Alle Jahre wieder: Ölkonzerne investieren in erneuerbare Energien und werden Anteilseigner nachhaltiger Start-ups. Ist das nun Greenwashing oder eine ernst gemeinte Kehrtwende? Wir haben bei den Beteiligten nachgefragt.
Es klingt paradox, ist aber kein neues Phänomen: Die Ölindustrie, welche maßgeblich für Treibhausgasemissionen und die Klimakrise verantwortlich ist, investiert gleichzeitig in ihre eigene Konkurrenz, die erneuerbaren Energien. So beteiligte sich Shell im Mai diesen Jahres an der 60-Millionen-Finanzierungsrunde des Stromspeicheranbieters Sonnen.
Warum aber beteiligen sich große Ölkonzerne an solchen Investitionen, ist das reine Imagepflege oder arbeiten die Ölriesen wirklich an einer grüneren Energieversorgung? Und was treibt nachhaltige Unternehmen wie Sonnen an, solche Kooperationen einzugehen?
Zumindest bei der Shell-Sonnen-Kooperation geht es nicht nur ums Geld, wie Sonnen-Geschäftsführer Christoph Ostermann betont: „Bei der Finanzierung haben wir nicht nur nach reinen Finanzinvestoren gesucht, sondern nach einem strategischen Partner.“
Mehr Größe – mehr Möglichkeiten
„Als eines der größten Unternehmen der Welt hat Shell einfach andere Möglichkeiten und kann helfen, unseren Bekanntheitsgrad zu steigern und Marktzugängen in neue Regionen zu ermöglichen“, fügt der CEO hinzu. Das Ziel von Sonnen ist noch größer: „Wir möchten nicht nur einzelne Häuser energieautark machen, sondern Strom-Sharing ermöglichen, ein virtuelles Kraftwerk aufbauen und somit als Energieversorger in größerem Kontext in Erscheinung treten.“
Ostermann ist sich der Problematik um den neuen Partner durchaus bewusst. Nicht nur aufgrund ihrer Schäden an Umwelt und Klima stehen Ölkonzerne immer wieder im Kreuzfeuer. Aktuell sind Top-Manager von Shell und einem italienischen Erdölanbieter angeklagt, weil sie für Ressourcenzugänge milliardenschwere Korruptionsgelder an Politiker in Nigeria gezahlt haben sollen.
Die Haltung des CEO hierzu ist klar: „Es gibt natürlich ethische Grenzen für uns. Wir würden uns nie an Dingen beteiligen, die illegal sind.“ Aber: „Unser Anspruch ist es nicht, Shells Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern mit Shell die Zukunft auf dem Energiemarkt zu gestalten.“ Allerdings ist Shell Ventures Teil des Mutterkonzerns, Sonnen-Gewinne könnten also dem Ölriesen zugute kommen – ohne zu wissen, wofür das Geld dann eingesetzt wird.
Weniger Idealismus, mehr Pragmatismus – das sind die Motive von Sonnen: „Ich glaube nicht, dass man isoliert als nachhaltiger Start-up-Einzelkämpfer den Massenmarkt erobern kann. Dafür müssen auch große Unternehmen mitziehen. Am Ende des Tages ist es egal, wer eine Technologie wie unsere finanziert und verbreitet. Wichtig ist, dass es passiert.“
Massenmarkt auch mit ethisch-sauberen Produkten erreichbar?
Dieser Meinung widerspricht Marcel Keiffenheim: „Wir denken nicht, dass man mit ethisch-sauberen Produkten einen solchen Nachteil hat, dass man keinen Massenmarkt erreichen kann.“ Mit „wir“ meint Keiffenheim Greenpeace Energy, dessen Bereich „Energiepolitik“ er leitet. Der genossenschaftlich organisierte Energieanbieter sei das beste Beispiel dafür, mit einem Umsatz von 100 Millionen Euro und 130.000 Kunden. Greenpeace Energy ist rechtlich zwar unabhängig, als Namensträger aber den ökologischen Zielen der NGO verpflichtet.
Und dazu gehört eben für Greenpeace Energy, keine Kooperation einzugehen, wie Sonnen es getan hat. Gleichzeitig stellt Keiffenheim aber klar, man wolle nicht als Moralapostel auftreten: „Wir sehen uns nicht als Aufseher der erneuerbaren Energiebranche. Wir haben eine klare Haltung und würden nicht mit Shell kooperieren. Das muss aber jeder für sich selbst entscheiden.“
Spätestens nach Fukushima und mit der Energiewende haben sich die Rahmenbedingungen für konventionelle Energieanbieter allerdings stark verändert. Deswegen widerspricht Sonnen-Chef Ostermann auch dem Vorwurf des Greenwashing entschieden. Er verweist darauf, dass Shell eine Sparte für erneuerbare Energien hat, die jährlich zwischen einer und zwei Milliarden Dollar in dem Bereich investiert. Das sei mehr als der Umsatz der meisten Unternehmen in diesem Bereich.
Insofern könne man Shell durchaus als ernstzunehmenden Akteur bei den erneuerbaren Energien bezeichnen. Ostermann sieht „bei Shell durchaus den seriösen Wunsch, als Energieanbieter zu verstehen, wie man die Energiewende technologisch gestalten kann“.
„Welcher Strategie verfolgt der Vorstand?“
Eine Einschätzung, die Professor Stefan Schaltegger von der Universität Lüneburg allerdings nicht teilt. Er zählt zu den führenden Forschenden im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement und leitet das Centre for Sustainability Management (CSM). „Ich sehe derzeit kein ernstes Signal bei Shell oder BP, dass sie Nachhaltigkeit fundamental vorantreiben. Über die letzten Jahrzehnte betrachtet schwanken diese beiden Firmen zwischen Extremen Nachhaltigkeit ernst zu nehmen oder gegen sie anzukämpfen. Es kann gut sein, dass sich Shell nun gesagt hat: ‚Wir verfolgen strategisch nun einen Mittelweg und machen ein bisschen etwas im Bereich grüne Technologien, damit wir gesellschaftlich nicht zu stark angegriffen werden.‘ Je nach Ausgestaltung kann das in den Grenzbereich von Greenwashing führen.“
Um die Motive von Shell und anderen Erdölfirmen zu verstehen, führt Schaltegger drei Gründe auf: Der erste dreht sich um das Selbstverständnis des Konzerns: Wenn man ein breiteres Verständnis von sich selbst als Energieanbieter hat – und nicht nur als Ölfirma –, seien regenerative Energien ein möglicher Weg, das eigene Portfolio zu erweitern.
„Hinzu kommen Risiken des Erdölgeschäfts, insbesondere ökologisch bedingte, wie etwa, dass weniger oder kein Erdöl verbrannt werden sollte, wenn wir den Klimawandel bekämpfen möchten.“ Um gegen politischen Veränderungen wie die Energiewende gewappnet zu sein, sei es für Ölkonzerne schon ökonomisch sinnvoll, Alternativen aufzubauen.
Neben diesen Gefahren sei es letztendlich eine Frage der Führung und wer sich durchsetzt. Gerade in Weltkonzernen gebe es daher ein großes Spektrum an ethischen Positionierungen: „Über den Zeitverlauf kann das eine mögliche Erklärung für Schwankungen sein, wieso Ölkonzerne im Nachhaltigkeitsbereich investieren und dann wieder aussteigen“, erklärt Schaltegger.
Etwas zugespitzter betrachtet naturgemäß Keiffenheim von Greenpeace Energy die Motive: „Inhaltlich ist das unverbindlich. Man kann am Rande etwas ausprobieren, ohne dass man sich als Konzern für ein Thema wirklich verpflichtet.“ Zudem seien die Entwicklungskosten geringer, als wenn man im eigenen Unternehmen extra eine neue Abteilung aufbaue.
Dabei spiele auch die Start-up-Struktur eine Rolle: „Dort wird meist schlechter bezahlt, die Arbeitnehmer haben kurzfristige Verträge und oftmals ist der Betriebsrat nicht für sie zuständig: Schnell rein, schnell raus geht deshalb gut mit Start-ups.“
Shells Investement in Erneuerbare kein Problem
Grundsätzlich sei das Investment von Shell in erneuerbare Energien auch kein Problem, so Keiffenheim, „sondern die vielen Milliarden die an anderer Stelle für das Falsche ausgegeben werden. Hier und da mal das Richtige zu tun, ist nicht genug – vor dreißig Jahren vielleicht, aber mittlerweile muss man sagen: ‚Das reicht nicht mehr.‘“ Keiffenheim betont: „Gerade aufgrund des Klimawandels haben Ölriesen eine Pflicht viel mehr zu tun als netterweise in ein paar nachhaltige Start-ups zu investieren.“ Mit knapp 13 Milliarden Euro Gewinn alleine 2017 können so manche Investitionssummen von Shell in erneuerbare Energien tatsächlich etwas nüchterner betrachtet werden.
Auch wenn Schaltegger insgesamt ebenso keine ernstzunehmende Kehrtwende bemerkt, sieht er Kooperationen wie die von Shell und Sonnen weniger fatalistisch: „Pioniere können die Großen inspirieren, indem sie aufzeigen, wie es grundsätzlich technologisch funktioniert.
Ein Weltkonzern hat die Möglichkeit, das Ganze zu skalieren, d.h. in die Größe zu bringen. Wenn wir eine nachhaltige Entwicklung wollen, dann müssen wir den Massenmarkt wandeln.“
Alternative Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding oder öko-soziale Banken würden da nur bedingt helfen: „Wenn es nur darum geht, Wachstum für den Massenmarkt zu generieren, dann ist eine Ökobank mit ihren finanziellen Möglichkeiten und Netzwerken schnell überfordert.“
Letztendlich ist eine Polarisierung an dieser Stelle in gute und böse Akteure weniger hilfreich, da sind sich alle drei einig. Sonnen fährt einen pragmatischen Ansatz zur Eroberung des Massenmarktes, Greenpeace Energy wiederum hat ethische Gründe gegen eine solche Kooperation. Es ist also – in den Worten Schalteggers – eine Frage des strategischen Managements.
Gastbeitrag aus Enorm
Text: Theresa Kost
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