Viele indische Frauen aus finanziell benachteiligten Familien werden unter falschen Versprechungen einer Hysterektomie unterzogen – mit drastischen gesundheitlichen Folgen. Menschenrechtsaktivist:innen und die Politik versuchen nun dagegen vorzugehen.
In Indien haben Menschenrechtsaktivist:innen und Journalist:innen darauf aufmerksam gemacht, dass zahlreichen Frauen, vorwiegend Feldarbeiterinnen in dem Bundesstaat Maharashtra, grundlos die Gebärmutter entfernt wird. Die Zahlen sind alarmierend: In einem Dorf hatten nur mehr fast die Hälfte der Frauen eine Gebärmutter.
Eine operative Uterusentfernung, in der medizinischen Fachsprache Hysterektomie genannt, hat für die betroffenen Frauen nicht nur schwerwiegende gesundheitliche Folgen, sondern geht in den meisten Fällen auch mit einer hohen Verschuldung der Familie einher. Um sich die Hysterektomie in teuren Privatkliniken leisten zu können, müssen die oftmals finanziell benachteiligten Familien Kredite aufnehmen, deren Tilgung sie in noch größere Armut stürzt.
Unnötige Hysterektomie: Die Gründe dafür
Laut einer Reportage des Fernsehsenders arte unterziehen sich in Indien durchschnittlich 17 von 1.000 Frauen einer Hysterektomie. In Maharashtra sind es sogar 350 von 1.000 Inderinnen. Im Vergleich: In westlichen Ländern lassen nur zwei von 1.000 Frauen die Operation durchführen. Die Frauen in Indien sind dabei oftmals unter 30.
Warum entscheiden sich so viele Inderinnen dazu, ihre Gebärmutter entfernen zu lassen? In einem Interview mit Zeit Online erklärt der indische Aktivist Bharath Bhushan die komplexen Beweggründe.
Ursprünglich wollten sich viele der Frauen bei einem Arzt oder einer Ärztin wegen Menstruationsbeschwerden, Rückenschmerzen oder Blasenentzündungen behandeln lassen. Oftmals verordnen die Ärzt:innen dann eine Hysterektomie, obwohl in den meisten Fällen ein derart radikaler Eingriff unnötig wäre. Teilweise sagen sie ihren Patientinnen sogar, dass diese sterben würden, würden sie sich gegen die Operation entscheiden.
Doch warum? Bhushan erklärt, dass die Ärzt:innen daran verdienen würden, wenn sie Frauen für die Operation in private Krankenhäuser vermitteln. Laut einer 2018 durchgeführten Studie der indischen Regierung werden zwei Drittel der Hysterektomien in Privatkliniken durchgeführt.
Derselben Studie zufolge hat nur etwa die Hälfte der betroffenen Frauen eine Schulbildung bekommen. Zudem ist reproduktive Aufklärung in den ländlichen Regionen Indiens selten. Laut Bhushan würden die Inderinnen dementsprechend der vereinfachten Erklärung der Ärzt:innen glauben, dass eine Hysterektomie sie von ihren Beschwerden heilt.
Zusätzlicher Druck entsteht für die Frauen, die meist als Tagelöhnerinnen auf Feldern und Plantagen arbeiten, durch die harten Arbeitsbedingungen. Sie werden oftmals von ihren Arbeitgeber:innen dazu gedrängt, eine Hysterektomie durchzuführen, um nicht wegen Menstruationsbeschwerden oder Schwangerschaften auszufallen.
Hysterektomie: Gesundheitliche und finanzielle Probleme als Folgen
Die Gebärmutter erfüllt eine essentielle Rolle im weiblichen Hormonhaushalt. Dieser wiederum hat Einfluss auf viele weitere körperliche Funktionen. Die Entfernung des Uterus, insbesondere vor der Menopause, kann deshalb schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben. Zu den post-operativen körperlichen Symptomen gehören unter anderem starke Rückenschmerzen, Osteoporose, Gliederschmerzen und Symptome einer vorzeitigen Menopause. Weil die weiblichen Hormone auch die psychische Gesundheit von Frauen beeinflussen, sind Depressionen nach einer Hysterektomie ebenfalls keine Seltenheit.
Um sich die Operation leisten zu können, müssen die Familien der betroffenen Frauen teils große Kredite aufnehmen oder sich bei ihrem Arbeitgeber Geld leihen. Viele verkaufen außerdem ihr Eigentum, wie beispielsweise Nutztiere, Land oder Schmuck.
Weil viele Inderinnen nach einer Hysterektomie aufgrund der körperlichen Langzeitfolgen arbeitsunfähig sind, gelinge es laut Bhushan nur den wenigsten, ihre Schulden zu tilgen. An ihrer Stelle begeben sich ihre Ehepartner und teilweise auch ihre Kinder in eine sogenannte Schuldknechtschaft bei ihrem Arbeitgeber. Das bedeutet, dass sie sich dazu verpflichten, für einen Bruchteil ihres Lohnes solange für den Arbeitgeber zu arbeiten, bis ihre Schulden abbezahlt sind. Viele Familien kommen jedoch in einen Schuldenkreislauf, da die Frauen immer weitere teure Behandlungen für ihre Folgeerkrankungen brauchen.
Bhushan beschreibt, dass zudem manche Frauen nicht darüber aufgeklärt werden, dass sie nach einer Hysterektomie keine Kinder mehr bekommen können. Manche erfahren als Folge soziale Ausgrenzung von ihrer Familie und der Dorfgemeinschaft.
Hysterektomie in Indien: So reagieren Behörden und Aktivist:innen
Neben der Aufklärungsarbeit durch indische Aktivist:innen und Journalist:innen versucht auch die Regierung Indiens gegen ungerechtfertigte Hysterektomien vorzugehen:
- Laut Bhushan werden in manchen Bundesstaaten operative Entfernungen der Gebärmutter in Privatkliniken durch die staatliche Krankenversicherung nicht mehr bezuschusst.
- In staatlichen Kliniken übernimmt die Versicherung die Kosten nur, wenn der Eingriff medizinisch begründet ist.
- In vielen Staaten gibt es der Journalistin Roli Srivastava zufolge inzwischen von der Regierung organisierte Aufklärungskampagnen über die gesundheitlichen Risiken einer Hysterektomie.
- Laut Srivastava hat zudem der Aktivist Narendra Gupta 2013 eine der Privatkliniken, die besonders viele Hysterektomien durchgeführt hat, am indischen Obersten Gerichtshof verklagt. Er möchte erreichen, dass die von der Operation betroffenen Frauen eine finanzielle Entschädigung bekommen.
- Weiterhin hat der Indian Council of Medical Research eine Richtlinie zum Durchführen von Hysterektomien veröffentlicht.
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