Der Nocebo-Effekt ist weniger bekannt als der Placebo-Effekt, spielt in Therapien aber eine genauso große Rolle. Wir erklären dir, was der Nocebo-Effekt ist und wie er sich auf die Impfreaktionen bei Corona auswirkt.
Vom Placebo-Effekt hast du sicher schon gehört: Scheinmedikamente ohne Wirkstoffe können wirken, weil du an ihre Wirkung glaubst. In Placebo-kontrollierten Studien bekommt die eine Gruppe das echte Medikament, die andere nur ein Scheinmedikament. Die Teilnehmenden wissen allerdings nicht, zu welcher Gruppe sie gehören. Wissenschaftler:innen beobachten in solchen Studien oft, dass Menschen der zweiten Gruppen ebenfalls Wirkungen des Medikaments verspüren – obwohl sie es gar nicht erhalten haben. Das ist der Placebo-Effekt.
Medikamente können allerdings nicht nur positive Wirkungen, sondern auch unerwünschte Nebenwirkungen haben. Hier kommt der Nocebo-Effekt ins Spiel: Wenn Teilnehmende der zweiten Gruppe an den Nebenwirkungen des Medikaments leiden (das sie nicht erhalten haben), nennt man das Nocebo-Effekt. Auch echte Medikamente können einen Nocebo-Effekt auslösen: Wenn du über die Nebenwirkungen eines Medikaments Bescheid weißt, kann der Nocebo-Effekt bewirken, dass du sie tatsächlich bekommst.
Das „No“ hat dabei übrigens nichts mit der englischen Verneinung zu tun. Nocebo ist Latein und bedeutet „Ich werde schaden“ – im Gegensatz zu Placebo: „Ich werde gefallen„.
Beispiel: In einer Studie mit 114 Bluthochdruck-Patient:innen bekamen die Proband:innen ein Medikament, das als Nebenwirkung Erektionsstörungen hervorrufen kann. Ein Drittel wurde über die Nebenwirkung informiert, ein weiteres Drittel erfuhr den Namen des Medikaments und das letzte Drittel bekam keine Information. Das Ergebnis: Die Erektionsstörungen traten am häufigsten in der ersten und am seltensten in der letzten Gruppe auf.
Der Nocebo-Effekt bei den Coronaimpfungen
Wissenschaftler:innen in den USA haben zwölf klinische Studien zur Coronaschutzimpfung ausgewertet und kamen dabei zu einem überraschenden Schluss: Zwei Drittel der häufigsten Impfreaktion sollen, zumindest bei der Erstimpfung, durch den Nocebo-Effekt ausgelöst worden sein. Bei der Zweitimpfung verringert sich der Anteil auf rund 50 Prozent.
Kopfschmerzen, Müdigkeit, Armschmerzen und andere milde Nebenwirkungen seien demnach nicht den Inhaltsstoffen und Wirkweisen der Impfung geschuldet, sondern anderen Faktoren, die den Nocebo-Effekt begünstigen: Anspannung, negative Erwartungen und die falsche Annahme, dass jegliches Unwohlsein nach der Impfung auch wegen der Impfung entstanden sei.
Die Forscher:innen empfehlen eine bessere öffentliche Aufklärung zum Nocebo-Effekt: Erstens, weil das den Sorgen entgegenwirken kann, die durch die Aufklärung über Nebenwirkungen überhaupt erst entstehen. Andererseits könnten so möglicherweise auch ungeimpfte Menschen zu einer Impfung bewegt werden, die zuvor wegen ihrer Ängste vor starken Impfreaktionen gezögert hatten.
Gegenüber dem Guardian sagt Ted Kaptchuk, einer der Autoren der Studie: „Die meisten Forscher:innen argumentieren, dass Patient:innen weniger über Nebenwirkungen erfahren sollten, um ihre Sorgen zu vermindern. Ich glaube, dass das falsch ist. Die Wahrheit ist der richtige Weg.“
Nocebo-Effekt: In der Forschung bekannt, aber nicht gut erforscht
Dem Ärzteblatt zufolge ist der Nocebo-Effekt weit weniger gut erforscht als der Placebo-Effekt. Er existiert jedoch und lässt sich laut WDR zum Beispiel über neurologische Auffälligkeiten oder Veränderungen im Hormonhaushalt nachweisen. Zwei Studien mit interessanten Ergebnissen:
- Wissenschaftler:innen aus dem Universitätsklinikum Hamburg haben herausgefunden, dass teure oder teuer aussehende Medikamente häufiger einen Nocebo-Effekt hervorrufen. Interessanterweise gilt das Gleiche der Sendung „terra x“ zufolge für den Placebo-Effekt.
- Bei Männern tritt eher der Placebo-Effekt auf, bei Frauen eher der Nocebo-Effekt. Dies ergab ein Review zu 18 Studien. Woran das liegt, ist aber nicht ganz klar. Die Forscher:innen vermuten geschlechterspezifische Reaktionen mit unterschiedlichen Angst- und Stressmechanismen und Hormonhaushalten.
Wie genau der Nocebo-Effekt im Körper entsteht, ist noch nicht ganz klar – zumal er sehr individuell ist. Vermutlich löst die Angst vor einer Nebenwirkung Stress aus. Netdoktor zufolge haben Wissenschaftler:innen beobachtet, dass dabei ein bestimmter Botenstoff ausgeschüttet wird. Wenn dieser wiederum gehemmt wird, verhindert das auch den Nocebo-Effekt.
Wie lässt sich der Nocebo-Effekt verhindern?
Laut dem Wissenschaftsmagazin „terra x“ leiden bei Placebo-kontrollierten Studien etwa 20 Prozent der Menschen aus der Placebo-Gruppe unter dem Nocebo-Effekt. Scheinbar sind es mehr Frauen als Männer.
Daneben beeinflusst vor allem die Erwartung an das Medikament und seine Nebenwirkungen, ob der Nocebo-Effekt eintritt. Laut Netdoktor können vor allem das persönliche Umfeld und die Medien die Erwartungen zu einem Medikament prägen: Wenn Menschen in deinem Umfeld negative Erfahrungen mit einem Mittel gemacht haben, wirst du eher erwarten, ebenfalls unter Nebenwirkungen zu leiden. Das gleiche gilt, wenn das Medikament in den Medien in der Kritik steht.
Ärzt:innen stehen in dieser Hinsicht vor einem Dilemma: Einerseits wollen und müssen sie Patient:innen umfassend über mögliche Nebenwirkungen aufklären – andererseits begünstigt dies den Nocebo-Effekt. Ähnliches gilt für Beipack-Zettel, die schnell bedrohlich erscheinen können. Auf einem Ärztekongress, über den das Ärzteblatt berichtet, haben Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen über das Problem debattiert.
- Sie kamen zu dem Schluss, dass Beipackzettel verständlicher werden müssen, damit Patient:innen die Informationen besser einordnen können. Ein „um 50 Prozent erhöhtes Risiko“ klingt bedrohlich. Wenn die Nebenwirkung extrem unwahrscheinlich ist, ändert daran aber auch eine Erhöhung um 50 Prozent nichts. Auch klingt „fünf Prozent leiden darunter“ für viele Menschen negativer als „95 Prozent leiden nicht unter dieser Nebenwirkung“.
- Beim Arzt oder der Ärztin ist es besonders wichtig, dass die Patient:innen sich gut aufgehoben fühlen. Dann klingen mögliche Nebenwirkungen einer Therapie weniger bedrohlich. Dabei hilft es, wenn der/die Ärzt:in versichert, bei möglichen Nebenwirkungen Hilfe zu leisten. Ärzt:innen könnten außerdem mit den Patient:innen vereinbaren, nur über die häufigsten Nebenwirkungen aufzuklären.
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