Wenn der Sommer geht, steigt bei vielen ein Gefühl von Wehmut auf. Ein Psychologe erklärt, warum das normal und eigentlich auch schön ist – und wie wir das Beste aus der „End of Summer Sadness“ machen können.
Der Himmel trüb, die Ferien vorbei – und sowieso geht die Sonne demnächst wieder vor acht Uhr abends unter. Kein Wunder, dass auch die Laune bei vielen Menschen Ende August, Anfang September sinkt. „End of Summer Sadness“ heißt das oft bei Instagram und Tiktok, wo viele nochmal ein paar Sommer-Highlights posten oder gedankenvoll aufs Meer blicken.
Mit schönen Erinnerungen vermischt sich vielleicht auch der Gedanke, den Sommer nicht „richtig“ ausgenutzt zu haben – dass man nicht öfter zum See gegangen oder nicht weggefahren ist.
Es ist „eine Mischung aus Dankbarkeit und Verlustgefühl – der Sommer hat leise die Koffer gepackt“, und es ist ganz normal, sagt Dirk Stemper, Psychologe und Psychotherapeut in Berlin: Es „signalisiert einen Rhythmuswechsel – keine Störung, sondern einen Übergang“. Er erklärt, warum das so ist – und er hat Tipps, wie wir diesen Übergang gut gestalten.
Wichtig: „End of Summertime Sadness“ ist nicht zu verwechseln mit einer Sommerdepression. Bei letzterer handelt es sich um eine Form der saisonal abhängigen Depression, die während der Sommermonate auftritt.
Warum haben wir dieses diffuse Trauer- und Wehmutsgefühl?
Neurobiologisch: Weniger Tageslicht verschiebt die innere Uhr, Hauptzeitgeber des Gehirns im suprachiasmatischen Nukleus (SCN), und beeinflusst Serotonin– und Dopamin-Systeme – Stimmung, Antrieb und Schlaf geraten leichter aus dem Takt. Aktuelle wissenschaftliche Arbeiten zeigen, dass menschliche Rhythmen weiterhin auf Jahreszeiten reagieren, trotz Kunstlicht und Büroalltag.
Psychologisch: Das Sommerende markiert einen Rahmen- und Rhythmuswechsel: Freiheit, Außenkontakte, Lichtfülle – all das geht zurück. Die Psyche bewertet den Übergang mit Wehmut.
Sollte man „End of Summertime Sadness“ unterdrücken?
Wegdrücken verstärkt Rebound-Stress. Sinnvoller ist es, die Wehmut zuzulassen. Sie gehört zum Jahreszeitenwechsel in unseren Breiten – darum gibt es auch so viele Volkslieder und Gedichte, die den Abschied vom Sommer, mit seinem Licht und seiner Wärme, und die Wehmut vor dem lichtlosen, kalten Winter, mit kurzen Tagen und beengtem Leben beschreiben.
Was dort außerdem mitschwingt, ist die Umdeutung der Betrübnis über die erinnerte Sommerseligkeit in eine über unsere unentrinnbare Vergänglichkeitserfahrung.
Sinnvoller als Wegdrücken ist: die Wehmut zulassen, rahmen, steuern – also Gefühle benennen, Bedeutung geben und den Alltag gezielt strukturieren. Diese Haltung erhöht die Bewältigungskompetenz und senkt sekundären Stress.
Wie mit „End of Summer Sadness“ umgehen?
„Morgens Licht, tagsüber Bewegung, abends Ruhe – dieser Dreiklang stabilisiert.“
Dirk Stemper empfiehlt fünf evidenzbasierte Strategien für einen guten Übergang, die aus der Forschung zum Seasonal Affective Disorder (SAD) kommen:
1. Licht am Morgen priorisieren
Direkt nach dem Aufstehen 20–30 Minuten helles Tageslicht, idealerweise draußen; bei Bedarf medizinisch geprüfte Lichtbox (10.000 Lux, UV-arm) – am besten morgens, Blick leicht seitlich.
2. Schlaf-Rhythmus stabilisieren
Feste Zubettgeh- und Aufstehzeiten, abends Displays dimmen, tagsüber kurze Aktiv-Inseln. Der gleichmäßige Takt glättet Stimmungsschwankungen.
3. Behavioral Activation verankern
Drei Anker pro Woche: Ausdauerbewegung, Naturkontakt, soziale Verabredung – fix im Kalender, unabhängig von aktueller Laune. Das aktiviert antidepressive Mechanismen.
4. Kognitive Mini-Übungen
Gedanken-Stopp und Reframing in zwei Sätzen: „Übergang ist kein Verlust. Ich achte heute auf Licht, Bewegung, Kontakt.“ Kurze, klare Selbstinstruktionen reduzieren Grübelschleifen.
5. Achtsamkeit
Alltagswege „achtsam gehen“ (Sinne fokussieren, Atem zählen) und mit einer kleinen Tätigkeit koppeln (zum Beispiel ein 10-Minuten-Walk nach dem Mittag). Das stärkt Akzeptanz und Präsenz.
„So wird die ‚End-of-Summer-Sadness‘ kein Fall für den Therapeuten, sondern eine menschliche Erfahrung – eine Erinnerung daran, dass dieser Abschied eine Quelle von Schönheit ist.“
Was, wenn die Traurigkeit trotzdem bleibt?
Wichtig: Bei anhaltender Niedergeschlagenheit, ausgeprägten Schlaf-/Appetitveränderungen oder Funktionsverlust empfiehlt sich immer fachliche Abklärung, dazu rät auch Dirk Stremper. Etwa den:die Hausärzt:in oder einen approbierten Psychotherapeuten kontakrieren, die dann weiterhelfen. Lichttherapie und Kongnitiv-Behaviorale Therapie zeigen gute Wirksamkeit.
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