Dieses Jahr mal mit dem Nachtzug statt mit dem Flieger in den Urlaub? Das kann bequemer und günstiger sein. Nachtzug-Experte Patrick Neumann erklärt im Utopia-Interview, warum.
Ob aus Flugscham oder Nostalgie: Bahnreisen innerhalb von Europa sind beliebt. Insbesondere das Angebot an Nachtzügen macht den Verzicht auf den Flieger zunehmend attraktiv.
Einen Erfahrungsbericht gibt es hier: Utopia-Redakteurin Lena war mit Nachtzug von München nach Rom unterwegs. Auch im Podcast berichten Kolleg:innen von ihren Reisen ohne Flugzeug:
„Mit dem Nachtzug reist du wirklich bequem“
Wir wollten mehr wissen über Nachtzugreisen in Europa und haben mit einem Experten gesprochen: Patrick Neumann nennt sich selbst „Nachtzug-Nerd“, er ist für das Nachtzug-Unternehmen European Sleeper und die Nachtzug-Initiative Back-on-Track tätig. Im Gespräch erklärt er, wo Deutschland hinterherhinkt, wie man mit Nachtzugreisen spart und warum sie auch für Familien bequem sind.
Utopia: Warum braucht Europa mehr Nachtzüge?
Patrick Neumann: Vor allem als echte Alternative zum Fliegen. Nachtzugreisen stoßen 28-mal weniger Treibhausgase aus als Flüge. Das bewusste Reisen liegt zum Glück auch im Trend. Wenn du fliegst, wirst du am einen Flughafen aufgesaugt und am nächsten ausgespuckt. Mit dem Nachtzug reist du dagegen wirklich bequem – und auch clever, weil man eine Hotelübernachtung einspart, wenn man morgens am Zielort ankommt und schon mitten in der Stadt ist.
Und wie ist die Lage bei den Nachtzügen? Bewegt sich was?
Ich würde sagen, wir hatten gerade einen echten Meilenstein: Die ÖBB [Österreichische Bundesbahnen, wichtigster Betreiber der europäischen Nachtzüge, Anm. d. Red.] haben zum ersten Mal seit 30 Jahren auf dem Kontinent neue Wagen entwickelt. Da kommt einiges mehr an Komfort auf die Gleise.
Mehr Strecken allerdings wird schwierig – dafür braucht man erstmal Wagen, und die sind knapp. Alles, was es gibt, rollt bereits. Dennoch: Es gibt einen Aufwärtstrend, auch weil Nachtzüge immer beliebter werden. Die Trendwende ist eindeutig da.
Knapp sind also die Waggons, nicht die Trassen?
Über Nacht ist wenig Verkehr, da teilt man sich die Gleise nur mit gleich schnellen Güterzügen. Die Wagen dagegen sind schwer zu bekommen. Die alten City Night Line-Doppelstockwagen der Deutschen Bahn sind jahrelang auf Rügen verrottet, ein slowakisches Unternehmen versucht sie nun zu retten. Auch der legendäre Nachtzug nach Lissabon, der von der französisch-spanischen Grenze nach Portugal gefahren ist, verrottet gerade in Spanien – obwohl die Nachfrage da ist.
Die Leute wollen also mit Nachtzügen reisen. Was müsste auf politischer Ebene passieren, damit wieder mehr davon unterwegs sind?
Das gesamte Bahnthema ist beim aktuellen Verkehrsministerium ja ein Leidiges. Da stehen die Nachtzüge natürlich mit in der Warteschlange, dass endlich etwas passiert. Im Bundeshaushalt gibt es fünf Millionen Euro für Nachtzüge, die für drei Studien aufgebracht wurden, ob man Nachtzüge braucht.
Wobei man gleichzeitig sagen muss: Der Nachtzugverkehr ist ein EU-Thema, weil Nachtzüge ja fast immer grenzüberschreitend fahren. Da kann auch Deutschland seinen Beitrag leisten, denn: Jeder Kilometer, den ein Zug hier fährt, muss an den Infrastrukturbetreiber InfraGo bezahlt werden. Wenn man Nachtzüge fördern wollte, gäbe es ein einfaches Mittel: Ihre Trassenpreise senken oder abschaffen. Ein Positivbeispiel: In Belgien zahlen Nachtzüge keinerlei Trassenpreise, bekommen die Energie gesponsert und der Ticketkauf funktioniert ganz einfach. Übrigens gehört Deutschland zu den letzten Ländern in Zentraleuropa, die noch Mehrwertsteuer auf internationale Bahntickets erheben…
„Wenn wir zum Mond fliegen können, sollte es doch möglich sein, eine internationale Fahrkarte online zu verkaufen“
Um Nachtzüge zu fördern wären also die einfachsten Mittel die Abschaffung der Trassenpreise und der Mehrwertsteuer?
Genau. Dazu kommt noch der Ticketkauf. Es ist doch immer ein Tohuwabohu, überhaupt an ein Ticket zu kommen. Bei der Deutschen Bahn steht dann auf der Buchungsplattform zum Beispiel „Preisauskunft nicht möglich“ – und der Kunde denkt sich, wenn es so schon anfängt, wo soll das enden? Deswegen wäre es sinnvoll auf EU-Ebene ein einheitliches Ticketing zu ermöglichen.
Stimmt, manchmal muss man ganz schön recherchieren, um herauszufinden, wo man die Tickets buchen kann.
Wer es nicht schafft und umsteigen will, dem würde ich raten, in ein spezialisiertes Bahnreisebüro zu gehen. Das kostet eine kleine Beratungsgebühr, aber die ist in der Regel sehr gut investiert. Oft kennen die Leute dort sogar noch günstigere Tickets oder wissen zum Beispiel, wo es ab und zu Verspätungen gibt, sodass sich diese Expertise wirklich lohnt.
Vermutlich geht es vielen so wie mir: Nachtzüge finde ich prinzipiell interessant, aber als Familie mit kleinen Kindern und begrenzter Zeit oft nicht richtig praktikabel. Stelle ich mich nur zu sehr an?
Was die Zeit angeht, habe ich direkt ein Positivbeispiel: Bei der Allianz Pro Schiene bekommen die Mitarbeitenden, wenn sie lange Strecken mit dem Zug in den Urlaub fahren, extra Urlaubstage dafür. Das wäre doch mal was, um mehr Menschen zu ermutigen!
Zu dem Familienthema muss man ehrlich sagen: Die Tag-Preise, bei denen Kinder inklusive sind, sind attraktiv. Aber: Für Kinder ist der Nachtzug einfach ein richtiges Erlebnis, über das danach noch lange gesprochen wird. Und eine lange Distanz umsteigefrei zu überwinden, ist natürlich gerade für Familien sehr bequem.
Du kannst nach Feierabend in den Zug steigen und am nächsten Morgen beginnt der Urlaub. Gerade wenn man mit Kind und Kegel unterwegs ist, ist rechtzeitig am Flughafen zu sein, an der Gepäckaufgabe und der Sicherheitskontrolle zu warten und so weiter ja auch stressig. Und im Flugzeug hast du 75 Zentimeter Beinfreiheit – im Nachtzug hast du 1,90 Meter oder 1,95 Meter Liegefläche.
Ein gemeinwohlorientierter Zug
Du unterstützt die belgisch-niederländische Eisenbahngesellschaft European Sleeper. Die ist als Genossenschaft organisiert und hat einen eigenen Nachtzug und alles, was dazu gehört per Crowdfunding finanziert. Das klingt ziemlich verrückt.
Aber es klappt und zwar erstaunlich gut. Nachts betreibt man ein rollendes Hotel, das wirklich komplex ist – aber zuallermeist pünktlich. Das zeigt: Mit Leidenschaft, Engagement und einem nervenstarken Team kann man das schaffen, was sich die Deutsche Bahn seit 2016 nicht mehr zutraut, als sie das Nachtzug-Geschäft aufgab.
Man muss dazu sagen: Die beiden Gründer sind tief in der Bahnbranche verwurzelt. Sie haben sich – und natürlich den Reisenden – den Traum vom eigenen Zug verwirklicht und auch die Wiedereinführung der Verbindung von Brüssel über Amsterdam und Berlin bis nach Prag. Und das Ganze als Genossenschaft, die den Menschen gehört, also ohne große Investoren dahinter. Ein gemeinwohlorientierter Zug, das ist schon einzigartig.
Bisher fährt der Zug doch nur zwischen Brüssel und Berlin?
Ab 25. März geht es endlich auch weiter nach Prag. Und wir binden auch Dresden und Bad Schandau ein. Das Gute an Nachtzügen ist ja, dass man Direkt-Verbindungen hat. Tagsüber kommt man von Berlin nicht umsteigefrei nach Brüssel. Und gerade wenn du dir die Hotelpreise in Amsterdam anschaust – dann stellst du doch lieber am Morgen dein Gepäck ab, frühstückst und startest vor allen anderen Touristen in die Stadt. Eine Besonderheit vom European Sleeper ist übrigens, dass wir auch wirklich ausreichend Platz für Fahrräder haben.
Ist das nicht teuer?
Im Winter ab 29,50 Euro pro Richtung im Liegewagen, ansonsten ab 49 Euro. Auch wenn ich mich wiederhole: Durch die gesparte Hotelübernachtung rechnet das sich superschnell. Und du hast ein richtiges Bett oder eine Liege, also den Komfort, nachts in frischer Bettwäsche vernünftig schlafen zu können.
Wie geht es weiter? Fährt European Sleeper bald auf noch mehr Strecken in Europa?
Wir sind dabei, die Strecke Amsterdam – Barcelona zu planen.
„Der Nachtzug braucht eine Lobby“
Du engagierst dich neben European Sleeper auch für Back-on-Track, eine Initiative, die sich für mehr Nachtzugverkehr in Europa einsetzt. Wie wollt ihr das erreichen?
Das Wichtigste daran ist, dass es eine europäische Vernetzung gibt zwischen einem Dutzend Ländern. Gerade dadurch wird man schlagkräftig. Da ist auch jedes neue Mitglied willkommen.
Ich drücke mich immer vor dem Begriff Lobby, das klingt eher so nach Erdölkonzern. Aber: Der Nachtzug braucht eine Lobby. Wir sprechen also auch mit der Politik. Und wir informieren die Öffentlichkeit, zum Beispiel mit Studien. Wir stellen gerade eine Nachtzug-Datenbank zusammen und haben die Nachtzug-Karte entwickelt. So können die Menschen sehen, wo sie in Europa überhaupt mit dem Nachtzug hinkommen.
Für uns ist der Nachtzug nicht nur ein Reise-, sondern vor allem ein Klimathema. Wenn man alle sinnvollen, ersetzbaren Flüge in Europa durch Nachtzüge ersetzen würde, hätte das einen Einfluss von drei Prozent der gesamten EU-Treibhausgasemissionen.
Und wie bringt man mehr Leute dazu, Nachtzüge zu nehmen?
Zum einen: Information. Darüber, dass es überhaupt Nachtzüge gibt. Zum anderen müssen die Nachtzüge europaweit einfacher buchbar sein.
Es wäre natürlich auch begrüßenswert, wenn große Reiseunternehmen, die mal eben hundert Millionen für ein Flugzeug ausgeben, auch in Nachtzugwagen investieren. Und dann ihre touristische Kundschaft entsprechend klimabewusst ans Ziel bringen.
Was ist deine Lieblings-Nachtzugstrecke?
Ich finde die Strecken am schönsten, wo man das Fenster aufmachen kann. Die etwas älteren Wagen haben wirklich Charme, weil sie gemütlich sind und du nicht von der Klimaanlage geföhnt wirst. Einfach die Ellbogen auf dem offenen Fenster abstützen und die Nase in den Wind strecken. Das geht zum Beispiel im European Sleeper und in einigen der schwedischen Züge.
Mein bestes Erlebnis war übrigens: Nachmittags in der holländischen Nordsee gebadet, mit dem Nachtzug in die Schweiz – und am nächsten Tag auf 2.100 Meter Höhe gewandert, direkt über dem Lötschberg-Tunnel.
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