Würdest du dich schockgefrieren oder im Recycling-Sarg aus Pappe unter die Erde legen lassen? Neue Bestattungsarten und ungewöhnliche Materialen machen Öko-Beerdigungen möglich. Aber bleibt bei „Öko bis in den Tod“ genügend Platz für Pietät? Utopia diskutiert über ein Thema, das mindestens bis an die Grenzen geht. Ein Kommentar.
Wie will ich leben, was will ich tun, wer will ich sein? Die moderne Gesellschaft schenkt uns viele Freiheiten und wir sind gezwungen, sie zu nutzen. Das, was ich bin, wird meinen Entscheidungen zugeschrieben, für die niemand außer mir selbst verantwortlich ist. Welchen Beruf übe ich aus, wo will wohnen, mit wem bin ich liiert, will ich heiraten, sogar Kinder in die Welt setzen?
Angesichts der vielen Fragen, die sich während eines modernen Lebens stellen, erscheint es doch viel verlangt, auch noch für den eigenen Tod die Verantwortung zu übernehmen. Und eigentlich will sowieso niemand darüber nachdenken, worauf das Ganze unweigerlich zuläuft.
Der moderne Weg zurück zum Ursprung ist nicht ökologisch
Hin und wieder wird dennoch über den Tod geredet – zunehmend über einen Trend, der unserer schonenden Todesverdrängung zuwiderläuft: Öko-Beerdigungen. Wie bitte, kann ich denn der Umwelt jetzt auch noch nach meinem Tod schaden? Aufgebracht zu reagieren liegt nahe. Der Weg eines Körpers zurück zu seinem Ursprung ist doch etwas Natürliches, mag man denken.
Aber unser modernes Leben macht sowohl Beerdigungen als auch Einäscherungen zu Prozessen, die eine ökologische Gesinnung kreuzen: Särge mit umweltschädlichen Lacken, Klebern und ewig in der Erde verweilendem Plastikinnenleben, Medikamentenrückstände, Quecksilber aus Amalgam-Zahnfüllungen und andere moderne Artefakte können Luft und Böden verunreinigen – und wie bei allen Dingen des Lebens haben wir es mit Energie-, Rohstoff- und Platzproblemen zu tun.
Pappsärge – die letzte Reise im Karton
In Deutschland versucht man dem Umweltproblem nach dem Tod zum Beispiel mit immer besseren Filteranlagen in Krematorien Herr zu werden. Das Bestattungsgesetz der meisten Bundesländer sieht zudem bei Beerdigungen eine Vollholzsarg-Pflicht vor. Diese ist zwar ein guter Ansatz, aber kein Garant für einen umweltfreundlichen Sarg: Auf Lacke und Metallgriffe wird nur selten verzichtet.
Ein ganz anderer Wind weht inzwischen aus den USA und Großbritannien, wo sich Pappsärge und seit neuestem auch geflochtene Korbsärge einer großen Beliebtheit erfreuen. Pappsärge werden anstatt aus wertvollem Holz meist aus recyceltem Altpapier hergestellt und sollen bei einer Einäscherung im Vergleich zu einem Holzsarg etwa drei Viertel weniger Kohlendioxid verursachen.
Die Vollholzsarg-Pflicht der meisten deutschen Bundesländer ist gewiss der Hauptgrund, warum die Nachfrage nach Särgen aus Pappe oder Karton bundesweit unter einem Prozent liegt, aber nicht der einzige. Die letzte Reise im Karton scheint in unserer Bestattungskultur keinen Platz zu haben.
Schockgefrieren & Pulverisieren – so weit geht die Öko-Beerdigung
Eine weitaus radikaler anmutende Lösung für das Umweltproblem nach dem Tod kommt aus Schweden. Die Biologin Susanne Wiigh-Mäsak hat sozusagen das Gegenteil zur Leichenverbrennung erfunden: die Gerfriertrocknung (Promession). Dabei wird ein Leichnam schockgefroren und anschließend in ein Bad aus flüssigem Stickstoff getaucht, der eine Temperatur von minus 196 Grad hat. So erstarrt der Körper und wird brüchig wie Glas. Schallwellen in einer Vibrationskammer sorgen nun dafür, dass er zu einer pulverigen Substanz zerfällt. In einer Vakuumkammer wird dieser das Wasser entzogen, Metallteile wie Zahnfüllungen und künstliche Hüftgelenke werden entfernt.
Für die Beisetzung der wenigen sterblichen Überreste genügt nun ein kleiner biologisch abbaubarer Sarg und ein flaches Grab von nur 30 Zentimetern Tiefe. Die Verrottung ist schon innerhalb eines halben Jahres abgeschlossen.
Die Promession ist in Deutschland zwar noch nicht erlaubt, aber ihre bloße Thematisierung hat eine Debatte befeuert, die exemplarisch für die Problematik der Öko-Beerdigungen steht. Die grünen Abgeordnete Maike Schaefer hat vor dem Bremer Senat vor einiger Zeit einen Antrag für mehr Umweltfreundlichkeit auf Friedhöfen gestellt. Ihre Frage „Wie bewertet der Senat andere, umweltfreundlichere Alternativen zur Einäscherung, wie zum Beispiel die Promession (Gefriertrocknung mit anschließender Kompostierung)?“, sorgte für Empörung.
Die CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann sah in dem Antrag eine „ökologische Verwertung von Leichen“. Das sei mit der CDU nicht zu machen und „ethisch nicht verantwortbar. Das geht zu weit“.
Debatte: Öko bis in den Tod?
Für eine Politikerin einer explizit christlichen Partei scheint die Infragestellung traditioneller Bestattungsmethoden durch einen ökologischen Ethos die Grenzen der Pietät zu überschreiten. Utopia möchte sich selbstverständlich nicht blind auf die andere Seite stellen und die Achtung vor dem Tod einer Öko-Religion unterwerfen.
Wir wollen aber auch nicht der CDU das letzte Wort überlassen und fragen: Geht es schon zu weit geht, wenn man von der ökologischen Gefriertrocknung redet, sind umweltfreundliche Pappsärge einfach nur pietätlos oder sind es interessante Alternativen für Menschen, die so aus dem Leben gehen möchten wie sie es gelebt haben – in einem verantwortungsvollen und achtsamen Umgang mit ihren Mitmenschen und der Natur?
Pietätlos: Grabsteine aus Kinderarbeit
Bei der Wahl eines Grabsteins geht es nicht um die fragliche Pietät beim Umgang mit dem Körper eines oder einer Verstorbenen. Achtung ist hier vor den Lebenden gegeben, vor allem vor Kindern: Es wird angenommen, dass etwa die Hälfte aller in Deutschland verkauften Grabsteine aus Kinderarbeit stammt.
Insbesondere in Indien gehört die Arbeit von Kindern in Steinbrüchen zur Tagesordnung. Das Bild ist an Zynismus kaum zu übertreffen: Für die Aushängeschilder unserer letzten Ruhestätte verrichten kleine Kinder aus ärmsten Ländern körperliche Schwerstarbeit. Beim Besuch eines Grabes kann man sich so nicht nur um den Verstorbenen, sondern gleich an das ganze Übel dieser Welt erinnern.
Dem zu entkommen ist allerdings nicht schwer: Die Naturstein-Siegel Xertifix und Fair Stone gewährleisten unter anderem, dass importierte Natursteine, die zu Grabsteinen verarbeitet werden, nicht mit Kinderarbeit hergestellt wurden. Besser noch sind Grabmäler von Steinmetzen, die nur heimische Steine verwenden.
Persönliches Schlusswort
Mit einem Thema wie Beerdigungen schreibt man sich auch als Redakteur an die Grenze des Erträglichen. Wenn es auch um die eigene Endlichkeit geht, fallen Recherchen und viele Wörter schwer, man verliert sich im Ungewissen. Aber bei einem bin ich mir sicher: Meinen Grabstein soll kein Kind geschlagen haben.
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