleicht auch wieder Fröhlichkeit ihren Platz. „Dafür Raum zu schaffen gelingt aber nur, wenn ich meine Gefühle wertschätze und nicht so tue, als wäre alles einfach.“
„Muss mir Dinge nicht geben, wenn ich weiß, dass sie mir nicht guttun„
Doch vielleicht verbringt man das Weihnachtsfest auch mit Menschen, denen man sich nicht öffnen möchte oder kann. „In dem Fall kann ich mich auch vor einer solchen Feier nochmal mit einem nahen Menschen besprechen oder mir Zeit zum Weinen nehmen“, sagt Schneidereit-Mauth. Danach fällt es meist leichter, mit anderen zu feiern.
Und die Option, gar nicht erst hinzugehen? Das ist nach Einschätzung von Elke Overdick meistens nicht der beste Weg. „Natürlich muss ich mir Dinge nicht geben, wenn ich weiß, dass sie mir nicht guttun„, sagt die Psychologin. Grundsätzlich rät sie aber von der Vermeidungstaktik ab. „Gerade wenn es mir nicht gut geht, kann es guttun, wenn ich mich unter Leute begebe. Auch dann wenn ich mich dazu erstmal aufraffen muss.“
Für sich selbst sorgen
Gleichzeitig sieht Overdick in den Tagen von Weihnachten bis Neujahr auch eine besondere Chance. „Die Welt hält einmal kurz inne.“ Ein guter Zeitpunkt, eine Jahresbilanz zu ziehen, findet die Psychologin. Gerade wenn vieles negativ war, kann man sich auch das Gute noch einmal vor Augen führen.
„Man sollte in sich spüren und sich fragen, was einem guttun könnte“, sagt Overdick. Es gibt viele Konzerte, mehr Gottesdienste finden statt. Man hat aber auch Zeit, endlich in eine Kunstausstellung zu gehen oder setzt sich in ein Café. „Ich kann die Zeit aber auch ganz für mich nutzen – das Fernsehprogramm an Weihnachten ist meist supergut. Oder ich klebe zu schöner Musik endlich einmal Fotos ein“, sagt Overdick.
Wer dagegen nicht allein feiern möchte, muss meist selbst aktiv werden. „Statt darauf zu warten, dass mich jemand einlädt, kann ich selbst aktiv werden und beispielsweise Menschen einladen, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich„, sagt auch Elke Overdick.
Auch ehrenamtliche Helfer:innen sind an den Feiertagen gefragt. Ob bei der Essensausgabe für Wohnungslose, der Bahnhofsmission oder der Nachbarschaftshilfe. „Oft hilft es einem selbst ja auch, wenn man anderen eine Freude macht. Und wenn ich einfach nur meiner alten Nachbarin ein paar selbst gebackene Kekse vor die Tür stelle.“
Hinweis: Wer sich psychisch belastet fühlt, kann etwa bei der Telefonseelsorge Hilfe finden: Unter der Telefonnummer 0800/1110111 oder 0800/1110222. Alternativ gibt es das Chat-Angebot unter: online.telefonseelsorge.de
Hinweis: Der Artikel erschien erstmals 2022.
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