Biopiraterie ist, wenn Firmen Pflanzen, Tiere oder anderes und traditionelles Wissen aus fernen Ländern nehmen, um Profite zu machen, ohne diese Länder daran zu beteiligen. Damit soll Schluss sein.
Viele Medikamente, Kosmetik und andere Produkte beruhen auf den genialen Kräften der Natur. Indigene Völker nutzen solche Heilkräfte oft seit Jahrtausenden – wenn Wissenschaft und Pharmafirmen sie aber entdecken, weiterentwickeln, sich patentieren lassen und vermarkten, gehen sie leer aus. Deshalb soll nach mehr als 20 Jahren Reden in Genf jetzt ein internationaler Vertrag über Patentrechte an genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen verabschiedet werden.
Firmen müssten laut Vertragsentwurf bei Patentanmeldungen künftig angeben, woher ihr Material stammte. Herkunftsländer können dann prüfen, ob dafür alle Genehmigungen eingeholt und die nötigen Beteiligungsverträge abgeschlossen wurden. Die Schlussrunde der Verhandlungen beginnt am Montag (13. Mai) bei der UN-Organisation für geistiges Eigentum (Wipo) in Genf. Der Text soll spätestens am 24. Mai verabschiedet werden.
Was haben Jeans und Süßmittel mit Biopiraterie zu tun?
Folgende Beispiele zeigen, wie Produkte durch Biopiraterie entstehen und den Weg in unseren Alltag finden:
- Jeans: Eine Wissenschaftlerin hatte Anfang der 1990-er Jahre eine Arbeit über Organismen aus einem Salzsee in Kenia veröffentlicht. Einer davon produziert ein Enzym, das unter extremen Bedingungen arbeiten kann. Chemieunternehmen machten daraus patentierte Bleichmittel, die heute weltweit für den „stonewashed“-Effekt bei Jeans eingesetzt werden. Anwohner:innen des Sees haben nach jahrelangem Kampf von einigen Firmen schließlich Zahlungen erwirkt.
- Süßmittel: Seit Jahren boomt das Süßen mit Stevia, einer Pflanze, die indigene Völker in Paraguay und Brasilien seit Jahrhunderten verwenden. Firmen nutzen Stevia in Marmeladen, Erfrischungsgetränken und vielem anderen. Sie haben sich Patente auf Produkte aus dem Extrakt der Blätter gesichert. Die Stevia-Bauern im Südamerika haben aber nichts davon.
Kann man sich denn Pflanzen oder Organismen patentieren lassen?
Nein. „Eine Pflanze, die in der Natur vorkommt, kann so nicht patentiert werden“, sagt Wend Wendland, der bei der Wipo die Abteilung für traditionelles Wissen leitet. „Das geht nur, wenn Wissenschaftler sie verändern oder etwas extrahieren und damit ein neues Produkt hergestellt haben.“ In Deutschland und vielen westlichen Ländern ist der Zugang zu genetischen Ressourcen übrigens frei. „Es steht jedem offen, aus Alpenkräutern ein medizinisches Produkt zu machen“, sagt Geoökologe Axel Paulsch der Deutschen Presse-Agentur, Vorsitzender des deutschen Instituts für Biodiversität.
Was ist das grundlegende Problem?
Kritiker:innen wie die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye sagen, dass „westliche Firmen nach wie vor ungestraft mit ‚gestohlenen‘ Gütern Geschäfte machen können“. In einer an der Berliner Humboldt-Universität geschriebenen Arbeit heißt es: „Die Abwertung nicht-westlichen Wissens und die gleichzeitige Aneignung technologisch-kommerziell verwertbarer Teile dieses Wissens ist eines der Kernkonzepte des europäischen Kolonialismus.“ Viele Länder des globalen Südens mit großer Artenvielfalt sagen, wenn sie – anders als Industrieländer früher – ihre Wälder erhalten und nicht abholzen sollen, müssen sie mindestens an Profiten aus der Nutzung der darin enthaltenen genetischen Ressourcen beteiligt werden.
Aber ist das nicht längst weltweit geregelt?
Im Prinzip ja: Vor zehn Jahren trat das internationale Nagoya-Protokoll in Kraft. Es regelt eine Gewinnbeteiligung für ein Herkunftsland oder einen besonderen Nutzen, wenn es Zugang zu genetischen Ressourcen gewährt, aus denen ein vermarktbares Produkt entsteht. „Früher konnte man eine Heilpflanze etwa aus Ecuador mitnehmen, untersuchen, welche Gene für die Heilung zuständig sind, daraus ein Medikament machen und Ecuador hatte nichts davon. Das Nagoya-Protokoll sorgt für einen gerechten Vorteilsausgleich“, sagt Paulsch.
Allerdings sind die Verfahren kompliziert, nicht alle halten sich an Vorschriften und die Überwachung funktioniert nicht. Mit dem Wipo-Vertrag wären Firmen verpflichtet, bei der Anmeldung eines Patents anzugeben, wo ihr Material ursprünglich herstammt. Damit könnten Herkunftsländer prüfen, ob alle Genehmigungen eingeholt wurden. Umstritten ist unter anderem noch, ob Patente entzogen werden können, wenn Verfahren verletzt wurden.
Was bedeuten solche Verträge für Patienten und Verbraucherinnen? Gibt es deshalb weniger Medikamente oder Kosmetika?
Für die Wissenschaft ist die Natur eine der wichtigsten Quellen für Heilmittel. „Etwa 70 Prozent der Krebsmittel werden aus natürlichen Produkten oder synthetischen Verbindungen nach dem Vorbild der Natur gewonnen“, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dafür ist Forschung nötig.
„Je mehr Daten und Ressourcen wir haben, desto besser können wir unseren Job machen“, sagt Amber Scholz, Mikrobiologin beim Leibniz-Institut DSMZ -Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig, der Deutschen Presse-Agentur. „Wenn die Nutzung von biologischer Vielfalt kompliziert wird, schränkt das unsere Fähigkeit ein, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Beispiel Impfstoff: Wenn wir nicht schnell Material oder DNA-Sequenzen bekommen, gibt es keinen schnellen Impfstoff.“
Nach ihren Angaben haben komplizierte Auflagen in einigen Ländern in manchen Bereichen der Wissenschaft schon zu einer Abnahme der Forschung und Kooperation geführt. „Wer weiß, was die Gesellschaft da verpasst hat“, so Scholz.
Ist die Wissenschaft also gegen alle Auflagen?
Nein. Scholz betont: „Wir kämpfen für maximale wissenschaftliche Freiheit, aber uns ist klar, dass Ländern und Menschen, die früher ausgebeutet wurden, faire Teilhabe zusteht. Wir bemühen uns, einen gemeinsamen Mechanismus aufzubauen, der zukunftsfähig und gerecht ist.“ Paulsch sagt: „Die Herausforderung ist, die Länder am Nutzen der Ressourcen zu beteiligen, ohne die Auflagen so hart zu machen, dass praktisch keine Forschung mehr möglich ist.“
Sind Verträge wie Nagoya oder jetzt bei der Wipo dann die Lösung aller Probleme?
Leider nein. „Die neue Herausforderung sind gentechnische Verfahren, mit denen Wirkstoffe einer Pflanze nachgemacht werden können“, sagt Paulsch. „Wenn die DNA entschlüsselt und in einer Datenbank verfügbar ist, braucht man die Pflanze gar nicht mehr. Die große Frage: Soll das Herkunftsland der Pflanze trotzdem einen Nutzen haben?“
Fachleute sprechen dabei von „digitalen Sequenzinformationen (DSI)“. „Zurzeit kann jeder auf Sequenzen zugreifen und damit machen, was er will“, so Pausch. Weder das Nagoya-Protokoll noch der Wipo-Vertrag beschäftigen sich damit. Für jede genutzte Sequenz mit einem Staat über die Nutzung zu verhandeln, sei nicht praktikabel, sagt Paulsch. „Ein Vorschlag ist, dass Firmen und Forschungseinrichtungen in einen Topf zahlen, wenn sie Sequenzen nutzen. Das Geld soll dann allen Ländern, die viele genetische Ressourcen haben, zugutekommen.“ Für das Thema braucht es weitere Verhandlungen.
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