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Wenn Opa Manfred mal wieder stänkert: So bleibt Weihnachten friedvoll

Wenn Opa Manfred mal wieder stänkert: So bleibt Weihnachten friedvoll
Foto: Unsplash - Simran Sood (li) - krakenimages (re)

In trauter Runde Gesellschaftspolitik diskutieren – oder über den unliebsamen Pulli, den man gerade geschenkt bekommen hat. Oft keine gute Idee an Weihnachten, dafür Stimmungskiller. Fünf Utopia-Redakteurinnen wissen, wie das ist. Sie geben Tipps, damit das Fest der Liebe friedlich bleibt.

Weihnachten – das Fest der Liebe. Mit Familie oder Freund:innen zusammensitzen, Plätzchen essen, sich eine Kleinigkeit schenken. Es kann so schön sein. Doch dann das. „Also was da gerade mit den Klebe-Aktivisten los ist. Und dieses Gendern, was soll das?“ – Opa Manfred möchte einmal in großer Runde loswerden, was ihn beschäftigt. Eine unbedachte Anmerkung und Zack, ist die Stimmung hinüber. Was ein entspannter Abend bei einer Tasse Glühwein werden sollte, kann dann schnell als wüster Ritt durch die Gesellschaftspolitik des verstrichenen Jahres enden.

Wie aber lassen sich heikle Themen möglichst sensibel in trauter Runde diskutieren? Idealerweise so, dass man sich am Ende eben nicht mit Vorwürfen überzieht?

Fünf Utopia-Redakteurinnen haben selbst schon Erfahrungen mit Diskussionen unter dem Weihnachtsbaum gemacht. Hier geben sie Tipps, wie das Fest der Liebe tatsächlich liebevoll bleibt.

Nora: In drei Schritten zum Gendern-Glück

Beim Thema Gendern können unangenehme Diskussionen entstehen. Auch an Weihnachten, das weiß ich. Daher nenne ich euch drei Schritte, die ich in solchen Situationen durchgehe.

Ich habe festgestellt, dass sich vor allem ältere Menschen mit dem Gendern schwer tun. Da führe ich mir zu aller erst vor Augen: Diese Menschen haben Jahrzehnte nicht gegendert, das ist für sie etwas Unbekanntes und vermutlich Befremdliches. Daher versuche ich ihnen gegenüber Verständnis zu zeigen – für ihr Unbehagen. Bei mir hilft an der Stelle häufig der Satz: „Ich weiß, das sieht seltsam aus und es hört sich teilweise komisch an, wenn Menschen eine Pause vor dem -innen machen.“

Im zweiten Schritt stelle ich Fragen, wie diese hier:

  • Was stört dich denn beim Gendern?
  • In welchen Alltagssituationen schränkt dich das Gendern ein?
  • Warum hast du das Gefühl, dass du gendern müsstest?
  • Hat sich schon einmal jemand zu dir mit einem fiesen Kommentar geäußert, dass du nicht genderst?

Im dritten Schritt erkläre ich, warum ich und manche andere Menschen gendern möchten. Und hier einfach die persönlichen Gründe nennen. In meinem Fall ist es, dass ich niemanden ausschließen möchte. Und wenn jemand mir erwidert, dass doch alle mit dem generischen Maskulinum gemeint sind, erkläre ich, warum mich das wütend macht. Schon in der Schule habe ich mich immer darüber aufgeregt, als wir das im Deutschunterricht gelernt haben. Genauso im Französischunterricht, als ich gelernt habe, dass sobald ein Mann in der Gruppe ist, die gesamte Gruppe als männlich gilt. Schon da habe ich mich ungerecht behandelt gefühlt. Und es gibt eben auch die Menschen, die sich in keine der beiden Formen einordnen, die ich aber eben auch berücksichtigen möchte.

Laura: „Ich esse keine Leichenteile“ – kommt eher nicht so gut an

Rund zehn Jahre ist es inzwischen her, dass ich meinen Eltern an Weihnachten erklärt habe, keine „toten Tiere“ mehr zu essen. Und, dass Massentierhaltung die Hölle auf Erden sei. Beim Schweinebraten an Heiligabend rümpfte ich die Nase – verurteilte jeden Bissen meiner Familie. Eine Diskussion mit meiner Schwester, ob es nicht heuchlerisch sei, den eigenen Hund zu verhätscheln und gleichzeitig Fleisch zu essen, endete in Tränen. Es war vermutlich nicht das harmonischste Weihnachten im Hause Gaida.

Im Nachgang muss ich über mich selbst den Kopf schütteln, denn Sätze wie „Ich esse keine Leichenteile“ mögen faktisch richtig sein. Sie bringen nur keine Diskussion weiter. Im Gegenteil: Alle Menschen, mit denen ich bislang über Fleischessen gesprochen habe, fühlen sich sofort angegriffen. Und was machen Menschen, wenn sie attackiert werden? Richtig, weglaufen oder sich verteidigen. Nun, am Weihnachtstisch wird meist letztere Option gewählt. Daher rate ich beim Thema Veganismus, Vegetarismus oder Fleischkonsum generell zu einer möglichst unemotionalen, wenig aktivistischen Ansprache.

Auf Parolen wie „Fleischesser:innen sind alles Mörder:innen“ reagieren nur die wenigsten mit: „Ach ja, erzähl mir doch gerne mehr von deinem Standpunkt“. Stattdessen hat mir die Erfahrung gezeigt, dass neben trockenen Fakten beim Thema fleischfreie Ernährung das Vorleben die wohl effektivste Art der Kommunikation ist. Einfach zeigen, dass es auch anders schmecken kann. Die Industrie, die ununterbrochen leckere pflanzliche Alternativen auf den Markt bringt, tut ihr Übriges. An Weihnachten also die Bitte an Mama, das Schwein aus der Bratensoße zu lassen. Denn die Basis – oh Wunder – ist ohnehin angeschmortes Gemüse. Oder dem Papa mal den veganen Fleischsalat zeigen, der wie sein geliebtes Original schmeckt. Dazu braucht es keine Standpauke, wie schrecklich ihr Konsum sei.

Was bereits einige Zeit währte, wurde bei uns dann auch endlich gut: Vor ein paar Jahren beschenkten meine Eltern meine Schwester und mich mit einem vollständig vegetarischen Weihnachten. Das bleibt auch erstmal so. Und ich hatte nicht einmal darum gebeten.  

Lena: Oh nein, nicht noch ein Fast-Fashion-Pulli

Ein Pulli, der nicht passt; ein Buch, das man schon gelesen hat – oder Badesalz, obwohl man keine Badewanne hat: Ein unpassendes Geschenk bekommt fast jede:r einmal. Ebenso blöd ist es, wenn der:die Beschenkte das Päckchen aufmacht und du schon am Gesichtsausdruck erkennst, dass ihm oder ihr dein Geschenk nicht gefällt. Was also tun?

Tipp für alle Beschenkten: Ehrlich sagen, wenn man ein Weihnachtsgeschenk aufmacht und es einem nicht gefällt. Das ist schwer, aber notwendig. Denn was machst du mit einem Pulli, den du nicht anziehen möchtest? Besser du kannst ihn vielleicht noch umtauschen oder verkaufen. Gleichzeitig hilft es in der Ablehnung anerkennend zu reagieren. Das heißt: Die Geste oder Idee dennoch wertzuschätzen. Schließlich haben sich die Menschen, die etwas schenken, meist etwas dabei gedacht.

Bedenke auch, dass du die Menschen, die dir etwas schenken, meist gut kennst. Du kannst deshalb einfühlsam erklären, warum dir das Geschenk nicht zusagt. Deine Mutter wird es nachvollziehen können, dass du keine Fast Fashion mehr tragen möchtest, weil sie Arbeiter:innen in Asien ausbeutet und der Umwelt durch giftige Chemikalien zusetzt. Der Ton macht die Musik!

Ebenso solltest du versuchen, nicht beleidigt zu reagieren, wenn eines deiner Geschenke nicht gut ankommt. Frag bei deinen Geschwistern oder deinen Freund:innen nach, warum ihnen das Geschenk nicht gefällt. Meist hat das nichts mit der eigenen Person zu tun. Und nächstes Jahr kannst du anhand dessen ein geeigneteres suchen.

Oder du beugst falschen Geschenken folgendermaßen vor:

  • Frag frühzeitig schon im November, was sich deine Liebsten wünschen und schenke genau das. Die Überraschung ist zwar dann bedeutet kleiner, dafür aber auch das Risiko eines unpassenden Geschenks.
  • Sag allen Bescheid, wenn du an Weihnachten keine Geschenke möchtest und auch warum.
  • Schlag statt Geschenken für alle vor, dass ihr wichtelt, zusammen etwas spendet oder ein gemeinsamer Ausflug die Geschenke ersetzt.

Lisa: Debatten sind gut, Lösungen noch besser

Zugegeben, es ist kein leichtes Thema, schon gar nicht bei Familienfeiern: kulturelle Aneignung. Dass das Thema für ordentlich Reibung sorgt, zeigt auch die öffentliche Debatte. Doch auch am Weihnachtstisch kann sich daran so mancher Streit entfachen, weshalb einige Dinge zu beachten sind.

Zunächst hilft (wie bei jedem anderen Gespräch), zuhören, ausreden lassen und nachfragen, wenn man etwas nicht ganz verstanden hat. Noch wichtiger ist aber, sich bewusst zu werden, wie man selbst zu dem Thema steht. Ist man Betroffene:r, hat man Verständnis für die Debatte um kulturelle Aneignung und was dem zugrunde liegt? Oder hat man Vorbehalte gegen das Thema? Die eigene Position einzuordnen ist oft nicht leicht, hilft aber dabei, eigene Denkbarrieren zu erkennen. 

Auch daran, was kulturelle Aneignung ist, scheiden sich die Geister. Es hilft, sich im Gespräch darauf zu einigen, dass es keine klare Linie gibt, die allgemeingültig ist. Sehr wohl aber gibt es Praktiken, die zu einer strukturellen Diskriminierung und Ausgrenzung bestimmter Personen beitragen. 

Der gemeinsame Blick hinter das Thema kulturelle Aneignung ist entscheidend, also die Frage: „Worum geht es wirklich bei kultureller Aneignung?“ Es geht um strukturelle Ungleichheit und, ja, es geht auch um Rassismus. Statt sich also daran abzuarbeiten, ob Winnetou nicht mehr veröffentlicht werden soll oder ob Pipi Langstrumpf Kolonialismus verherrlicht, ist es wichtig, über Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft zu sprechen, und wie kulturelle Aneignung damit zusammenhängt. 

Deshalb solltest du versuchen, das Gespräch auf Lösungen zu lenken und auch respektieren, wenn jemand auf einem Standpunkt verharrt, der deinem widerspricht. Für diesen Fall kannst du weiteren Austausch zu einem späteren Zeitpunkt oder zusätzliche Infos anbieten (sofern die Person offen dafür ist), zum Beispiel ein gutes Buch. Der Dialog zu schwierigen Themen wird nicht bei einem Weihnachtsessen zu Ende geführt sein. Aber vielleicht ist so zumindest ein guter Anfang gemacht.  

Tipp: Ein Buch, das du im Zuge des Gesprächs zum Beispiel empfehlen könntest, ist „Und jetzt Du“ von Tupoka Ogette.

Kathi: Haha, ein Bahnwitz!

Sich über die Bahn zu beschweren ist eine Lieblingsbeschäftigung vieler Deutscher – ich bin da keine Ausnahme. Mein Lieblingsspruch: „Die DB fährt wieder im Nena-Style: Irgendwie, irgendwo, irgendwann.“ Trotzdem liebe ich die Öffis und würde sie – gerade in Städten – immer dem Auto vorziehen. Das sieht aber nicht jede:r so.

Mein Tipp für Diskussionen an Weihnachten zum Thema Bahn, Bus und Co.: Beim Thema bleiben. Geht es zum Beispiel darum, wieso ich in der Stadt auf die Öffis setze und mein Gegenüber auf das Auto, dann reden wir nur darüber. Und schweifen nicht ab zu miserablen ÖPNV-Anbindungen auf dem Land, zu Stuttgart 21 und auch nicht zu Dienstflugzeugen für Politiker:innen. Alles hat bestimmt irgendwie mit dem Thema zu tun, aber eher selten mit den persönlichen Gründen, weshalb man sich in einer konkreten Situation für die eine oder andere Option entscheidet. Denn wer abschweift, öffnet vielen weiteren potentiellen Streitthemen Tür und Tor.

Hat mein Gegenüber zum Beispiel keine Lust auf Verspätungen, dann muss ich sagen: Verständlich! Ob man in der Stadt mit dem Auto wirklich schneller ist als mit der U-Bahn, ist meiner Erfahrung nach aber Glückssache. Allein die Parkplatzsuche vor dem Restaurant dauert hier in München gerne mal 20-30 Minuten. Dieses Argument ist im Zweifel dann auch überzeugender als eine Moralpredigt über CO2-Fußabdrücke, die in eine Diskussion über Cancel Culture übergeht, die schließlich beim Thema kulturelle Aneignung eskaliert. 

Weicht mein Gegenüber doch vom Thema ab, versuche ich, freundlich gegenzusteuern. „Interessanter Punkt, aber um nochmal auf X zurückzukommen – den Punkt, den du da vorhin gebracht hast, das kenn ich. Mir geht es dann oft so ….“ Wichtig ist nur, dass nicht der Eindruck entsteht, man wolle dem anderen den Mund verbieten oder nehme die Argumente nicht ernst. Wenn die Situation zu entgleisen droht, würde ich lieber die Notbremse ziehen. Manchmal wird man sich nicht einig, und auch darüber kann man sich einigen.

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