Das Overtouched-Syndrom betrifft häufig junge Eltern, die mit ihren neugeborenen Kindern jeden Tag viel Körperkontakt erleben. Wie sich das Phänomen äußert und was im Umgang damit hilft, erfährst du hier.
Nach der Geburt eines Kindes erleben viele Eltern einen abrupten Anstieg an Körperkontakt – etwa beim Trösten, in den Schlaf wiegen oder alltäglichem Kuscheln. Für einige Eltern kann dieser starke Körperkontakt überfordernd sein und dazu führen, dass sie von anderen gar nicht mehr berührt werden möchten. Sie fühlen sich dann „overtouched“ – „überberührt“.
Besonders stillende Mütter, die durch das Stillen jeden Tag intensiven Körperkontakt mit ihrem Kind haben, sind vom sogenannten Overtouched-Syndrom betroffen.
Overtouched-Syndrom: Zu viel Berührung
Das Overtouched-Syndrom ist laut der Apotheken-Umschau ein relativ neuer Begriff. Auch eine wissenschaftliche Einordnung gibt es bislang nicht. So beruht das Konzept aktuell noch ausschließlich auf individuellen Erfahrungsberichten. Diese deuten jedoch darauf hin, dass viele Eltern auf unterschiedliche Weise vom Overtouched-Syndrom betroffen sind.
So erläutert etwa Prof. Dr. Christine Rummel-Kluge, Oberärztin am Uni-Klinikum Leipzig, gegenüber der Apotheken-Umschau, dass sie häufig mit Eltern zu tun habe, die Anzeichen des Overtouched-Syndroms aufweisen. Ihr ist jedoch wichtig, das Syndrom nicht als Krankheit oder Störung anzusehen. Stattdessen handele es sich um eine normale Erfahrung, die viele Mütter, aber auch einige Väter erleben.
Influencerin und Mutter Jana Hartmann erläutert in einem Post, wie sich das Overtouched-Syndrom für sie anfühlt:
https://www.instagram.com/jana.familyfirst/reel/C08lJHasEyM/
Sie erklärt dabei, dass sie die starke Nähe zu ihren Kindern zwar sehr genießt. Sobald die Kinder jedoch im Bett sind, möchte sie keine weitere Berührung. Ist ihr Mann dann enttäuscht von ihrer Ablehnung, baue sich weiterer Druck auf. Nachdem sie den ganzen Tag versucht hat, den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden, kommen nun die Bedürfnisse ihres Mannes hinzu.
Dieser starke Druck, anderen Menschen permanent körperliche Nähe bieten zu müssen, kann eine große Belastung sein und betrifft laut Psychology Today in erster Linie weibliche und weiblich gelesene Personen. Dies erklärt auch, warum in erster Linie Mütter vom Overtouched-Syndrom betroffen sind.
Overtouched-Syndrom als Tabu-Thema
Gerade für Mütter ist es in unserer Gesellschaft nach wie vor schwer darüber zu reden, dass sie von der starken Nähe zu ihrem Kind überfordert sind oder teilweise keine weitere Berührung ertragen können. Das liegt laut Rummel-Kluge insbesondere an verfestigten Rollenbildern.
So wird häufig von weiblich gelesenen Personen erwartet, dass sie natürliche, mütterliche Instinkte haben und sich uneingeschränkt um ihre Kinder kümmern. Zudem reproduzieren Medien das Bild der „perfekten Mutter“, die immer geduldig, liebevoll und opferbereit ist und erhöhen damit den Druck auf Mütter, sich entsprechend zu verhalten.
Diese idealisierten Vorstellungen haben mit der Realität häufig wenig zu tun. So erläutert Rummel-Kluge, dass körperliche Autonomie für Menschen ein Grundbedürfnis ist. Gibt es plötzlich ein schutzbedürftiges Wesen, dass auch körperlich so stark von uns abhängig ist, ist es völlig normal, sich am Ende des Tages „overtouched“ zu fühlen.
Overtouched? Diese Tipps können dir helfen
Du bist auch vom Overtouched-Syndrom betroffen und weißt nicht, wie du damit umgehen sollst? Dann können dir laut Psychology Today die folgenden Tipps helfen:
- Verstehen und Akzeptieren: Zunächst ist es wichtig, dass du verstehst, woher deine Ablehnung gegenüber jeglicher Berührung kommt und diese entsprechend einordnet. Oft hilft es schon, wenn du weißt, dass es sich dabei um eine Erfahrung handelt, die viele Eltern durchmachen und die schlichtweg eine natürliche Reaktion auf deinen aktuellen Alltag ist.
- Um Hilfe bitten: Scheue dich nicht davor, Familienmitglieder oder Freund:innen hin und wieder zu bitten, dich zu unterstützen. Die Zeit, die dein Kind mit anderen Menschen verbringt, kannst du für etwas Me-Time nutzen.
- Glaubenssätze hinterfragen: Häufig entwickeln junge Eltern und insbesondere Mütter starke Schuldgefühle, wenn sie sich „overtouched“ fühlen und gern mehr Zeit für sich selbst hätten. Das liegt insbesondere an Glaubenssätzen über Mutter- und Elternschaft, die wir internalisiert haben. Deshalb kann es hilfreich sein, dass du diese Glaubenssätze durch andere ersetzt, wie zum Beispiel: „Ich habe die Pflicht, mich um mich selbst zu kümmern. Als entspannte Person, die auch ihre eigenen Bedürfnisse achtet, kann ich auch mehr für mein Kind da sein.“
- Kommunikation: Wenn du in einer Partnerschaft bist und spürst, dass sich das Overtouched-Syndrom negativ auf eure Beziehung auswirkt, solltest du deine Gefühle und Bedürfnisse zunächst einmal offen kommunizieren. Mache deinem Gegenüber dabei vor allem deutlich, dass deine Ablehnung gegenüber Berührung kein Zeichen von fehlender Liebe ist – sondern schlichtweg ein Zeichen von zu viel Körperkontakt.
- Professionelle Hilfe aufsuchen: Auch eine Therapie oder eine psychologische Beratung können sinnvoll sein, um besser mit dem Overtouched-Syndrom umzugehen.
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