Von Drehkreuz bis Straßensperre: Wie sich Urlaubsländer gegen Massentourismus wehren

Von Drehkreuz bis Straßensperre: Wie sich Urlaubsländer gegen Massentourismus wehren
Foto: CC0 Public Domain - Pixabay/ meineresterampe

Millionen besuchen Europas schönste Orte – und bringen sie an den Rand der Belastbarkeit. Die Städte reagieren mit Eintrittsgeldern, Verboten und Umleitungen: Ist das die Zukunft des Reisens?

Ob Dolomiten, Santorini oder Mallorca: Überall dasselbe Bild. Wanderwege wirken wie U-Bahnen zur Rushhour, Kreuzfahrtschiffe entladen Tausende Tagesgäste in Altstädte, die längst am Limit sind. Gesucht wird die Idylle, die der Massentourismus längst verdrängt hat. Mittendrin: genervte Einheimische.

Italien ringt mit dem Spagat zwischen Gastfreundschaft und Belastung. Venedig sorgte mit Eintrittsgebühren für Tagesgäste für Schlagzeilen, doch 2025 wurden damit über fünf Millionen Euro eingenommen. Das eigentliche Problem blieb jedoch bestehen: überfüllte Gassen, gereizte Anwohner:innen und ein schwindendes Alltagsleben.

Laut Tourismusministerin Daniela Santanchè konzentrieren sich 75 Prozent der Tourist:innen auf nur vier Prozent der Fläche. Ein Problem mit „Overtourism“ gebe es jedoch nicht. Und während manche sich beschweren, klagen andere, wenn es ruhiger wird. So etwa Händler:innen am Gardasee, die sich in diesem Sommer über leere Terrassen und schlechte Buchungszahlen ärgern. 

In den Dolomiten wird der Sommer zur Belastungsprobe. Provokant reagierten darunter vier Grundbesitzer:innen: Sie verlangen fünf Euro für den Zugang zum Seceda – einem der meistfotografierten Aussichtspunkte Südtirols mit Blick auf die Geislergruppe. Es gehe nicht um Profit, betonen sie, sondern um ein Zeichen gegen Müll, gestresstes Vieh, zertrampelte Almen – und Tourist:innen, die mit Sneakern und Selfiestick wirken, als wollten sie zum Aperitif in die Altstadt statt auf 2.500 Höhenmeter. Auch wenn die Alpenvereine die Maut kritisch sehen, zeigen sie Verständnis: Die Massen müssten informiert und gelenkt werden. 

Schweiz und Österreich: TV-Kulissen als Touristenmagnet

Ein Drehkreuz steht auch im Schweizer Iseltwald am Brienzersee südlich von Bern. Die Gemeinde reagierte 2023 auf den Besucheransturm – vor allem asiatische Tourist:innen, die busseweise für ein Selfie auf den Holzsteg kamen, bekannt aus einer südkoreanischen Netflix-Serie. Fünf Franken (etwa 5,40 Euro) kostet der Eintritt, 244.000 Franken kamen so im vergangenen Jahr zusammen. Das Geld fließe in Reinigung, Instandhaltung sowie Aufsichtspersonal. Der Besucherstrom sei aber nicht abgerissen, räumt eine Sprecherin ein.

In Österreich bleibt Hallstatt der Ort, der am meisten unter Tourist:innen leidet. Die winzige Gemeinde, in der nur 750 Menschen leben, zählt über eine Million Besucher:innen jährlich – viele aus Asien, angelockt von der malerischen Kulisse, die durch TV-Serien weltweit bekannt wurde. Vor einigen Jahren wurde die Zahl der Reisebusse limitiert und eine Mindestverweildauer für Busgruppen eingeführt. „Wir bekommen das Ganze nur in den Griff, wenn man die Zufahrt zur Landesstraße beschränkt„, sagt Bürgermeister Alexander Scheutz. Ziel müsse sein, die Zufahrt weit vor dem Ort zu sperren, sobald Hotels und Parkplätze ausgebucht seien. Dabei profitiert Hallstatt finanziell: Es gibt kostenlose Kinderbetreuung, günstige Seniorenverpflegung, soziale Mietwohnungen sowie Unterstützung für Feuerwehr und Bergrettung. Die Gemeinde bemühe sich um eine Infrastruktur, die den Ort lebenswert erhalte, so der Bürgermeister.

Skandinavien: Regeln, Apps und ein GPS-System

Auch in Nordeuropa werden Touristen-Hotspots wie die dänische Hauptstadt Kopenhagen oder die malerischen Fjorde an der Westküste von Norwegen von Reisenden überrannt. In kleinen Orten, die Kreuzfahrtschiffe ansteuern, übersteigt die Zahl der Tagesgäste oft die der Einwohner:innen. Und da der Trend im Zuge der Klimakrise zur „Coolcation“ geht – also zum Urlaub in kühleren Gefilden statt im überhitzten Süden Europas – werden die Touristenmassen in Skandinavien kaum kleiner werden.

Einheimische klagen über rücksichtsloses Verhalten der Tourist:innen: Etwa am Geirangerfjord in Norwegen ignorieren viele Absperrungen für den perfekten, aber auch lebensgefährlichen Instagram-Schnappschuss – ein Problem, von dem man auch vielerorts auf Island ein Lied singen kann. 

Seit Jahren versuchen nordische Länder, mit Regeln, Schildern, Appellen und kreativen Ideen gegenzusteuern. Kopenhagen wirbt mit der Kampagne „Copenpay“ für nachhaltiges Reisen. Die kleinen, aber wunderschönen Färöer-Inseln gehen noch weiter: Tourist:innen können dort Mietwagen mit GPS-Systemen nutzen, die sie gezielt an unbekanntere Orte lotsen. Damit soll die Natur geschont werden. Einzige Bedingung: Das Auto entscheidet, wohin die Reise führt.

Spanien: Rekordzahlen – und wachsender Frust

Spanien, nach Frankreich das zweit-meistbesuchte Land der Welt, steuert 2025 auf einen neuen Touristenrekord zu: Die Zahl ausländischer Besucher:innen könnte in diesem Jahr erstmals die 100-Millionen-Marke überschreiten. Der Unmut über den Massentourismus wächst dabei von Jahr zu Jahr. Allein Mallorca, die beliebteste Urlaubsinsel der Deutschen, empfing im vergangenen Jahr 13,5 Millionen Menschen – bei weniger als einer Million Einwohner:innen.

Aus Sicht von Mieterverbänden, Umweltschützer:innen und anderen Organisationen sind die Folgen gravierend: Wohnungsnot, Umweltverschmutzung, Verkehrschaos, Lärmbelästigung, steigende Preise und die Zerstörung der Natur. Landesweit werden Maßnahmen gegen den Massentourismus geprüft und ergriffen – etwa durch eine deutliche Erhöhung der Übernachtungssteuer, in Barcelona auf bis zu 15 Euro pro Nacht. Damit fließt zwar viel Geld in die Kassen, doch erschwert das auch politische Konsequenz. Barcelona will aber bis Ende 2028 die Vermietung von Ferienwohnungen komplett abschaffen.

Einige Einheimische greifen derweil zu kreativen Protestformen. Auf Mallorca stellten Aktivist:innen im vorigen Jahr täuschend echte Schilder mit Warnungen vor Quallen, Steinschlag oder Badeverboten auf, um Tourist:innen von Stränden fernzuhalten. In Barcelona drehten Anwohner:innen Wegweiser zu den Bunkern auf dem Turó de la Rovira einfach um, um Besucher:innen gezielt in die Irre zu führen.

Griechenland: Teure Strände wegen Tourist:innen

In Hellas gibt es keine Demonstrationen gegen Tourist:innen, wohl aber Kritik. Super-Destinationen wie die Urlaubsinseln Santorini und Mykonos leiden unter den Kreuzfahrttourist:innen, die in der Hochsaison täglich zu Tausenden anlanden. Mittlerweile müssen sie 20 Euro Eintritt zahlen. Viel ändern dürfte das kaum – das Geld soll jedoch in Infrastruktur fließen.

Problematisch ist zudem die Preisentwicklung: Mykonos etwa ist mittlerweile so teuer, dass sich dort kaum Griech:innen Urlaub leisten können. Zudem finden Beschäftigte keinen Wohnraum, weil fast alles an Tourist:innen vermietet wird. 

Und schließlich verschwinden unbewirtschaftete Strände: Strandbars und Liegen nehmen vielerorts den letzten freien Platz ein. Dabei sind Strände in Griechenland per Gesetz öffentlich – mindestens die Hälfte der Fläche muss stets für alle zugänglich sein. Mittlerweile wird von den Behörden verstärkt kontrolliert und Verstöße auch geahndet.

Utopia meint: Respektvolles Verhalten ist das Mindeste – reicht aber nicht

Wer verreist, will nur dem eigenen Alltag und den Sorgen entfliehen. Da freut man sich über günstige Unterkünfte und außergewöhnliche Sehenswürdigkeiten. Die Folgen des eigenen Aufenthalts führt man sich als Urlauber:in dagegen zu selten vor Augen. Überlaufene Urlaubsorte erschweren die Wohnungssuche, den Arbeitsweg, die Erholung und viele andere Aspekte alltäglichen Lebens für Anwohner:innen.

Wer andernorts Urlaub macht, sollte sich mindestens respektvoll verhalten, Wasser und Energie sparsam nutzen, Müll vermeiden und korrekt entsorgen und sich die Mühe machen, gezielt weniger überlaufene Orte aufzusuchen oder den eigenen Aufenthalt außerhalb der Saison zu planen. Eine echte Lösung bietet aber auch diese Rücksicht nicht. Es fehlt an politischer Regulierung von Touristenzahlen, wie sie Einheimische teils bereits fordern.

Tipp: Am unproblematischsten (und ökologischsten) ist der Urlaub zu Hause. Das muss nicht langweilig sein, denn oft gibt es zahlreiche Sehenswürdigkeiten oder schöne Natur in der Nähe – oder in Reichweite für einen Tagesausflug. Wir nehmen uns im Alltag bloß selten die Zeit, diese zu erkunden. Mehr Infos und Tipps liefert der folgende Ratgeber:

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