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„Unsichtbares Drittel“: Wie die stille Minderheit über Klima und Krieg denkt

unsichtbares Drittel
Foto: CC0 / Pixabay / igorovsyannykov

Ein Drittel der Deutschen fühlt sich einer neuen Studie zufolge politisch nicht gehört. Ihre Ansichten treten bei aktuellen Debatten angeblich in den Hintergrund. Dabei sei es gerade in Krisenzeiten wichtig, auf die Anliegen dieses „unsichtbaren Drittels“ einzugehen, heißt es.

Einer neuen Studie der Organisation More in Common zufolge fühlt sich ein Drittel der Deutschen von der Politik übersehen. Die Studie wirft nun Licht darauf, wie dieses „unsichtbare Drittel“ über aktuelle Streitthemen denkt. 

Das "unsichtbare Drittel" wird von den zwei Typen "die Pragmatischen" und "die Enttäuschten" ausgemacht.
Das „unsichtbare Drittel“ wird von den zwei Typen „die Pragmatischen“ und „die Enttäuschten“ ausgemacht.
(Foto: CC0 / Pixabay / geralt)

More in Common ist eine gemeinnützige Organisation, die sich eigenen Angaben zufolge dem Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt verpflichtet. Bereits 2019 befragte sie 4.000 Menschen dazu und teilte diese anschließend in sechs gesellschaftliche Typen ein. 

Die neueste Studie von More in Common liegt vor Veröffentlichung in den nächsten Tagen exklusiv Zeit Online vor. Diese zeigt: Es gibt einen Teil der deutschen Gesellschaft, fast ein Drittel, welcher weitgehend politisch unsichtbar ist. Dieses Drittel setzt sich aus zwei der insgesamt sechs gesellschaftlichen Typen zusammen, in welche sich die deutsche Bevölkerung laut „More in Common“ einteilen lässt. Demnach gibt es:

  • die Involvierten
  • die Etablierten

Diese zwei Typen nehmen die Rolle der „gesellschaftlichen Stabilisierer“ ein.

  • die Offenen
  • die Wütenden

Die Offenen und die Wütenden bilden die „gesellschaftlichen Pole“. 

  • die Pragmatischen
  • die Enttäuschten

Es sind die Pragmatischen und die Enttäuschten, welche das „unsichtbare Drittel“ ausmachen. Die Leiterin von More in Common, Laura-Kristine Krause, erklärt gegenüber Zeit Online: „Dieses Drittel fühlt sich häufiger einsam und wählt seltener.“ Deshalb würden die Ansichten der in diese Gruppe fallenden Personen bei der Debatte zu aktuellen Themen wie Krieg und Klimawandel somit häufig untergehen und in der Politik weniger Beachtung finden. Denn in den öffentlichen Debatten dominieren die Forderungen, die artikuliert werden. Das Problem laut Krause: Der Eindruck, politisch keine Rolle bei der Bewältigung von Krisen und Herausforderungen zu spielen, macht die Menschen anfälliger für spaltende und polarisierende Rhetorik.

    Wer ist das „unsichtbare Drittel“?

    Hinter den Pragmatischen verbergen sich Personen, die jünger als der Durchschnitt sind und besonders häufig einen Migrationshintergrund haben. Krause zufolge handelt es sich dabei um Menschen, die sich eher an ihrem persönlichen Umfeld denn am Gemeinwesen orientieren und daher nicht viel mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten anfangen könnten. 

    Die Distanz der Enttäuschten zum politischen System erklärt sich aus den konkreten Erfahrungen, die sie vor dem Hintergrund ihres geringen Einkommens – das geringste unter allen Typen – machen. Die Zugehörigen zu dieser Gruppe befinden sich in prekären Lebenslagen und haben mit existenziellen Problemen zu kämpfen. Daraus speise sich politischer Frust. Auch die Gruppe der Wütenden ist durch Frustration mit dem politischen System gekennzeichnet, doch hängt dieser mit ideologischen Gründen zusammen.  

    Sowohl unter den Pragmatischen als auch unter den Enttäuschten ist der Anteil an Nichtwähler:innen besonders hoch.

    Was sind die Ansichten des „unsichtbaren Drittels“?

    Das "unsichtbare Drittel" hat nur geringes Interesse an der Klimakrise.
    Das „unsichtbare Drittel“ hat nur geringes Interesse an der Klimakrise.
    (Foto: CC0 / Pixabay / Mimzy)

    Was denkt das „unsichtbare Drittel“ also über Krieg, Klimakrise und Gesellschaft? 

    Krieg in der Ukraine

    Den Pragmatischen und Enttäuschten geht laut der Studie das Schicksal der Menschen in der Ukraine weniger nah. Bei den Pragmatischen begründet sich diese Zurückhaltung aus ihrer Fokussierung auf den „Nahbereich“. Die Enttäuschten würden sich dahingegen fernhalten, weil sie stark mit eigenen schwerwiegenden Problemen zu kämpfen hätten. Die größte Sorge im Zusammenhang mit dem Krieg sei für die Enttäuschten daher auch, wie man die Aufnahme der Geflüchteten bewältigen kann. Diese Sorge teilen die Enttäuschten mit der Gruppe der Wütenden.

    Klima und Umwelt

    Auch die Themen Klima und Umwelt stoßen beim „unsichtbare Drittel“ nur auf geringes Interesse. Dieses habe aber laut Krause nichts mit einer möglichen radikalen Klimawandelleugnung zu tun. Im Gegensatz zu den Wütenden lehnen die Pragmatischen und die Enttäuschten die Klimapolitik nicht ab, sondern betrachten diese im Kontext ihrer persönlichen Lebensumständen nur als weniger dringlich.

    Soziale Ungerechtigkeit

    Auch innerhalb des „unsichtbaren Drittels“ kann es wesentliche Unterschiede geben. So ist es den Pragmatischen eher weniger wichtig, dass die soziale Ungerechtigkeit verringert wird. Laut Krause könne man diese Typen als „wirtschaftspolitisch liberal“ einordnen, weil er grundsätzlich wenig von staatlichen Eingriffen hält und eher an ein „eigenes ‚Sich-Hocharbeiten‘“ glaube. Dahingegen seien die Enttäuschten „sozialpolitisch links“ eingestellt: Sie würden sich dringend mehr Umverteilung und Gleichheit wünschen. 

    Inflation bei Energie- und Lebenshaltungskosten begrenzen

    Die Befragung zeigt: Am meisten beschäftigen das „unsichtbare Drittel“ zurzeit die steigenden Preise. Doch Krause erläutert, dass dieser Gruppe das Ökonomische auch schon vor der Krise wichtig gewesen sei. Allerdings hätten in der öffentliche Debatte zuvor kulturelle Streitthemen überwiegt. Daher hätten ökonomische Anliegen auch eine weniger große Plattform gehabt, auf der das „unsichtbare Drittel“ laute Forderungen hätte stellen können.

    Warum Krisen eine Chance für das „unsichtbare Drittel“ bieten

    Da sich das „unsichtbare Drittel“ fern und fremd fühlt, wie Krause sagt, würde es politisch auf der Kippe stehen: Es könne sich einerseits dafür gewinnen lassen, mehr in das politische System zu vertrauen. Andererseits besteht die Gefahr, dass aus seinem Misstrauen wütende Ablehnung wird, wenn sich die Umstände weiter verschlechtern. 

    Krause zufolge sei es daher wichtig, „gerade in Krisen wie jetzt genau darauf zu hören, was diese Menschen umtreibt“. Darin liege eine Chance für mehr Demokratie: Da nun wegen der Inflation und der Energiekrise ökonomische und soziale Fragen in den Vordergrund treten, könnte sich das „unsichtbare Drittel“ wieder stärker gehört fühlen. 

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