Südeuropa schwitzte während der Hitzewelle im Sommer 2017, die Klimasünder ließ das kalt. Das könnte sich jetzt aber ändern. Eine neue Wissenschaft kann erstmals errechnen, welche Extremwetterereignisse der Klimawandel verursacht. Die Forscher hoffen, dem Verursacherprinzip endlich Zähne zu geben.
Es ist dieses zynische Totschlagargument der Klimaskeptiker, das die vernünftigen Menschen zur Verzweiflung bringt: Das hat es immer schon gegeben. Kiribati versinkt im Ozean, ein Hurrikan verwüstet Puerto Rico und Florida, die Gletscher schmelzen, Hitzewelle in Südeuropa? Das hat es immer schon gegeben. Wenn Wissenschaftler einwenden, dass der Klimawandel Naturkatastrophen allgemein begünstigt, perlt das an den Skeptikern ab. Der Zusammenhang konnte nicht konkret genug aufgedeckt werden. Bis jetzt.
Das neue Feld der „Attributionswissenschaft“ kann nämlich errechnen, ob und in welchem Ausmaß der Klimawandel ein Extremwetterereignis verursacht hat. Friederike Otto gehört zu den Pionieren dieser neuen Klimaforschung. 2014 gründete sie mit Kollegen das World Weather Attribution Project an der Universität Oxford. Die neue Disziplin beschreibt sie so: „Die Attributionswissenschaft entwirft Methoden um mit Hilfe komplexer Klimamodelle unsere Welt mit einer hypothetischen Welt ohne Klimawandel zu vergleichen.“
Wie berechnet man eine Welt ohne Klimawandel?
Ein Klimamodell kann man sich wie ein Netz um die Welt vorstellen. Für jeden Knoten spielen die Wissenschaftler Daten der nationalen Wetterdienste ein, die Informationen über Variablen wie Temperatur, Niederschlag, Druck und Wind für die vergangenen 200 Jahre liefern. Aus dem Zusammenspiel all dieser Daten berechnen Algorithmen nun Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Wetterszenarien. Diese hypothetischen Szenarien vergleicht man mit der Wirklichkeit.
„Die Logik ist ähnlich wie beim Würfeln“, erklärt Otto, die Physik studierte und in Philosophie promovierte. „Würfelt man zu oft hintereinander eine Sechs, fragt man sich irgendwann, ob der Würfel vielleicht gezinkt ist.“ In der Klimaforschung heißt das: Errechnet das Klimamodell für ein reales Extremwetterereignis eine extrem geringe Wahrscheinlichkeit, deutet das auf externe Ursachen hin, die das Modell nicht berücksichtigt. Externe Ursachen können Vulkanausbrüche sein – aber eben auch Treibhausgasemissionen.
Die Forscher ergänzen die Daten über die Treibhausgase im Modell und simulieren erneut. Der Computer errechnet eine neue Wahrscheinlichkeit für das tatsächlich beobachtete Ereignis. Der Unterschied zwischen den Wahrscheinlichkeiten für das Wetterereignis in der hypothetischen Welt ohne Klimawandel und der realen Welt mit Klimawandel nennt sich Risikoverhältnis. Mit diesem Verfahren können die Wissenschaftler Aussagen treffen wie: Das Ereignis A ist durch den Klimawandel um das x-fache wahrscheinlicher geworden.
Zum besseren Verständnis stelle man sich wieder den gezinkten Würfel vor und nehme an, mit ihm in 1000 Würfen 500 Mal eine Sechs geworfen zu haben, also mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Mit einem normalen Würfel beläuft sich die Chance aber nur auf etwas mehr als 16 Prozent. Die Chance, eine Sechs zu würfeln, ist durch das Zinken des Würfels also dreimal wahrscheinlicher geworden. Unsere Treibhausgase zinken sozusagen das Wetter.
Schlechte Nachrichten für Europa – und Klimasünder
„Die Hitzewelle in Südeuropa in diesem Jahr hat der Klimawandel zehnmal wahrscheinlicher gemacht“, sagt Otto. „Mehrere unserer Studien zeigen, dass Hitzewellen in Europa eine der am sichersten belegbaren Auswirkungen des Klimawandels sind.“ Damit konnte die Attributionswissenschaft bereits eine weitverbreitete Einschätzung widerlegen: Der Klimawandel ist uns weder räumlich noch zeitlich fern. Er findet statt – hier und jetzt.
Die Ergebnisse sind natürlich wesentlich belastbarer als die Aussagen des Würfelbeispiels. Schließlich „würfelt“ das Klimamodell nicht nur tausend Mal, sondern so oft, dass es die Rechenleistung von etwa 50.000 Computern beansprucht. Trotzdem hat die neue Wissenschaft noch Schwächen: „Großflächige und langdauernde Ereignisse wie Hitzewellen können unsere Modelle verlässlich beurteilen, relativ kurze und kleine Phänomene wie Wirbelstürme leider noch nicht“, sagt Otto.
Dafür ist die Attributionswissenschaft noch zu jung. 2003 schlug der Oxford-Professor Myles Allen erstmals ihre Methode vor, 2010 gelang dann der Durchbruch, als es um die Ursachen für eine Hitzewelle in Russland ging. Entfaltet die Wissenschaft erst einmal ihr Potenzial, könnte sie nicht nur Skeptiker des Klimawandels in Bedrängnis bringen – sondern auch dessen Verursacher.
Lässt sich nachweisen, dass Treibhausgase ein Extremwetterereignis verursachten, ist es nur logisch, dass der Verursacher der Gase für den Schaden aufkommen muss. Tatsächlich prüfen Juristen bereits, wie man Konzerne und Staaten mit Hilfe der Modelle verklagen kann, wenn diese ihre Klimaziele nicht einhalten. Otto ist überzeugt, dass die neue Disziplin einen Präzedenzfall schaffen wird. „Ich weiß nur noch nicht wann.“
Die Attributionswissenschaft könnte dem Verursacherprinzip endlich Zähne geben. Es wäre ein Meilenstein im Kampf gegen Ignoranz, Macht- und Wirtschaftsinteressen – und am wichtigsten: im Kampf gegen den Klimawandel.
Friederike Otto, 35 Jahre, studierte Physik in Potsdam, promovierte in Philosophie in Berlin und wechselte 2011 zum Environmental Change Institute der Universität Oxford.
Dort gründete sie mit anderen Forschern das World Weather Attribution Project, das den Einfluss der Menschen auf Extremwetterereignisse untersucht. Außerdem leitet sie climateprediction.net, das Klimamodelle mit Verteiltem Rechnen entwirft.
GASTBEITRAG aus enorm
Text: Jan Menke
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