Wald auf Rezept – in vielen Ländern wird das Prinzip der Waldtherapie bereits umgesetzt. Was ein Aufenthalt zwischen Bäumen alles bewirken kann, erklärt Dr. Peter Mayer, der Leiter des österreichischen Bundesforschungszentrum für Wald BFW.
Dr. Mayer, hat ein Aufenthalt im Wald tatsächlich positive Auswirkungen auf unseren Körper und unsere Psyche?
Ja, Waldbesuche sind in der Regel gut für unsere Gesundheit. Vor allem die emotional-psychische Komponente wird sehr stark angesprochen, wenn wir in den Wald gehen. Waldaufenthalte können zur Steigerung von positiven Emotionen führen und negative Emotionen verringern. Wenn man zum Beispiel gestresst ist, erholt man sich im Wald sehr gut.
Sind diese Effekte auch messbar?
Es gibt vor allem in Asien schon länger medizinische Versuche, um diese positiven Wirkungen zu messen, indem beispielsweise die Pulsrate, der Blutdruck und andere Blutwerte analysiert werden, die Indikatoren für Stress sein können. Es zeigt sich, dass diese Werte nach einem Waldbesuch in der Regel abnehmen, dass der Puls ruhiger wird und der Blutdruck sinkt. Waldbesuche sind eine sehr gute Art, um mit Anspannung und Stress umzugehen.
Welche Faktoren sind bei einem Waldaufenthalt entscheidend, damit er seine optimale Wirkung entfalten kann? Wie sieht es zum Beispiel mit der Dauer oder der Anwesenheit von anderen Menschen aus?
Interessant ist, dass ein Waldbesuch schon nach wenigen Minuten zu wirken beginnt. Auch wenn man nur eine viertel Stunde oder eine halbe Stunde Zeit hat – auch ein kurzer Spaziergang ist ein Gewinn und besser, als überhaupt nicht in den Wald zu gehen. Generell haben wir natürlich alle unterschiedliche Wahrnehmungen, wann uns im Wald zum Beispiel zu viele Menschen unterwegs sind und wann wir uns beengt fühlen. Für die meisten Menschen ist allerdings ein Mittelding am angenehmsten – nicht ganz einsam, aber auch nicht von so vielen Leuten umgeben, dass wir uns gestört fühlen. Auch zur optimalen Tageszeit gibt es ein paar Untersuchungen, die allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen sind. Es ist also noch nicht klar, ob diese eine Rolle spielt.
Sind Waldlandschaften erholsamer als andere Naturlandschaften?
Tatsächlich ist der Erholungswert besonders groß, wenn der Wald im Kontext mit offeneren Flächen wie Wiesen oder Seen auftritt. Es zeigt sich, dass diese Kombination von unterschiedlichen Landschaftsstrukturen sehr erholsam auf uns wirkt. Diese Mischung von Wald- und Wiesenflächen ist zum Beispiel typisch für die österreichischen Berg- und Almlandschaften.
Welche Rolle spielen die Bäume?
Es ist denkbar, dass die ätherischen Öle oder andere Stoffe, die manche Bäume in die Luft abgeben, zusätzlich auf unser Wohlbefinden wirken – auch hierzu gibt es Untersuchungen, die noch nicht vollständig abgeschlossen sind. Das ganze Forschungsfeld ist noch sehr jung – und dadurch auch sehr dynamisch. Für uns ist es sehr spannend zu sehen, wie viele Aspekte zusammenwirken.
Gibt es Wälder, die eine größere Heilwirkung entfalten als andere? Sind Mischwälder beispielsweise entspannender als reine Nadelwälder?
Entscheidend ist vor allem die Frage, wie der Wald strukturiert ist, also wie dicht oder hell er ist. Wir als Besucher bevorzugen in der Regel eher übersichtliche Wälder, die nicht zu dunkel sind – etwas Orientierung und Übersicht, die zum Beispiel durch sichtbare Wege entstehen, sind wichtig, damit wir uns wohlfühlen. Es sind meistens nachhaltig bewirtschaftete Wälder, die diese Merkmale aufweisen. In dichten Urwäldern können bei vielen Menschen Unsicherheiten und Ängste entstehen.
Welche Personen können von einem Aufenthalt im Wald besonders profitieren?
Wir haben bei uns am BFW verschiedene Pilotprojekte mit unterschiedlichen Gruppen, zum Beispiel mit alten oder kranken Menschen, aber auch mit Kindern. Auf verschiedene Arten werden diese Gruppen mit dem Ökosystem Wald konfrontiert – bisher kam es bei allen zu positiven Effekten. Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Klinikum zusammen und unternehmen mit Schmerzpatienten Waldausgänge – Wald auf Rezept sozusagen. Auf medizinischer Ebene zeigt sich, dass die Krankheitsverläufe bei diesen Patienten oft viel besser sind, als bei Patienten ohne regelmäßige Waldausflüge.
Wie wirkt der Wald auf Kinder?
Auch mit Schulklassen haben wir ein interessantes Projekt gestartet: Gemeinsam mit Pädagogen haben wir einen Waldtag für die Schüler organisiert, der über die Dauer eines Schuljahres einmal wöchentlich stattfand. Unter den Schülern waren auch einige Kinder mit schwierigen Familienhintergründen. Es hat sich gezeigt, dass der Waldaufenthalt auf sozialer Ebene zu viel mehr Ausgewogenheit und Beruhigung in der Klassengemeinschaft geführt hat, dadurch, dass die Kinder einmal in der Woche in den Wald gehen konnten, Aufgaben und ein Verständnis für Verantwortung bekommen haben. Der Wald kann also auch sehr gut als Mittel in der Pädagogik mit Kindern eingesetzt werden.
Welche Rolle spielt der Wald in Ihrem Leben?
Ich selber lebe in Waldnähe und gehe regelmäßig im Wald spazieren. Er spielt für mich wie für viele Menschen als Erholungsort eine schöne und wichtige Rolle.
Welche Entwicklungen zeigen sich in Sachen „Waldtherapie“ bereits weltweit?
Weltweit gesehen ist diese Tradition in Asien sehr stark. Schon früh wurde dort der therapeutische Effekt eines Waldbesuches als wichtiges Thema etabliert und in Zusammenarbeit mit der Medizin erforscht. In Japan entstand zum Beispiel das Prinzip des „Waldbadens”. In Europa sind wir hier in Österreich relativ weit vorangeschritten, worauf auch die europäische Organisation „Forest Europe” aufmerksam wurde. Mit „Forest Europe“ arbeiten wir im Rahmen einer Studie daran herauszufinden, was in anderen europäischen Ländern auf diesem Gebiet passiert. Generell herrscht aber auch hier ein großes Interesse an dem Thema Wald und Gesundheit – besonders in den skandinavischen Ländern.
Wenn der Wald tatsächlich so wichtig für unser Wohlbefinden ist – wird er dann in Zukunft auch besser geschützt werden?
Grundsätzlich muss man sagen, dass der Wald in Europa sehr gut geschützt wird. Es gibt schon lange das Prinzip der nachhaltigen Waldbewirtschaftung, in das viele verschiedene Aspekte einspielen zum Beispiel die Nachhaltigkeit der Rohstofferzeugung oder der Schutz der Artenvielfalt. Dieser bereits bestehende, nachhaltige Umgang mit dem Wald ist ein guter Garant dafür, dass die Erholungswirkungen der Wälder in Zukunft erfolgreich ausgeschöpft werden können. Über 40 Prozent von Europa sind bewaldet und die Waldflächen wachsen weiterhin.
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Text: Pia Wagner
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