In der Architektur der meisten Städte steht das Auto im Fokus der Planung. Doch wie wäre es, wenn sich ein Haus komplett an den Bedürfnissen von Fahrrädern und ihren Fahrern orientiert? Dann entsteht ein Gebäude wie das Ohboy im schwedischen Malmö.
Parkplätze, Carports, Garagen – für die Unterkunft des Autos ist bei vielen Häusern gesorgt. Bei Fahrrädern sieht es dagegen mau aus. Wenn man Glück hat, kann man sie im Innenhof abstellen, ansonsten wird der Keller notgedrungen zum Stellplatz. Wen es besonders gut trifft, dem spendiert der Vermieter noch eine Möglichkeit zum anschließen. Wetterschutz? Gehört hierzulande zum absoluten Luxus.
Doch wie könnte eine Architektur aussehen, die sich an einem der umweltfreundlichsten Fortbewegungsmittel überhaupt orientiert? Wer das sehen möchte, der sollte nach Malmö fahren. Denn in der Kostergränd 211 steht das Ohboy – das wohl fahrradfreundlichste Haus der Welt.
Alles dreht sich um das Fahrrad
Kommt man in diesem mit den Einkäufen beladen nach Hause, öffnen sich dank Chipkarte, alle Türen bis zur Wohnungstür automatisch. Ein Aufzug bringt einen in die gewünschte Etage. Der Clou: Er ist rund zehn Zentimeter breiter als normal und hat Türen in beide Richtungen. Man fährt also einfach hindurch. Parken lässt sich das eigene Fahrrad direkt vor der Haustür – Parkflächen in den sogenannten Laubengängen sei dank. Dies alles gilt im übrigen auch für Lastenfahrräder. In den Wohnungen kann man die Räder, die man nicht draußen stehen lassen möchte an eigens entworfenen Haken an die Wand hängen.
Entworfen hat dieses Schmuckstück das deutsch-schwedische Architekturbüro Hauschild+Siegel, das zudem bei Ohboy gleichzeitig der Bauherr ist. „Uns liegt der nachhaltige Umgang mit den Ressourcen besonders am Herzen“, erklärt Cord Siegel, einer der Büro-Gründer, die Intention hinter dem Projekt. Deshalb macht das Haus nicht nur bei fahrradfreundlicher Architektur halt.
Oben auf dem Dach gibt es eine Orangerie und auf den Balkonen finden sich Blumenkästen mit Bewässerungsvorrichtungen. Im Keller wartet ein Pool an Lastenfahrrädern mit drei verschiedenen Modellen auf die Bewohner. Eines zum Transportieren von Einkäufen, eines als Taxi, wenn man mal Besucher vom nahegelegenen Bahnhof abholen möchte, und eines zum Kinder befördern – ganze sechs Plätze Platz bietend. Zudem gibt es rabattierte Konditionen beim Carsharing direkt vor der Haustür und ein 80-Euro-Jahresguthaben für den ÖPNV. „Für die ganzen Schlechtwetter-Tage“, sagt Siegel und lacht. Ein weiteres tolles Detail: Es gibt neben normalen Briefkästen auch Lieferboxen, in denen Pakete geliefert und bei Retouren wieder abgeholt werden können. „Wir haben versucht, alles zu berücksichtigen, wofür man ein Auto brauchen könnte.“
Perfekte Intergration in die urbane Mobilität
Das Beste: Bis auf das Carsharing ist alles in der Miete enthalten. Und die soll sich nach Angaben von Cord Siegel im moderaten Bereiche von Neubauwohnungen bewegen. „In Schweden muss man sich bei der Festlegung der Miete unter anderem mit dem Mieterschutzbund zusammensetzen“, erklärt er das Prozedere.
Seit Ende Februar sind die Wohnungen bezogen. Alles vermietet, berichtet der Architekt. Doch dies ist kein Grund zum Verzweifeln. Tatsächlich kann jeder in den Genuss des fahrradfreundlichen Hauses kommen. Denn im oberen Teil des Gebäudes ist ein Lofthotel integriert, das im Mai eröffnen soll. Auch bei diesem ist alles auf das Fahrrad ausgerichtet. Wie ein Motel ist es mit jeweils einem eigenen Eingang zu den Zimmern ausgestattet. Im Zimmerpreis inbegriffen ist dabei ein Singlespeed-Klapprad, mit dem man bequem die Umgebung erkunden kann.
Obwohl das Architekturbüro auch in Deutschland aktiv ist, gab es von hier bisher noch keine Anfragen für ein ähnliches Objekt. „Wir planen aktuell noch etwas entsprechendes in Uppsala“, berichtet Siegel. Aber das kann sich ja noch ändern. Durch das Hotel gibt es demnächst vielleicht auch deutsche Gäste, die sich durch ihren Aufenthalt in Malmö zu einer fahrradfreundlichen Bauweise inspirieren lassen.
GASTBEITRAG aus enorm
Text: Phillip Bittner
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