Nach Quiet Quitting und Quiet Firing zieht nun der Begriff Quiet Dumping durch die Medien. Dabei geht es um einen Schlussmach-Trend, der für Betroffene besonders schmerzhaft sein kann. Utopia hat mit der Paartherapeutin Diana Boettcher über das Phänomen geredet – und darüber, wie man Beziehungen auf faire Weise beendet.
Bei Quiet Quitting geht es darum, in der Arbeit nicht mehr zu leisten als das Minimum. Dieses Konzept lässt sich auch auf Beziehungen übertragen – dann nennt man es Quiet Dumping. Dabei distanziert sich der:die Partner:in allmählich, ohne zu erklären, wieso, und ohne die Beziehung offiziell zu beenden. Doch wieso? Und was macht das mit beiden Partner:innen? Wie macht man richtig Schluss? Utopia hat mit der Paartherapeutin Diana Boettcher über diese Fragen gesprochen. Sie berät seit 2017 Paare und kennt sich auch mit Quiet Dumping aus.
Therapeutin zu Quiet Dumping: „Rückblickend berichten viele, dass die letzte Phase der Beziehung viel zu lange ging“
Utopia: Wie würden Sie Quiet Dumping definieren? Der Partner oder die Partnerin kümmert sich nicht mehr um die Beziehung, macht aber auch nicht Schluss?
Diana Boettcher: Hier muss man differenzieren. Es geht darum, dass sich ein Partner emotional gelöst hat. Die Gefühle von Zuneigung, Liebe und Anziehung sind für ihn oder sie mit der Zeit schwächer geworden, bis sie schließlich nicht mehr vorhanden waren. Trotzdem bleibt man nach Außen in der Beziehung miteinander.
Wieso sollte man das tun, also in der Beziehung bleiben, anstelle einen klaren Schlussstrich zu ziehen?
Das ist typabhängig. Manche Menschen legen mehr Wert auf Stabilität als auf Emotionalität, dadurch können sie diese Situation länger aushalten. Es ist trotzdem nur ein Aushalten, keine Idealsituation. Rückblickend berichten viele, dass diese letzte Phase der Beziehung viel zu lange ging und ihnen nicht guttat.
Und die andere Person, die kein Quiet Dumping betreibt?
Der andere Partner ist meist schon noch bemüht um die Beziehung, selten lösen sich beide gleichzeitig emotional. Das weiß auch die Person mit Trennungswunsch. Sie will den anderen nicht verletzen und vermeidet dann, sich mit der Trennung auseinanderzusetzen. Wir Menschen neigen dazu, dass wir Sachen einfach aufschieben oder vermeiden – bis der Leidensruck so groß wird, dass wir zur Veränderung gezwungen werden.
Man rechtfertigt Quiet Dumping sich selbst gegenüber also damit, den anderen nicht verletzen zu wollen?
Das wird oft vorgeschoben. Man sagt sich: ‚Ich halte die Situation aus, ich will den anderen oder die andere nicht verletzen.‘ Oder: ‚Ich bin dankbar, er oder sie hat ja nichts falsch gemacht.‘ Aber das sind vorgeschobene Gründe. Dahinter steckt die Angst vor Konflikten, vor Veränderung. Und die Angst davor, allein zu sein.
„Viele Betroffene finden sich mit dem Ist-Zustand ab. Beide leiden dann im Stillen“
Wenn der Partner oder die Partnerin Quiet Dumping betreibt – was löst das im anderen aus?
Selbst bei stabilen Beziehungen, die von Anfang an nicht stark von Emotionalität geprägt waren, wird der Partner merken, dass der oder die andere auf Abstand geht – und dies ebenfalls tun. Er oder sie hält den Zustand dann aus, zieht sich zurück, gibt der anderen Person Raum und hofft, das legt sich wieder. Vielleicht spricht man die Person, die sich zurückzieht, auch auf ihr Verhalten an. Kommt dann eine Ausrede in Richtung: ‚Ich hab grade viel zu tun.‘ oder ‚Mir geht’s grad nicht so gut.‘, lässt man ihn oder sie in Ruhe. Man will den anderen nicht bedrängen, merkt aber: Die Situation wird nicht besser. Viele Betroffene finden sich mit dem Ist-Zustand ab. Gerade, wenn ein Paar Kinder hat, ist man dankbar dafür, dass der Alltag funktioniert. Dieser Zustand kann viele Jahre lang anhalten. Beide leiden dann im Stillen.
Gibt es auch Partner oder Partnerinnen, die anders auf Quiet Dumping reagieren? Die Person, die sich zurückzieht, konfrontieren?
Andere Paare haben eine ausgeprägte Emotionalität. Das heißt, ihre Beziehung wird dynamischer und leidenschaftlicher gelebt. Sie gehen Konflikten nicht aus dem Weg und finden in der Versöhnung wieder zueinander. Wenn einer der Partner sich aus dieser Dynamik rauszieht, merkt der andere das sofort und die Konflikte nehmen dann in der Regel zu. Der andere Part lässt nicht locker und versucht herauszufinden, wieso der oder die andere sich plötzlich so anders verhält. Oft fühlen sich diese Menschen sehr frustriert und ängstlich und wollen nicht mehr in so einer Beziehung weiterleben. Das gilt dann aber nicht mehr als Quiet Dumping.
Woran merkt man, dass der Partner oder die Partnerin sich langsam aus der Beziehung zurückzieht?
Oft sprechen Paare zwar noch über oberflächliche Themen wie Arbeit, die Organisation des Alltags, die Familie. Aber es gibt immer weniger Gespräche auf einer persönlichen Ebene, in Richtung: Wie geht es dir? Wie geht es mir? Wie fühlst du dich? Wo stehst du grade in deinem Leben? Auch der körperliche Kontakt wird weniger, bis er komplett verschwindet. Man hat zum Beispiel keinen Sex mehr miteinander. Auch zärtliche Berührungen wie Küsse nehmen ab. Man umarmt sich nicht mehr oder nur noch mechanisch. Auch haben die Paare weniger Augenkontakt und vermeiden Zweisamkeit. Man trifft sich zum Beispiel nicht mehr allein und macht nur noch Sachen zusammen, wenn andere Menschen dabei sind – also zum Beispiel Familie oder Freunde. Das sind deutliche Anzeichen.
Quiet Dumping gibt es auch bei Freundschaften oder in der Familie
Langsames Entfremden kennt man nicht nur von romantischen Beziehungen. Gibt es Quiet Dumping auch in anderen Beziehungsformen?
Absolut – gerade in langen Freundschaften, während denen man sich unterschiedlich entwickelt. Um mal ein klassisches Beispiel zu nennen: Man kennt sich aus der Studienzeit, schlägt nach dem Abschluss aber unterschiedliche Berufswege ein. Dadurch verändert man sich und merkt schließlich, dass man nicht mehr so viele Gemeinsamkeiten hat. Die gemeinsamen Treffen sind nicht mehr so verbindend, man hat sich weniger zu erzählen, der Kontakt nimmt ab. Dann kann diese Beziehung ebenfalls auseinandergehen – diese Prozesse sind in der Regel aber nicht so schmerzlich wie das Ende von romantischen Beziehungen. Je enger die Freundschaft, desto mehr Verlust empfindet man trotzdem.
Und in Familien?
Auch in Familien gibt es solche Prozesse, zum Beispiel unter Geschwistern. Diese haben während ihrer Kindheit oft ein inniges Verhältnis, können sich als Erwachsene aber entfremden. Man trifft sich dann zwar noch zu ‚Pflichtveranstaltungen‘ innerhalb der Familie, zum Beispiel zur Weihnachtsfeier, hat aber nicht mehr diesen engen Kontakt.
„Bevor die Trennung ausgesprochen wird, vergehen im Durchschnitt 2-3 Jahre“
Egal welche Beziehungsform: Quiet Dumping scheint keine gute Methode zu sein, um sich zu trennen.
Nein, aus psychologischer Sicht ist es nicht empfehlenswert. Und auch Menschen, die Quiet Dumping erfahren haben, würden es nicht empfehlen. Viele sagen, sie hätten einander Lebenszeit gestohlen und als Paar gemeinsam viel zu lange eine so ungünstige Situation ausgehalten. Das entzieht einem Energie und Lebenskraft. Es ist auch eine Belastung für die Psyche. Zwar eine niedrige, deshalb können wir sie lange aushalten. Aber mit der Zeit schadet sie uns.
Kommt Quiet Dumping oft vor?
Für mache Beziehungen ist es leider der normale Trennungsprozess. Bevor die Trennung ausgesprochen wird, vergehen im statistischen Durchschnitt 2-3 Jahre, das ist bekannt als die Ambivalenzzeit. Wenn ein Paar in dieser Phase zu uns in die Beratung kommt, sprechen wir das klar an.
Was raten Sie diesem Paar dann?
Wir versuchen gemeinsam herauszufinden, ob das Paar auf einer emotionalen Ebene zumindest noch minimal verbunden ist und ob eine Bereitschaft besteht, mehr Gefühle füreinander wiederzuerwecken. Und somit die Beziehung zu kitten.
Wie hoch sind die Chancen, die Beziehung noch zu retten?
Wenn man einmal emotional gelöst ist, dann ist man gelöst, das lässt sich in den meisten Fällen nicht reparieren. Manchmal steckt aber auch eine unausgesprochene Verletzung dahinter, die den einen Part auf Abstand hält, weshalb man für den Partner oder Partnerin keine Gefühle mehr spürt. Dann hat das Paar noch eine größere Chance. Wir versuchen dann, einen Zugang zu den Gefühlen zu finden, über Heilungs- und Vergebungsprozesse. Da aber Paare leider im Schnitt 2-6 Jahre zu spät in die Beratung kommen, können wir in manchen Fällen nur noch eine Trennung begleiten. Diese verläuft dann aber verständnisvoll und konfliktarm.
Statt Quiet Dumping: Wie man sich richtig trennt
Die Trennung kann im schlimmsten Fall also Jahre dauern, diese Zeit ist für beide belastend. Wann ist der richtige Zeitpunkt, sich zu trennen?
Immer dann, wenn man merkt, dass man den anderen nicht mehr liebt. Aber das ist aus verschiedenen Gründen schwer. Zum Beispiel haben wir Ängste und Sorgen, die unsere Entscheidungen beeinflussen. Auch sind wir im Alltag nicht immer perfekt reflektiert. Sobald man aber spürt, dass man in der Beziehung nicht glücklich ist, sollte man das ansprechen und sich Hilfe holen. Mit Unterstützung fällt es uns leichter, entweder das Ruder noch mal rumzureißen oder die zehrende Trennungszeit bewusst zu verkürzen.
Wo holt man sich am besten Unterstützung?
Eine Paartherapie kann immer dabei helfen, herauszufinden, ob es sich realistisch betrachtet lohnt, um eine Beziehung zu kämpfen – oder ob eine Trennung langfristig der bessere Weg für das Paar ist. In beiden Fällen brauchen wir Unterstützung. Wenn sich das Paar trennt, brauchen beide zusätzlich sozialen Beistand durch Freunde, Familie, Außenstehende. Trennung ist ein Prozess, der aus verschiedenen Schritten besteht. Die Betroffenen brauchen jemandem, der einem sagt, was der nächste ist – damit man nicht den fünften Schritt vor dem zweiten macht. Das schafft keine Familie und kein Paar allein.
Welchen Tipp würden Sie der Person, die sich trennen will, besonders ans Herz legen?
Ganz wichtig ist, dass man offen und ehrlich miteinander kommuniziert. Man sollte dem anderen zum Beispiel nicht scheibchenweise offenbaren, dass man sich trennen will, um die Gefühle der Person zu schonen – das geht meist nach hinten los. Wissen beide Bescheid, sollte man sich bei der Trennung Zeit lassen. Oft hat ein Partner schon viel stärker mit der Beziehung abgeschlossen als der andere. Man sollte dann auf den anderen warten, und nicht darauf drängen, schnell Entscheidungen zu fällen. Organisatorische Fragen wie ‚Wie teilen wir uns räumlich auf?‘ oder ‚Was machen wir mit der Wohnung?‘ können ein bisschen warten. Es reicht, Übergangslösungen zu finden, bis beide bereit sind, sich der neuen Situation anzupassen.
Gemeinsam Zeit verbringen: „Es reicht nicht, vorm Fernseher zu sitzen oder beim Essengehen ein bisschen zu quatschen.“
Bei Quiet Quitting im beruflichen Kontext geht es darum, nicht zu viele Ressourcen in die Arbeit zu investieren, sondern nur so viel zu leisten, wie nötig. Was ist in Beziehungen ratsam? Wie viel der eigenen Zeit und Aufmerksamkeit sollte man dem Partner oder der Partnerin in einer gesunden Beziehung widmen?
Jedes Paar ist unterschiedlich. Manche verbringen sehr viel Zeit miteinander und tauschen sich viel aus. Für sie ist es wichtig, das beizubehalten. Andere Paare unternehmen mehr getrennt voneinander. Wenn sie Zeit zusammen haben, erleben sie diese oft als sehr intensiv und verbindend. Das ist für das Paar dann ideal.
Also kann man keine pauschalen Ratschläge geben?
Am Ende ist es wichtig, dass man überhaupt Zeit miteinander verbringt und dass diese Zeit qualitativ ist. Zum Beispiel reicht es nicht, gemeinsam vorm Fernseher zu sitzen oder beim Essengehen ein bisschen zu quatschen. Man muss miteinander im emotionalen Austausch sein, sich Zuneigung und körperliche Nähe geben, warme Gefühle für den anderen spüren. Heutzutage brauchen wir noch engere Verbindungen, weil Beziehungen mehr aushalten müssen.
Wieso müssen Beziehungen heute mehr aushalten als früher?
Auf der einen Seite wollen wir aus den veralteten Rollenbildern raus, um ein hohes Maß an Gleichberechtigung in einer Partnerschaft zu erreichen. Das geht meist nicht konfliktfrei. Und zum anderen haben wir einen emotional höheren Anspruch an unsere romantischen Beziehungen. Wir wollen in unserem Wesen gesehen, verstanden und angenommen werden. Wir wollen uns gemeinsam weiterentwickeln und das können wir nur in lebendigen Beziehungen.
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