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NTDs: Warum diese vernachlässigten Tropenkrankheiten auch uns betreffen

neglected tropical disease
Foto: CC0 / Pixabay / Lipso_Kozerga

Die Abkürzung NTD steht für „Neglected Tropical Disease“. Gemeint sind damit Tropenkrankheiten, denen Medizin und Politik kaum Aufmerksamkeit widmen. Woran das liegt und wie sich NTDs auch über tropische Länder hinaus verbreiten, liest du hier.

Neglected Tropical Diseases, also vernachlässigte Tropenkrankheiten, ist ein Sammelbegriff für verschiedene Krankheitsbilder. Die WHO zählt derzeit insgesamt 20 Krankheiten als NTDs – andere Quellen nennen jedoch abweichende Zahlen. Die betreffenden Krankheiten werden durch sehr unterschiedliche Überträger ausgelöst, zu denen nicht nur Viren und Bakterien gehören, sondern auch Parasiten, Pilze und Toxine.

Weltweit sind nach Einschätzung der WHO über eine Milliarde Menschen von Neglected Tropical Diseases betroffen. Laut dem Deutschen Netzwerk für Vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDs) sind es sogar 1,7 Milliarden Menschen in insgesamt 149 Ländern.

Die „Big Five“ der Neglected Tropical Diseases

Nicht alle Neglected Tropical Diseases sind gleich stark verbreitet. Für über 90 Prozent der gesamten Erkrankungen sind fünf Krankheiten verantwortlich. Diese gelten als die „Big Five“ oder die „Großen Fünf„. Folgende NTDs gehören zu den Big Five: 

  • Lymphatische Filariose: Eine Krankheit, die zu schweren körperlichen Entstellungen und Behinderungen führt. Sie ist auch für das Krankheitsbild der Elephantiasis verantwortlich.
  • Onchozerkose: Besser bekannt als Flussblindheit. Diese Krankheit wird von der Kriebelmücke übertragen und führt zu Erblindung.
  • Trachom: Auch ein Trachom löst unbehandelt Blindheit aus. Überträger sind hier Bakterien. 
  • Bilharziose: Billharziose ist eine Wurmerkrankung, die den Darmbereich, aber auch andere Organe schädigen kann. Sie beeinträchtigt die Entwicklung von Kindern und die körperliche Leistungsfähigkeit von Erwachsenen.  
  • Geohelminthen: Auch bei dieser Erkrankung handelt es sich um einen Wurmbefall im Darmbereich. Darmwürmer können Blutarmut verursachen. Besonders für gebärende Frauen sind sie aus diesem Grund gefährlich, weil Blutarmut zu Komplikationen bei der Geburt führen kann.  

Wo treten Neglected Tropical Diseases auf?

Neglected Tropical Diseases treten vor allem in tropischen Gebieten auf.
Neglected Tropical Diseases treten vor allem in tropischen Gebieten auf.
(Foto: CC0 / Pixabay / falco)

Trotz ihrer individuellen Unterschiede haben alle NTDs zwei wesentliche Gemeinsamkeiten:

  1. Sie treten hauptsächlich in tropischen Ländern auf, vor allem im asiatischen und afrikanischen Raum. Der NTD-Experte Achim Hörauf grenzt das Verbreitungsgebiet noch konkreter ein: Es liegt demnach zwischen dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis, beginnend jeweils mit dem 23. Breitengrad. In diesem äquatornahen Gebiet herrscht ein warmes und feuchtes Klima, das die Übertragung begünstigt.
  2. Am stärksten leiden ärmere Länder beziehungsweise ärmere Bevölkerungsschichten an den vernachlässigten Tropenkrankheiten. Laut der WHO gehört die überwiegende Mehrheit der Betroffenen ärmlichen Gemeinschaften („impoverished communities“) an. Dabei handelt es sich um Regionen, die kaum Zugang zu sauberem Wasser, Sanitärversorgung oder effektiver Gesundheitspflege haben. Unter diesen Umständen können sich Krankheiten besonders leicht ausbreiten. 

Diese beiden Faktoren sind es auch, die maßgeblich zur Vernachlässigung von NTDs beitragen. Vernachlässigt werden die Krankheiten dabei auf mehreren Ebenen.  

Neglected Tropical Diseases: Warum vernachlässigt?

In der Forschung spielen Neglected Tropical Diseases eine untergeordnete Rolle.
In der Forschung spielen Neglected Tropical Diseases eine untergeordnete Rolle.
(Foto: CC0 / Pixabay / jarmoluk)

Obwohl sie in den betroffenen Gebieten häufig und breitflächig auftreten, stehen Neglected Tropical Diseases kaum im öffentlichen Fokus – weder als politisches oder soziales, noch als medizinisches Thema. Diese Vernachlässigung nimmt verschiedene Formen an. Achim Hörauf unterscheidet drei wesentliche Ebenen:

  • NTDs werden in der öffentlichen Wahrnehmung vernachlässigt, weil sie hauptsächlich im globalen Süden auftreten und vor allem arme Bevölkerungsschichten betreffen. In reicheren Ländern ist das soziale und medizinische Interesse an ihnen deshalb gering. Die arme Bevölkerung hat zudem keine starke Präsenz in der Öffentlichkeit und kann nicht wirksam auf das Problem aufmerksam machen. 
  • NTDs werden im Gegensatz zu „bekannteren“ Tropenkrankheiten, wie etwa Malaria von der Forschung vernachlässigt. Für die Bekämpfung von Ausbrüchen und die Entwicklung von Medikamenten stehen ihnen weniger Fördermittel zur Verfügung.
  • Die Vernachlässigung in der Öffentlichkeit und in der Forschung hängt mit einem dritten Punkt zusammen: Die meisten NTDs stellen nur bei längeren Aufenthalten eine Gefahr für Reisende dar. Die Krankheiten befallen also nur sehr selten Tourist:innen, Geschäftsreisende oder Militärangehörige aus reichen Ländern. Auch deshalb bekommen sie weniger Aufmerksamkeit als Tropenkrankheiten, die schon bei kurzen Aufhalten ein Gesundheitsrisiko für Auswärtige darstellen.    

Das grundlegende Problem ist also, dass die Länder, die die besten Möglichkeiten zur Erforschung und Bekämpfung von NTDs hätten, nur geringes Interesse daran haben, die nötigen Mittel aufzubringen. Gänzlich ignoriert werden Neglected Tropical Diseases jedoch nicht. In den letzten Jahren gab es vor allem zwei wesentliche Entwicklungen im Kampf gegen die NTDs: Die Londoner Deklaration und die Roadmap der WHO. 

Was tut die Welt gegen NTDs?

Um Neglected Tropical Diseases zu bekämpfen, muss sich auch das Gesundheitssystem der betroffenen Länder verbessern.
Um Neglected Tropical Diseases zu bekämpfen, muss sich auch das Gesundheitssystem der betroffenen Länder verbessern.
(Foto: CC0 / Pixabay / 1662222)

Ausbrüche von Neglected Tropical Diseases hängen eng mit schlechten Hygiene- und Gesundheitsbedingungen zusammen. Ein wesentliches Ziel zu ihrer Bekämpfung muss es deshalb sein, diese Umstände zu verbessern und die Gesundheitssysteme vor Ort zu stärken.

Ein erster Schritt in diese Richtung war die Londoner Deklaration („London Declaration on Neglected Tropical Diseases„), die die WHO 2012 formulierte. Die in der Deklaration festgelegten Ziele sollten bis 2020 erreicht sein. Zu diesen Zielen zählten in erster Linie die Ausrottung oder deutliche Reduktion verschiedener NTDs und die Bereitstellung von Medikamenten für andere. Außerdem sollte durch effizientere internationale Zusammenarbeit die finanzielle und technische Unterstützung vor Ort verbessert werden.

Das Ergebnis lässt hoffen: Bis 2020 war es tatsächlich 42 Ländern gelungen, eine oder mehrere NTDs erfolgreich zu eliminieren. Am Vorgehen der beteiligten Unternehmen und Organisationen wird allerdings oft kritisiert, dass es sich zu sehr auf einzelne Krankheiten konzentriert habe. Wechselwirkungen oder Überschneidungen zwischen verschiedenen NTDs, die in der Praxis durchaus eine Rolle spielen, seien dabei nicht ausreichend berücksichtigt worden. So habe man Chancen vertan, die Verbreitung der Krankheiten noch effektiver zu bekämpfen.      

Anschließend an die Londoner Deklaration hat die WHO 2021 eine umfangreiche Roadmap zur weiteren Bekämpfung von Neglected Tropical Diseases vorgelegt. Diesmal sollen die anvisierten Ziele bis 2030 erreicht werden. Das Deutsche Ärzteblatt fasst die Kernpunkte der Roadmap wie folgt zusammen: 

  • Bis 2030 soll die Anzahl der von NTDs betroffenen Menschen um 90 Prozent gesenkt werden.
  • Mindestens zwei NTDs sollen bis 2030 komplett ausgerottet sein.
  • Mindestens eine NTD soll in 100 Ländern komplett eliminiert sein.
  • Die Anzahl der krankheitsbedingt verlorenen Lebensjahre soll insgesamt um 75 Prozent reduziert werden. Das Konzept durch Krankheit verlorener Lebensjahre ist auch unter der englischen Abkürzung DALY (Disability-Adjusted Life Years) bekannt. Anhand dieses Faktors lässt sich die Lebensqualität in einem Land oder einer spezifischen Region bestimmen. Er ergibt sich aus der Summe der durch Tod verlorenen oder durch Krankheit beeinträchtigten Lebensjahre in der Gesamtbevölkerung.   

Neglected Tropical Diseases und der Klimawandel

Auch wenn Neglected Tropical Diseases im Wesentlichen auf den globalen Süden begrenzt sind, verschieben sich diese Grenzen allmählich. Schuld daran ist vor allem die Klimakrise

Achim Hörauf weist darauf hin, dass die globale Erwärmung die Ausbreitung tropischer Krankheiten allgemein begünstigt. Zumindest in südeuropäischen Ländern könnten eingeschleppte Krankheiten aufgrund der steigenden Temperaturen länger überleben und sich besser übertragen. Das gilt vor allem für Krankheiten, die von Mücken übertragen werden, weil sich diese aufgrund des Klimawandels weiter nach Norden ausbreiten. Immer wieder sind in den letzten Jahren zum Beispiel Fälle des Dengue-Fiebers in Europa bekannt geworden, das ebenfalls zu den Neglected Tropical Diseases zählt.  Auch andere tropische Krankheiten greifen auf europäische Länder über: Die Wurmerkrankung Billharziose beispielsweise, die zu den „Big Five“ der NTDs gehört, ist mittlerweile auf Korsika nachweisbar.   

Daran zeigt sich deutlich, dass Neglected Tropical Diseases längst nicht mehr nur ein lokales Problem fernab unserer Komfortzone sind. Sie werden vermehrt auch zu einem globalen Problem. Schon allein deshalb wird es sich die Forschung langfristig nicht leisten können, sie weiterhin zu vernachlässigen.   

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