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Kein Plastiktiger

Foto: privat

Auf Utopia hat sich der Utopist Qngroup bereits als Experte für Biokunststoffe „geoutet“. Da diese Woche der Film „Plastic Planet“ startet, gerade eine Petition zum Verbot von Plastiktüten läuft und das Thema in unserer Community viel diskutiert wird, hat Utopia mit Steffen W. Kuhn ein Interview geführt, um ihn allen vorzustellen.

Utopia: Sie engagieren sich im Bereich Biokunststoffe und sind fürs Vermeiden von
Plastikverpackungen? Warum?

Steffen W. Kuhn: Bedingt durch meinen beruflichen Werdegang habe ich seit über zehn Jahren tagtäglich mit Kunststoffen zu tun. Kaum ein Mensch macht sich heute tatsächlich Gedanken darüber, welchen unaufhaltsamen Einzug das Material Kunststoff in unsere Zivilisation gehalten hat. Als ich dann erstmals die Auswirkungen und die Ausweitung der Produkte bewusst wahrgenommen habe und anfing, mich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen, da wurde mir klar, dass es so nicht weitergehen kann! Die Vermüllung der Erde, der unachtsame Umgang mit dem Rohstoff Öl und die damit verbundenen gesundheitlichen Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt, damit auch unmittelbar für uns Menschen, ist so enorm, dass ich als einzelne Person und nun auch mit meinem Unternehmen begonnen habe, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Diese bedeuten jedoch nicht eine unrealistische Entfernung vom Material Kunststoff aus unserer heutigen Zeit, sondern vielmehr die Substitution eines allgegenwärtigen Produktes durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe.

Wie kam es zu der Idee und woher nehmen Sie Ihre Motivation?

S. W. K.: Zu der Idee bin ich vor etwa sechs Jahren gekommen. Damals wurde mir im Bereich eines Projektes ein Werkstoff demonstriert, den ich zuvor in meiner Laufbahn als Kunststofftechnik-Ingenieur noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Es handelte sich dabei um einen so genannten WPC-, einen Wood Plastic Compound. Dies ist ein Kunststoff, der zu etwa 50 Prozent mit Holzfaserzellulose gefüllt ist. Der Hintergrund dazu ist, Naturfaser in Kunststoffe zu integrieren, um zum einen den fossilen Rohstoff Öl einzusparen und des weiteren die mechanischen Eigenschaften zu verändern. Wir kennen das bereits aus dem Bereich der Glasfasern, in diesem Fall jedoch ist die Faser ein Naturprodukt, welches nachwachsend ist.

Wenige Jahre später wurde ich mit den Biopolymeren konfrontiert, die übrigens seit über 100 Jahren bekannt sind. Sie stellen mittlerweile eine deutliche Weiterentwicklung dieser Technologie dar. Hierbei gibt es zwei elementar wichtige Hintergründe: Das 100-prozentige Einsparen von Rohöl für die Technologie Kunststoff in naher Zukunft und das Herstellen von biologisch abbaubaren „Kunststoffprodukten“.

Meine Motivation ist sehr einfach: Es wurde in den vergangenen Jahren viel über die Verknappung von Rohöl diskutiert. Wir vermuten, dass diese fossile Ressource noch etwa 30 Jahre vorhanden sein wird. Da Rohöl die Basis für Kunststoffe ist, müssen wir uns also darauf einstellen, dass im Laufe der nächsten Jahre eine extreme Verteuerung einsetzen wird. Daher müssen wir Alternativen für diese Produkte finden und zwar heute! Weiterhin habe ich die Müllstrudel in den Weltmeeren gesehen und denke, es ist auch deshalb notwendig, biologisch abbaubare Materialien zu etablieren. Wenn wir so weiter machen wie bisher, werden wir durch diese stetig wachsenden Müllstrudel und die damit einhergehenden Auswirkungen für die Pflanzen und Tierwelt mit extremsten Schäden rechnen müssen – wobei diese im Grunde schon heute immens sind. Die Auswirkungen wiederum werden sich nachhaltig auf die gesamte Menschheit auswirken. Denken Sie dabei an die Folgen für die Nahrungskette…

Sie sind auf der Biofach gewesen um beim Bioeinzelhandel für weniger Plastikverpackungen zu werben. Waren Sie erfolgreich?

S. W. K.: Es wäre vermessen, in diesem noch jungen Bereich von ausreichenden Erfolgen zu sprechen. Es wird leider, leider immer noch viel zu wenig in dieser Hinsicht getan. Die Rohstoffhersteller haben heute bereits vielerorts biologisch basierte oder auch biologisch abbaubare Rohstoffe in ihrem Sortiment. Sie verkaufen jedoch deutlich zu wenig davon, weil die Verarbeiter die Rohstoffe noch zu selten einsetzen oder nachfragen. Nachdem die Verarbeiter die Rohstoffe nicht stärker einsetzen und auch der Handel immer noch wenig nach den Produkten fragt, geht der alte Trott weiter. Der Einzelhandel wiederum beruft sich auf die fehlende Nachfrage des Marktes, also der Nachfrage von uns Konsumenten und sorgt sich nicht um die Beschaffung. Dies ist ein bisschen wie die Geschichte von der Henne und dem Ei, was war zuerst da?

Was wir allerdings als Erfolg verbuchen, ist das wachsende Interesse seitens der Endverbraucher, welche jedoch nur in kleinsten Schritten von dieser zukunftsweisenden Technologie Kenntnis erlangen. Und wir haben auch mit vielen innovativen Unternehmen und Verbänden sehr interessante und aussichtsreiche Gespräche geführt. Das Interesse ist groß und wächst. Was jedoch fehlt ist der Startschuss.

Bevor Sie Utopist wurden, waren Sie da auch schon aktiv?

S. W. K.: Aber ja. Wir haben sehr viel Zeit damit verbracht, herauszufinden an welcher Stelle das System hakt. Eines Tages stellten mein Partner Professor Hans Scheurer und ich fest, dass es im Grunde an der fehlenden Aufklärung des Endverbrauchers liegt. Dieser muss informiert werden! Wissen um und über die Produkte muss verbreitet werden, um eine Basis für die Akzeptanz und dann die Nachfrage zu schaffen. Die Nachfrage regelt bekanntlich den Markt. Daher arbeiten wir seit etwa einem dreiviertel Jahr an der Umsetzung einer Kommunikationskampagne für Biowerkstoffe. Diese soll sich ausschließlich an Endverbraucher richten, sie mit notwendigem Wissen versorgen und darüber informieren, welches Unternehmen bereits an welcher Stelle die Produkte einsetzt oder anbietet. Nachhaltiger Konsum wird dann eine nächst höhere Ebene erreichen.

Was regt Sie auf beim Stichwort „Konsum“?

S. W. K.: Meist sind es die überfüllten Regale in den Kaufhäusern, die mich wahnsinnig nerven. Eine Fleisch- und eine Fischtheke sind für mich das pure Grauen. Ein Zeichen von übermäßigen Konsum gepaart mit dem Verlust von Respekt vor unseren Ressourcen. Als bekennender Tierfan ist es furchtbar für mich zu sehen, dass wir in den reichen Ländern täglich fünf mal mehr Lebensmittel anbieten als wir im Grunde brauchen. Erschreckend! Konsum zeigt sich für mich aber auch sehr häufig im Müll. Werfe ich einen Blick auf Autoraststätten oder einen ursprünglich sauberen Strand am Meer, bin ich zutiefst beschämt. Was machen wir da mit unserer Umwelt?

Was machen Sie beruflich?

S. W. K.: Ich komme ursprünglich aus der Kunststoffindustrie, habe dort jahrelang als Berater und Verkäufer gearbeitet. Vor einigen Jahren habe ich ein eigenes Ingenieurbüro eröffnet und beschäftige mich auch dort mit den Themen Materialberatung, -beschaffung und Systemlösungen. Mit der Gründung der *Q*uality *n*etworking *group*, deren geschäftsführender Gesellschafter ich heute bin, habe ich begonnen ein internationales Netzwerk an innovativen und auch etwas verrückten Unternehmern zu etablieren. Unsere geschäftlichen Beziehungen reichen mittlerweile von den USA über Europa bis nach Asien. Alle diese Unternehmer verfolgen ein gemeinsames Ziel, die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen als Substitut für Kunststoffe und andere Produkte aus endlichen Ressourcen.

Darüber hinaus leite ich seit Ende 2009 eine „Task Force Biowerkstoffe“ bei der Kommunikationsagentur SSP in Hürth. Die dort von uns initialisierte Division „New Products“ wird den ganz entscheidenden und wichtigen Part der Marktkommunikation vorantreiben. SSP hat bereits vor zehn Jahren die Einführung der Erdgas-Fahrzeuge in Deutschland begleitet und ist somit prädestiniert für Projekte mit ökologischen Hintergründen.

Haben Sie ein grünes Vorbild? Was ist für Sie ein nachhaltiges Projekt?

S. W. K.: Es fällt mir etwas schwer ein einziges Vorbild zu nennen. Es gibt einige Persönlichkeiten, die mir besonders aufgefallen sind. Hier etwa Professor Michael Braungart, der mit seinem Prinzip „Cradle to Cradle“ schon seit längerer Zeit die gleichen Ziele verfolgt wie wir. Yann-Arthus Betrand hat mit seinen Filmen und Büchern einiges zu meiner persönlichen Entwicklung und Ausrichtung beigetragen, auch das Engagement von Hannes Jaenicke beeindruckt mich sehr und ich hoffe, dass er unser aktuelles Vorhaben registriert und uns möglicherweise unterstützen möchte. Auch Robert Groitl vom Green Ocean e.V., der sich stark für die Entmüllung unseres Mittelmeeres einsetzt, hat größten Respekt verdient.

Viel entscheidender wird es jedoch werden, dass wir jeden Einzelnen zu einem grünen Vorbild erziehen. Soll heißen: jeder sollte vorbildlich und verantwortungsbewusst mit dieser unserer einzigen Erde umgehen. Das Wort Nachhaltigkeit bereitet mir ehrlich gesagt etwas Schwierigkeiten. Dieses Modewort tummelt sich mittlerweile in so vielen Aussagen, so vielen Statements von sowohl Industrie als auch Politik, dass man es eigentlich zum Unwort des Jahres wählen müsste. Viel zu sehr wird mir persönlich der Marketingeffekt dieses Wortes fälschlich missbraucht.

Nichtsdestotrotz möchte ich Sie gerne auf ein für mich nachhaltiges Projekt aufmerksam machen. Sie finden es in meinem Blog unter dem Titel „Geschichte vom grünen Konsumgut“. Technisch ist diese „Geschichte“ heute bereits umsetzbar, soll heißen: Vom Grashalm zur biologisch abbaubaren Plastiktüte, aus der wir am Ende vom Tag ökologisch Strom oder Wärme erzeugen und dies bei CO2-Neutralität. So etwas ist für mich echte Nachhaltigkeit.

Wie umweltfreundlich leben Sie persönlich?

S. W. K.: Ich bin natürlich durch meine tägliche Arbeit sehr stark auf alles fokussiert, was irgendwie mit Kunststoffen und deren Vermeidung zu tun hat. Im Supermarkt weise ich gerne die Mitarbeiter darauf hin, sich mit biologisch abbaubaren Verpackungen zu beschäftigen. Da kommt dann der Verkäufer in mir durch. Plastiktüten setze ich so lange keine mehr ein, bis Alternativen im Einsatz sind.

Ich könnte mit Sicherheit noch viel mehr tun, aber auch ich muss mich erst von alt eingefahrenen Gewohnheiten abwenden. Dafür jedoch strebe ich große Ziele an die weit über meinen persönlichen Beitrag als Einzelperson hinausgehen werden.

Warum sollten sich Utopisten mit Ihnen vernetzen?

S. W. K.: Mittlerweile denke ich, meinen Platz in diesem großen Puzzle gefunden zu haben. Unsere Agentur versteht sich als Interface zwischen dem Verbraucher und der neuen Biotech-Industrie. Wir wollen die
Information über neue Biowerkstoffe an den Endverbraucher herantragen. Gleichzeitig bemühen wir uns zu erfahren, was die Menschen wollen, was sie für Bedenken haben und wo sie sich wünschen, besser informiert zu werden. Daher bin ich froh über jeden, der in Kontakt zu mir tritt. Es interessiert mich brennend was zu tun ist, um diese wunderbare neue Technologie greifbarer zu machen, und Verbrauchern die Scheu davor zu nehmen.

Im Gegenzug hilft das Unternehmen, bei dem ich arbeite, anderen Unternehmen, die sich der Technologie der Biopolymere zugewandt haben oder  zuwenden wollen, bei der Kommunikation zu ihren Produkte.

Ein Satz zum Abschluss…

S. W. K.: Durch Utopia ist es mir tatsächlich innerhalb kürzester Zeit gelungen, mit vielen Menschen persönlich in Kontakt zu treten. Dafür erst mal vielen herzlichen Dank und ganz großen Respekt vor Utopia und seinem Team! Vielen Dank auch an Utopisten wie Gita, Renovable, Christian Silberhorn, brainshirt, Fairskate und viele viele andere, die manchmal auch mit unangenehmen Fragen geholfen haben, unsere Entwicklung voran zu treiben.

Ich persönlich denke, dass die meisten von uns noch keinerlei Vorstellung davon haben, welches enorme Ausmaß die aktuelle Umbruchphase im Bereich der Verpackungen mit sich bringen kann. Und viele von uns wissen nicht, wie wichtig diese Zeit für uns ist. Mein besonderer Appell geht dahin, dass wir alle über den Tellerrand unseres eigenen kleinen Universums hinaus sehen müssen. Es nutzt im Bereich der Kunststoffprodukte sicherlich bereits etwas, wenn wir hier in Deutschland bedacht einkaufen und uns selbst disziplinieren. Aber viel schlimmer ist es, wenn wir über die Grenzen des Landes hinaus blicken. Gerade in den südlichen Regionen kümmern sich nur wenige Menschen um eine sachgerechte Entsorgung. Recycling oder Aufbereitung sind dort Fremdwörter. Und wer von uns hat sich noch nicht über Plastikeimer, ganze Waschmaschinen oder gar komplette Autos an den Küsten der südlichen Länder erschrocken. Ich befürchte, dass wir auch für diese unbedachten Länder Verantwortung übernehmen müssen. Wir sollten als Vorbild voran gehen und diesen Menschen zeigen, wie es besser geht.

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