Wut ist eine gegenderte Emotion: Einer Arbeitspsychologin zufolge wird sie bei Frauen gerade im beruflichen Kontext eher negativ gedeutet, bei Männern dagegen teils positiv. Die Expertin erklärt den Stand der Wissenschaft und wie „deep acting“ und „surface acting“ Wutausbrüche im Job beeinflussen können.
Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erklärt die Arbeitspsychologin Laura von Gilsa, dass Anzeichen von Wut im Arbeitsleben anders aufgefasst werden – je nachdem, ob ein Mann oder eine Frau wütend ist.
„Frauen müssen ganz vorsichtig sein, ob und wie sie Wut ausdrücken“, so von Gilsa. Denn ihr Umfeld würden Frauen schnell als emotional und hysterisch beurteilen und ihnen dann „einen geringeren Status“ zuschreiben. Bei Männern sei dies nicht der Fall: Ihnen schreiben Beistehende nach einem Wutausbruch sogar einen höheren Status zu. Schreiende Frauen gelten eher als hysterisch, bei Männern würden Kolleg:innen eher denken: „Der weiß, was er will. Der steht für sich ein“.red
Hinweis: Die Psychologin verwendet im FAZ-Interview binäre Geschlechterbegriffe (Frau/Mann). Das ist stark vereinfacht: Stereotype, die sich auf Frauen beziehen, können beispielsweise auch von Menschen erlebt werden, die weiblich gelesen werden, sich aber nicht als Frauen identifizieren.
Die Studienlage: Sind Männer wütender als Frauen?
Studien belegen die Diskrepanz in der Wahrnehmung von Wut bei Frauen und Männern. Ein 2009 veröffentlichter Artikel mit dem Titel „She’s Emotional. He’s Having a Bad Day“ bezieht sich auf zwei Studien. Diese haben beispielsweise gezeigt, dass Teilnehmer:innen die Reaktion einer Frau als „emotional“ einstuften – und dieselbe Reaktion eines Mannes in derselben fiktionalen Situation so lasen, dass er „einen schlechten Tag“ hätte, also einen echten Grund für seinen Ärger.
Schon 2008 legte eine weitere Studie nahe, dass Menschen die Wut ihrer Kolleg:innen nach Geschlecht unterschiedlich beurteilen: Die Proband:innen schrieben Frauen, die wütende Gefühle zeigten, einen niedrigeren Status zu als wütenden Männern. Männliche und weibliche Teilnehmer:innen reagierten dabei gleich. Sie unterstellten nur der wütend gezeigten Frau, die Kontrolle über die Situation verloren zu haben, und äußerten eher Annahmen über ihren Charakter wie „Sie ist eine wütende Person“.
Studien und Meta-Reviews zeigen, dass Mädchen schon als Kinder weniger Wut zeigen als Jungen – jedoch nicht, weil sie sie seltener verspüren. Auch die FAZ beschreibt, dass sich Frauen und Männer darin ähneln, wie sie Wut erleben – zum Beispiel im Bezug auf Blutdruck, Herzschlag oder Hormone. Die Expertin von Gilsa folgert daraus, „dass Geschlechterunterschiede in Wutnormen und im Ausdruck von Wut nicht biologisch determiniert sind, sondern durch soziale und kulturelle Normen.“
Warum werden Menschen wütend?
Wut ungefiltert und unbedacht auszudrücken, kann zu Problemen führen – ob in der Beziehung, im Job oder im Rahmen der Familie. Wozu haben Menschen sie dann überhaupt entwickelt?
Laut Psychology Today hängt Wut eng mit der „Fight, flight or freeze“-Reaktion zusammen – also dem Instinkt, in Gefahrensituationen entweder zu kämpfen, zu flüchten oder zu erstarren. Die Emotion warnt demnach vor Bedrohungen, und im modernen Leben schließt das, wie die FAZ schreibt, auch enttäuschte Erwartungen oder Demütigungen mit ein.
„Deep acting“ und „surface acting“: Strategien für Wut im Arbeitsleben
Von Gilsa beschreibt, dass der Arbeitsplatz zwar ein besonders emotionsreicher Ort ist – doch das Zeigen von Emotionen sei dort lange verpönt gewesen. „Von Berufstätigen erwartet man heutzutage, dass sie ihre Emotionen gedämpft äußern und, wenn überhaupt, dann vor allem positive.“ Auch diese Erwartung sei ein potenzieller Nachteil für Frauen, da sie stereotyp als emotional wahrgenommen werden, während professionelles Verhalten in den Augen der meisten Menschen unbedingt Sachlichkeit erfordert.
Laut der Psychologin lassen sich Emotionen durch verschiedene Strategien regulieren: Beim „deep acting“ versucht man beispielsweise, positive Emotionen im Job nicht nur auszudrücken, sondern tatsächlich zu fühlen. Im Kundenservice tätige Menschen können sich zum Beispiel vorstellen, warum ein:e unhöfliche:r Kund:in einen schlechten Tag hat, um mehr Verständnis aufzubringen. So können sie die positive Emotion von Mitgefühl in sich hervorrufen, statt wütend zu werden.
„Surface acting“ könnte man als das Gegenteil davon beschreiben: Negative Emotionen werden unterdrückt und die erwünschten Emotionen werden lediglich vorgetäuscht. Die Kundenservice-Mitarbeiterin im obigen Beispiel würde sich also insgeheim über den oder die Kund:in ärgern, jedoch ein Lächeln und Freundlichkeit in der Stimme vorspielen.
Macht es Sinn, die eigenen Emotionen im beruflichen Kontext zu manipulieren? Laut von Gilsa kann gerade „surface acting“ langfristig gefährlich werden: Man könne langfristig möglicherweise den Zugang zu seinen Emotionen verlieren. Die Person „weiß irgendwann nicht mehr, was fühle ich wirklich, was spiele ich nur vor?“
So kann man Ärger „sozial kompatibel“ im Job mitteilen
Im Arbeitsleben ist es durchaus ratsam, negative Emotionen erst einmal für sich zu behalten, sagt von Gilsa. Stattdessen könne man sie als Signal wahrnehmen, dass möglicherweise ein Problem besteht. Dauerhaft sei es jedoch wichtig, die Emotion auch auszudrücken: Auch ein kollegiales Verhältnis setze voraus, dass man ehrlich miteinander umgehen könne.
Besser sei also: Sich beruhigen, das Gefühl auf sich wirken lassen und danach hinterfragen, was genau die Wut ausgelöst hat. Hat man diese Erkenntnis, könne man die Beteiligten damit offen konfrontieren, indem man genau sagt, was einen geärgert hat und warum. Idealerweise bietet man dann auch Lösungsvorschläge an, sagt von Gilsa.
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