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Trinkgeld bei Kartenzahlung geben: Warum sollte ich das (nicht) tun?

Trinkgeld Kartenzahlung
Foto: CC0 / Pixabay / flyerwerk

Ob im Restaurant oder Café – immer mehr Menschen zahlen mit Karte. Doch wie funktioniert es mit dem Trinkgeld bei der Kartenzahlung? Ist das überhaupt sinnvoll?

Weil immer mehr Menschen mit Karte zahlen, steht auch das Thema Trinkgeld vor einer Veränderung. Bisher war es simpel: Ein paar Münzen oder ein Schein blieben auf dem Tisch zurück oder wurden dem Servicepersonal mit einem freundlichen Dank zugesteckt. Heute erscheint beim Bezahlen mit Karte auf den Terminals oft direkt die Frage nach einem Trinkgeldbetrag – mit festen Prozentvorgaben oder der Möglichkeit, manuell etwas einzugeben.

Wenn es um Trinkgeld bei der Kartenzahlung geht, scheiden sich die Geister: Während einige die neuen Möglichkeiten als bequeme Lösung schätzen, zweifeln andere an der Fairness gegenüber dem Personal. Lohnt sich Trinkgeld per Kartenzahlung oder bleiben Servicekräfte dabei tatsächlich auf der Strecke? Wir haben die Vor- und Nachteile für dich zusammengefasst.

Trinkgeld per Karte: Einfach, digital und kontaktlos

Per Kartenzahlung Trinkgeld zu geben, ist einfach und geht schnell.
Per Kartenzahlung Trinkgeld zu geben, ist einfach und geht schnell. (Foto: CC0 / Pixabay / viarami)

Trinkgeld per Karte zu geben, ist praktisch: Du brauchst kein Bargeld und wirst am Kartenterminal direkt daran erinnert, überhaupt Trinkgeld zu hinterlassen. Auf dem Display erscheinen dabei immer häufiger voreingestellte Optionen – zum Beispiel 10, 15 oder 20 Prozent, neben der Möglichkeit, gar nichts zu geben. Für viele Kund:innen ist das ein willkommener Anreiz. Gleichzeitig kann die automatische Auswahl aber auch dazu verleiten, mehr Trinkgeld zu geben, als ursprünglich beabsichtigt.

Auch für Betreiber:innen kann die digitale Trinkgeldfunktion von Vorteil sein. Denn die Einnahmen sind leichter nachvollziehbar und eventuelle Missverständnisse bei der Barzahlung werden vermieden. Zudem fällt das Trinkgeld im Durchschnitt höher aus, wenn viele Kund:innen mit Karte zahlen und dabei digital daran erinnert werden. Wenn das Trinkgeld auch wirklich beim Personal ankommt, ist das ein Gewinn für die Servicekräfte.

Die Nachteile: Weniger fürs Personal?

Nicht immer geht das Trinkgeld bei Kartenzahlung auch ans Personal.
Nicht immer geht das Trinkgeld bei Kartenzahlung auch ans Personal. (Foto: CC0 / Pixabay / jarmoluk)

Viele Gäst:innen fragen sich, ob das Trinkgeld per Karte überhaupt beim Servicepersonal ankommt – oder erst mit Verzögerung. In manchen Betrieben wird es pauschal auf alle Angestellten verteilt oder sogar vom Betrieb versteuert.

Beim Trinkgeld per Kartenzahlung ist für dich schwer nachvollziehbar, wohin dein Geld fließt und ob es bei der Bedienung ankommt, für die du es vorgesehen hast. In manchen Fällen geht bei Kartenzahlung das Trinkgeld auch direkt an das Restaurant. Wie viel davon am Ende tatsächlich bei den Servicekräften landet, ist oft ungewiss.

Lies zu dieser Problematik auch: Trinkgeld bei Kartenzahlung: Besser in bar?

Nudging – „Zwang“ zum Trinkgeld geben?

Bei der Kartenzahlung werden Kund:innen unbewusst dazu angeregt, mehr Trinkgeld zu geben.
Bei der Kartenzahlung werden Kund:innen unbewusst dazu angeregt, mehr Trinkgeld zu geben. (Foto: CC0 / Pixabay / AhmadArdity)

Wer die verschiedenen Trinkgeldoptionen zum ersten Mal erlebt, ist womöglich etwas überrumpelt – zum einen, weil Trinkgeld in Deutschland für gewöhnlich nicht quasi vom Verkäufer gefordert, sondern vom Kunden aus eigenem Antrieb gegeben wird. Zum anderen, weil es die Optionen häufig dort gibt, wo man zuvor gar nicht ans Geben eines Trinkgelds gedacht hätte – also etwa überall dort, wo man nicht am Tisch bedient wird, sondern sich selbst bedient oder nur etwas am Tresen kauft. 

Fachleute nennen das Nudging (zu Deutsch „schubsen“ oder „stupsen“), wenn Menschen im Alltag kleine Schubser bekommen, die sie dazu bringen sollen, etwas Bestimmtes zu tun oder zu lassen – „ganz ohne Ge- oder Verbote“, sagt Wirtschaftspsychologin Prof. Julia Pitters von der IU Internationale Hochschule. „Man organisiert lieber das Umfeld der Menschen so, dass es einfacher für sie ist, sich zu entscheiden.“ Der Ökonom Christian Traxler von der Berliner Hertie School erklärt allerdings, dass man Nudging auch bösartig als Manipulation bezeichnen könnte.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Umgang mit Trinkgeld an Kartenterminals: Wer kein Trinkgeld geben möchte, muss diese Option oft gezielt auswählen. Auf der anderen Seite steht die Möglichkeit, die voreingestellten Prozentwerte auszuwählen. Dadurch werden Kund:innen unterbewusst dazu angeregt, mehr oder überhaupt Trinkgeld zu geben.

In Anwesenheit der Bedienung die Option „Kein Trinkgeld“ zu wählen, ist vielen unangenehm. Wenn es dagegen nicht nur angenehmer ist, ein Trinkgeld zu geben, sondern auch einfach, dann ist es viel wahrscheinlicher, dass Menschen bei der Kartenzahlung Trinkgeld geben als bei der Barzahlung. Diesen Effekt fasst ein Sprecher der Verbraucherzentrale in einem Bericht des MDR zusammen.

Indem sie bei der Kartenzahlung gezielt beide Optionen anbieten, können Betreiber:innen also effektiv beeinflussen, wie viel Trinkgeld gegeben wird, ohne die Entscheidungsfreiheit der Kund:innen einzuschränken.

Ist Trinkgeld bei Kartenzahlung überhaupt sinnvoll?

Trinkgeld per Karte? Nicht immer ist das die beste Wahl.
Trinkgeld per Karte? Nicht immer ist das die beste Wahl. (Foto: CC0 / Pixabay / AhmadArdity)

Ob bar oder digital – Trinkgeld ist ein Zeichen der Anerkennung für gute Arbeit der Servicekräfte. Trinkgeld per Kartenzahlung zu geben ist oft einfacher und schneller, aber nicht immer die beste Wahl, wenn das Geld auch wirklich bei deiner Bedienung landet.

Wenn du sicherstellen willst, dass dein Trinkgeld direkt beim Service ankommt, kannst du nachfragen, wie es im Betrieb gehandhabt wird. Oder du gibst bewusst Trinkgeld in bar, nachdem du mit Karte gezahlt hast.

Natürlich steht es dir auch frei, überhaupt kein Trinkgeld zu geben – obwohl das bei der Kartenzahlung aufgrund des oben erklärten „Nudging“-Effekts oft etwas unangenehm sein kann. 

Was machen die Trinkgeldoptionen mit Verbraucher:innen?

„Die Reaktion hängt stark von der Persönlichkeit ab“, sagt Verhaltensökonom Prof. Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft. Während einige das Angebot als Erleichterung wahrnehmen, weil sie bequem und ohne Rechnen Trinkgeld geben können, fühlen sich andere womöglich genötigt, Trinkgeld zu geben und können darauf mit Reaktanz reagieren – also aufgrund des Drucks erst recht kein Trinkgeld geben und die Örtlichkeit künftig meiden.

Aus Anbietersicht ist es Julia Pitters zufolge aber ein cleverer Schachzug, die Trinkgeld-Optionen auf dem Kartenterminal anzubieten. Weil die Trinkgeldgabe bei der Kartenzahlung sonst häufig in Vergessenheit geratet, kann dieser Denkanstoß hilfreich sein. „So weckt es den Eindruck, dass das üblich ist“, sagt Pitters. Und weil Menschen sehr stark auf soziale Normen reagieren und nicht das Gefühl haben möchten, Abtrünnige zu sein, entscheiden sie sich eben häufig dafür, ein Trinkgeld auszuwählen.

Geben Menschen bei Trinkgeldoptionen mehr oder weniger Trinkgeld?

Durch den Einsatz des Nudgings, das Gäste bereits in die Richtung der Trinkgeldgabe lenkt, steigt die Summe des gegebenen Trinkgelds insgesamt an, sagt Dominik Enste. 

Wie viel allerdings jeder Einzelne gibt, hängt nicht nur von dessen üblichen Trinkgeldgewohnheiten ab, sondern auch davon, welche Optionen auf dem Zahlungsterminal ausgewählt werden können. „Typischerweise drücken die Menschen in der Mitte“, sagt Enste. Ganz einfach deswegen, weil wir Extreme in der Regel scheuen.

Viele Händler und Geschäftsleute kennen diesen psychologischen Effekt und wählen die Trinkgeldoptionen geschickt aus, sagt Julia Pütters. In Deutschland gelten normalerweise 5 bis 10 Prozent Trinkgeld als üblich. Beginnt die niedrigste Auswahlmöglichkeit jedoch bei 10 Prozent, wird automatisch ein höherer Anker gesetzt. Da viele Menschen dazu neigen, sich für die mittlere Option zu entscheiden, geben sie am Ende häufig mehr als ursprünglich beabsichtigt – oft also mehr als 10 Prozent.

Warum geben viele doch Trinkgeld – obwohl sie es nicht wollen?

Weil viele Menschen ungern als geizig oder übermäßig sparsam erscheinen möchten, geben sie Trinkgeld – selbst dann, wenn sie es eigentlich gar nicht vorhatten, erklärt Julia Pitters. Doch gerade beim Zahlen am Kartenterminal würde die aktive Entscheidung gegen ein Trinkgeld mindestens vom Personal, womöglich aber sogar von Umstehenden unmittelbar wahrgenommen werden, sagt Philipp Rehberg von der Verbraucherzentrale Niedersachsen.

Dominik Enste zufolge liegt das in unseren Genen. In den kleinen Gemeinschaften, in denen Menschen früher lebten, kannte jeder jeden. Dort sprach es sich schnell herum, wer richtig knauserig und wer besonders großzügig war. „Wer nett war, konnte sich darauf verlassen, dass das dem eigenen Ansehen hilft und dass ihm die Großzügigkeit eines Tages zurückgezahlt wird“, so Enste. Dieses Urverhalten hat sich bis heute gehalten, weil die Menschen automatisch den Strategien folgen, die schon früher vorteilhaft für sie waren.

Selbst die Auswahl der niedrigst möglichen Trinkgeldoption – etwa der sonst üblichen zehn Prozent – fällt vielen schwer, erklärt Prof. Stefan Trautmann vom Alfred-Weber-Institute for Economics von der Uni Heidelberg. Schließlich ist sie im Vergleich zu den anderen Auswahlmöglichkeiten immer noch die knauserigste.

Trinkgeldgabe freier und selbstbestimmer treffen

Mach dir am besten schon vor dem Bezahlen Gedanken darüber, ob und wie viel Trinkgeld du geben möchtest.
Mach dir am besten schon vor dem Bezahlen Gedanken darüber, ob und wie viel Trinkgeld du geben möchtest.

„Wenn wir nicht viel Zeit zum Nachdenken haben, dann fallen wir schon immer wieder auf diese Dinge rein“, sagt Julia Pitters. „Dem können wir uns kaum entziehen.“ Darum kann es helfen, sich schon vor einer Zahlung bewusst zu überlegen, ob und wie viel Trinkgeld man geben will. So ist man besser vorbereitet, falls am Kartenterminal plötzlich verschiedene Optionen erscheinen.

Auch der Austausch mit anderen kann helfen, den inneren Kompass neu auszurichten, sagt Pitters. So lässt sich möglicherweise feststellen, dass auch andere manchmal mehr Trinkgeld geben, als sie eigentlich wollen – oder mitunter selbst gerne „kein Trinkgeld“ wählen würden.

Sonja Guettat von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz empfiehlt zudem, sich nicht zeitlich unter Druck setzen zu lassen, nur weil zum Beispiel eine lange Schlange hinter einem an der Kasse ist. Stattdessen sollte man selbstbewusst nachfragen, wenn keine der eigentlich gewünschten Trinkgeldoptionen angegeben ist und diese manuell eingeben (lassen).

Ist es überhaupt zulässig die Trinkgeldoptionen aktiv anzubieten?

Der Verbraucherschützerin Sonja Guettat zufolge ist nicht verboten, die Trinkgeldoptionen vorzuschlagen. „Es gibt allerdings keinen Rechtsanspruch auf Trinkgeld.“ Darum muss gewährleistet sein, dass Kund:innen am Kartenterminal immer auch die Option wählen können, kein Trinkgeld zu geben.

Mit Material der dpa.

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