Soziale Netzwerke, Fernsehen, Zocken: Wie viel Zeit Kinder und Jugendliche mit digitalen Medien verbringen, ist in vielen Familien ein Streitthema. Fachleute geben Eltern nun klare Orientierungswerte an die Hand.
Wie viel Zeit sollen und dürfen Kinder und Jugendliche mit Tablet, Smartphone, PC, Spielkonsole, TV & Co. verbringen? Eine Frage, die daheim am Familientisch, in Gesprächen mit anderen Eltern, in der Schule und unter Kindern und Jugendlichen ohne Ende diskutiert wird. Meist ohne Lösung. Das Problem: Kinder haben völlig andere Vorstellungen als ihre Eltern, diese sind oft nicht so konsequent, wie sie gerne wären und keine:r weiß so richtig, ab wann viel Medienkonsum auch wirklich zu viel ist.
Mit konkreten Tipps wollen Fachleute Eltern helfen, die Bildschirmzeit ihrer Kinder zu begrenzen. Für Kinder und Jugendliche sei es umso besser, je weniger Zeit sie vor Bildschirmen verbringen, heißt es in einer medizinischen Leitlinie, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und mit Beteiligung der Uni Witten/Herdecke entstanden ist. Darin geht es darum, einer Suchtentwicklung vorzubeugen.
Durch die übermäßige Nutzung von Bildschirmmedien wird nicht nur Computerspielsucht, sondern auch Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Empathieverlust und schlechte Schulleistungen als Negativfolgen genannt.
Wie viel Bildschirmzeit für Kinder und Jugendliche?
Und so schaut sie aus, die empfohlene gesamte Bildschirmzeit, die laut den Expert:innen für alle Bildschirmmedien gelten sollte – vom Fernsehen über das Zocken am Computer bis zur Internetnutzung per Smartphone:
- Unter 3 Jahren: Die Allerkleinsten sollten von jeglicher passiven und aktiven Nutzung von Bildschirmmedien ferngehalten werden, wie die Autor:innen schreiben. Das bedeutet, dass vor ihren Augen zum Beispiel möglichst auch die Eltern nicht ständig aufs Handy schauen sollten.
- 3 bis 6 Jahre: Geraten wird zu höchstens 30 Minuten an einzelnen Tagen zum Heranführen an solche Medien. Das Kind soll dabei nicht allein gelassen werden. Die Nutzung einer Sand- oder Stoppuhr könne helfen zu begreifen, wie schnell die Zeit vor dem Bildschirm verfliegt.
- 6 bis 9 Jahre: höchstens 30 bis 45 Minuten an einzelnen Tagen, außerhalb der Hausaufgaben am Bildschirm.
- 9 bis 12 Jahre: höchstens 45 bis 60 Minuten in der Freizeit vor einem Bildschirm und nur beaufsichtigter Internetzugang.
- 12 bis 16 Jahre: maximal ein bis zwei Stunden täglich in der Freizeit und spätestens bis 21.00 Uhr. Weiterhin mit inhaltlicher Begleitung und beschränktem Internetzugang.
- 16 bis 18 Jahre: Die Zeit durch Regeln festlegen, als ein Orientierungswert werden zwei Stunden Nutzung in der Freizeit pro Tag angegeben.
Ab wann dürfen Kinder eigene Geräte haben?
Auch auf die Frage, ab welchem Alter eigene Geräte erlaubt sein sollten, hat die Leitlinie Antworten parat:
- Kinder unter neun Jahren sollten laut Leitlinie weder eine eigene Spielkonsole noch einen freien Internetzugang bekommen. Wer eine eigene Konsole besitze, verbringe im Schnitt doppelt so viel Zeit mit Computerspielen wie Kinder ohne. Die Autor:innen raten zum Aufbewahren des Geräts in einem abgeschlossenen Schrank, um als Eltern über die Nutzung bestimmen zu können.
- Ein eigenes Smartphone wird frühestens ab 9 Jahren, besser frühestens ab 12 Jahren empfohlen, wobei der Internetzugang eingeschränkt sein solle. Ab 16 Jahren könne er uneingeschränkt sein.
Utopia meint: Leitlinien nur bedingt hilfreich
So richtig viele Punkte dieser Leitlinie in der Theorie sicherlich sind, so unrealistisch sind sie leider für viele Familien, wenn es um die Umsetzung geht. Kinder unter drei Jahren ganz vom Bildschirm fernzuhalten, ist beispielsweise oft nur möglich, wenn es keine älteren Geschwister in der Familie gibt.
Noch wichtiger als die Frage, wie viel Zeit Kinder mit den digitalen Medien verbringen dürfen, sind zwei anders gelagerte Punkte:
- Bildschirmzeit ist nicht gleich Bildschirmzeit. Hier lautet die Frage: Mit welchen Inhalten verbringt mein Kind seine Bildschirmzeit? Altersgerechte und qualitativ hochwertige Inhalte sind natürlich vorzuziehen. Zudem ist zwischen passiver und aktiver Bildschirmzeit zu unterscheiden. Bei aktiver Bildschirmzeit müssen Kinder denken, kreativ Lösungen entwickeln oder interagieren. Bei passiver lassen sie sich nur berieseln.
- Die Balance macht’s – auch bei der Bildschirmzeit. Wenn Kinder Freund:innen haben und diese im „wahren“ Leben treffen, Sport treiben und ihren Hobbys nachgehen und bei alldem die Schule nicht vernachlässigen, müssen Eltern meist weniger auf die Bildschirmzeit schauen als bei Kindern, die hier Probleme haben.
Empfehlungen für Kinder und Jugendliche – für jedes Alter
#1: Interesse und im Gespräch bleiben
Eltern müssen nicht alles spannend oder alles richtig finden, was ihre Kinder am Bildschirm machen. Aber es ist wichtig, immer wieder nachzufragen und Interesse zu zeigen: „Was spielst du da gerade? Wie funktioniert das? Erklär mir, was dir da wichtig ist.“
Deshalb: Schau dir an, was dein Kind am Handy macht und überlege, welche Bedürfnisse es dabei befriedigen möchte. Viele dieser Bedürfnisse lassen sich – mit einem gewissen Engagement – auch jenseits der digitalen Welt befriedigen.
#2: Bildschirmmedien sind keine Belohnung, Bestrafung oder Beruhigung
Bildschirmzeit soll nicht als Belohnung eingesetzt werden und sollte – auch wenn es manchmal verführerisch ist – nicht dazu dienen, dein Kind zu beschäftigen, damit du in Ruhe arbeiten, kochen oder aufräumen kannst. Und, da sind sich Pädagog:innen einig: Das Handy als Strafe zu sperren oder es wegzunehmen, ist keine gute Idee.
#3: Keine Medien beim Essen
Während des Essens, insbesondere bei gemeinsamen Mahlzeiten in der Familie, sollte der Fernseher, alle Smartphones und alle anderen Bildschirmmedien ausgeschaltet sein. Beim Filme-Schauen oder Computerspielen nicht nebenher essen. Ansonsten gilt: Besser als starre Regeln ist meist ein flexibler, kooperativer Ansatz bei der Regelung der Bildschirmzeit.
#4: Eltern sind Vorbilder
Kinder machen nach, was sie bei den Erwachsenen sehen. Frag dich deshalb: Bin ich ein gutes Vorbild? Leg dein Handy weg, wenn du dich mit deinem Kind unterhältst. Dreh die Rolle doch einfach mal um und bitte dein Kind, dein eigenes Handy-Verhalten zu bewerten. Welche Regel würde dein Kind vielleicht gerne für dich aufstellen?
Riskante Social Media-Nutzung steigt
Eine aktuelle Studie zeigt, wie groß der Suchtfaktor Smartphone inzwischen ist. Die Krankenkasse DAK-Gesundheit und das Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) haben die Nutzung von Social Media und digitalen Spielen sowie die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Jugendlichen untersucht.
Das Ergebnis: Die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland hat sich in und nach der Pandemie deutlich verändert. Aktuell nutzen knapp 25 Prozent der Minderjährigen soziale Medien riskant. Das sind hochgerechnet 1,3 Millionen Mädchen und Jungen – dreimal so viele wie im Jahr 2019. Sechs Prozent der 10- bis 17-Jährigen erfüllen derzeit die Suchtkriterien einer pathologischen Nutzung. Hochgerechnet sind dies 360.000 Kinder und Jugendliche – fast doppelt so viele wie vor vier Jahren.
Laut der Mediensucht-Studie verbringen Kinder und Jugendliche an einem normalen Wochentag durchschnittlich 150 Minuten in sozialen Netzwerken (2019: 123 Minuten), am Wochenende sind es mit 224 Minuten über dreieinhalb Stunden (2019: 191 Minuten).
Jedes vierte bis fünftes Elternteil gab bei der Befragung an, sich Sorgen um die Mediennutzung des Kindes zu machen. Und fast jedes dritte Elternteil sieht sich beim Thema nicht als Vorbild. Dabei habe die Medienkompetenz der Eltern und ein gesunder Mediengebrauch starken Einfluss auf das Nutzungsverhalten ihrer Kinder. „Eltern mit einer hohen digitalen erzieherischen Selbstwirksamkeit stellen deutlich häufiger Regeln für medienfreie Zeiten auf“, sagt Prof. Rainer Thomasius, Studienleiter und Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am UKE Hamburg. „Ferner setzen sie aufgestellte Medieninhalte deutlich konsequenter um.“
Hinweis zur Leitlinie: Die Leitlinie AWMF S2k richtet sich an Familien sowie an Mediziner:innen, Ärzt:innen und Psychiater:innen, die Kinder und Jugendliche behandeln. Zudem soll sie übergeordneten Organisationen wie Krankenkassen, Schulen, Kindergärten, Jugend-, Schul- und Versorgungsämtern, Erziehungsberatungsstellen oder anderen Personen und Einrichtungen, die sich mit Fragen zu Kindergesundheit und Kindeswohl auseinandersetzen, Orientierung geben.
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