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Waldbaden: Shinrin Yoku, die japanische Naturtherapie

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Foto: CC0 / Pixabay / NoName_13

Waldbaden bedeutet: Einen Waldspaziergang machen, zur Ruhe kommen, Stress abbauen. Diese Naturtherapie kommt ursprünglich aus Japan und wird auch in Europa praktiziert. Mittlerweile gibt es immer mehr wissenschaftliche Befunde zu ihrer Wirksamkeit.

Seit 1982 gibt es eine Naturtherapie namens Shinrin Yoku, was so viel bedeutet wie “Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes”. Sie entstand eher aus Intuition als auf Grundlage wissenschaftlicher Befunde.

Dabei geht es nicht im wörtlichen Sinne um ein Bad im Wald, sondern schlicht um den Aufenthalt im Wald, dabei die Atmosphäre zu genießen und die Natur mit allen Sinnen wahrzunehmen. Ursprünglich fungierte der Begriff “Shinrin Yoku” als Marketingkonzept. Aber seit einigen Jahren setzen sich auch Wissenschaftler:innen und Mediziner:innen immer mehr damit auseinander, welche positiven Auswirkungen diese Form der Naturtherapie auf uns haben kann.

Die größte Zeit während des Evolutionsprozesses verbrachten wir in der Natur. Unser Körper ist an die Natur angepasst. Die Zeit, die wir in Städten und Häusern verbracht haben, ist vergleichsweise gering. Daher scheint es nur logisch, wieder mehr zur Natur zurückzukehren.

Waldbaden als Präventivmedizin

Der Wald lässt uns unsere Sinne öffnen.
Der Wald lässt uns unsere Sinne öffnen. (Foto: CC0 / Pixabay / fgmsp)

Stress begleitet unsere heutige Gesellschaft in vielen Lebensbereichen. Die Hauptbelastungen sind Arbeit, hohe Selbstansprüche und die Sorge um Angehörige. Lange Stressphasen können sich sowohl auf den Körper als auch auf die Psyche auswirken. “Neben körperlichen Beschwerden wie zum Beispiel Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Magenbeschwerden kann Dauerstress auch auf die Psyche gehen”, erklärt der TK-Vorstandsvorsitzende Dr. Jens Baas.

Schon kurze Aufenthalte im Grünen bauen Stress ab. Farben, Geräusche und Düfte des Waldes senken den Cortisolspiegel und entspannen uns – körperlich und geistig. Denn: “Die Natur, der Wald, lädt uns ein, unsere Sinne zu öffnen. Im Gegensatz zum Büro oder einer Umgebung mit Straßenlärm. Dort verschließen sich unsere Sinne”, sagt Dr. Elisabeth Rauh, Chefärztin im Fachzentrum für Psychosomatik der Schön Klinik Bad Staffelstein. In der oberfränkischen Klinik ist Waldbaden Teil des Therapieangebots bei psychosomatischen Erkrankungen.

Besonders in Japan gilt Shinrin Yoku als kostengünstige und wirksame Methode zur Stressbewältigung. Es soll nicht nur das Wohlbefinden steigern, sondern auch langfristig kostenintensive medizinische Behandlungen verhindern. Dabei setzt die Therapie auf naturheilkundliche Methoden und macht sich zunutze, was in uns schon angelegt ist: Die Anpassung an die Natur, die wir durch unseren Evolutionsprozess noch immer in uns tragen.

Das Grundkonzept ist einfach: Die Naturtherapie setzt auf die beruhigende Wirkung von Wäldern und Natur. Dadurch soll eine körperliche Entspannung hervorgerufen und das Immunsystem gestärkt werden.

Freiheit für Sinne und Geist

“Im Wald kommen Menschen mit sich selbst in Verbindung”, erklärt die Psychologin Suse Schumacher. Und zwar, weil die natürlichen Reize diese Entspannungsmomente fördern, die notwendig sind, um den Geist zu öffnen. “Nur in der Entspannung können wir weiterdenken und in den Lösungsraum eintreten.” Schumacher arbeitet als systemische Coachin in Berlin und nutzt den Wald als Therapieraum. Über ihre Arbeit im Waldcoaching hat sie ein Buch (“Die Psychologie des Waldes”) geschrieben. 

Dabei wirken Naturräume wie Spiegel, so Schumacher: Lichtungen, Bäume oder Tiere können als Metaphern dienen, um Veränderungen anzustoßen. “Der Wald kommuniziert mit uns, wir gehen mit ihm in Resonanz. Wenn man still ist, kommen die Vögel näher. Ein Dialog entsteht”, beschreibt sie die Dynamik. 

Eine wichtige Besonderheit: Der Wald bietet einen Rückzugsort, an dem keine Anforderungen gestellt werden. “Im Wald darf ich einfach sein, niemand erwartet etwas von mir”, sagt Schumacher. Diese Freiheit – Stichwort Durchatmen – fördert innere Ruhe und erleichtert die Achtsamkeit.

Waldbaden: Rituale helfen

Wie bekommen wir es hin, dass das Eintauchen gelingt? Dabei helfen Rituale:

  1. Vor dem Eintritt: Sorgen und Gedanken symbolisch “an einen Baum hängen” oder mit einem Ast eine Linie im Boden ziehen. Diese Linie markiert den Übergang in die Waldwelt.
  2. Im Wald: Sinneswahrnehmungen aktivieren – etwa die Rinde eines Baumes berühren, den Geruch der Erde wahrnehmen oder den Geschmack von Beeren erleben. “Der Blick in den Himmel hilft zudem, eine Verbindung nach draußen herzustellen”, erklärt Rauh.
  3. Beim Verlassen: Erinnerungen wie Blätter oder Kastanien mitnehmen. “Was man mitnimmt, bleibt jedem selbst überlassen – Wald bedeutet Freiheit.”

In Japan gibt es sogar “Waldbademeister”, doch fürs Waldbaden benötigt man nicht zwingend eine therapeutische Begleitung. Es reicht, das Prinzip zu verstehen, damit man es alleine weiterführen kann, so Rauh. In ihrer Klinik dauert ein Waldbad zwei Stunden. Für Anfänger:innen ist diese Dauer ebenfalls ratsam. Später kann auch eine kurze Mittagspause im Grünen genügen, um eine ähnliche Wirkung hervorzurufen, sagt sie.

Wissenschaftliche Befunde zu Shinrin Yoku

Medizinische Messung von Stress anhand des Blutdrucks.
Medizinische Messung von Stress anhand des Blutdrucks. (Foto: CC0 / Pixabay / Bru-nO)

Seit über 15 Jahren untersuchen Wissenschaftler:innen empirisch die positiven Auswirkungen eines Waldaufenthalts während einer Naturtherapie. Die Ergebnisse fallen eindeutig gut aus. Um Stress zu messen, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Je entspannter der Körper, desto geringer die Hirnaktivität: Das wird gemessen, indem man das Gehirn mit einer sogenannten Nahinfrarotspektroskopie “durchleuchtet”. Bei ihr wird der Gehalt der roten Blutkörperchen im Gehirn gemessen und so bestimmt, wie aktiv das Gehirn ist.
  • Auch mithilfe der Konzentration von Stresshormonen im Speichel kann Stress gemessen werden. 
  • Wenn Stress zurückgeht, steigt die Aktivität des Immunsystems, genauer gesagt die der natürlichen Killerzellen, die Krankheitserreger bekämpfen.
  • Unser vegetatives Nervensystem, also der Teil des Nervensystems, der unbewusst alle Stoffwechselprozesse steuert, besteht aus zwei Teilen: Dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Der Sympathikus ist zuständig für Flucht und hohe Leistung. Stress aktiviert den Sympathikus und setzt ihn in Dauerbereitschaft. Die Pulsfrequenz erhöht sich, Stoffwechsel und Verdauung werden zurückgefahren. Entspannung wiederum erhöht die Aktivität deines Parasympathikus, deine Pulsfrequenz wird niedriger und dein Blutdruck sinkt.

Zum Testen wurden während eines Experiments eine Gruppe Versuchsteilnehmer:innen einen Tag lang in den Wald geschickt, die andere in eine städtische Umgebung. Danach zeigte sich deutlich:

  • Die Pulsfrequenz und der Blutdruck waren bei den Waldbesucher:innen deutlich niedriger.
  • Das die parasympathische Nervenaktivität war höher, die des Sympathikus niedriger als bei den Versuchspersonen, die in der Stadt waren.
  • Die Konzentration des Stresshormons Cortisol war bei den Waldgänger:innen ebenfalls deutlich niedriger.
  • Insgesamt fühlten sich diejenigen, die den Tag im Wald verbracht hatten, ruhiger, wohler, entspannteremotional ausgeglichener und hatten weniger Angstgefühle.

Ein weiteres Experiment bestätigte: Auch die Hirnaktivität sinkt durch einen Aufenthalt im Wald deutlich. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass die Anzahl an natürlichen Killerzellen nach einem Aufenthalt im Wald gestiegen ist.

Nach einem solchen Aufenthalt konnten auch nach einer Woche, teilweise sogar noch nach einem Monat die positiven Auswirkungen bei den Versuchsteilnehmer:innen gemessen werden.

Formen und Variationen der Naturtherapie

Eine einfache Form der Waldtherapie ist ein langer Spaziergang im Wald.
Eine einfache Form der Waldtherapie ist ein langer Spaziergang im Wald. (Foto: CC0 / Pixabay / bertvthul)

Die einfachsten Formen der Waldtherapie bestehen aus einem längeren Waldspaziergang oder dem Sitzen im Wald. Aber darüber hinaus bieten Naturtherapiezentren in Japan mittlerweile eine ganze Reihe von Spezialangeboten an:

  • Die Teilnehmer:innen praktizieren Yoga und Meditation im Wald.
  • Sie dürfen einfach in einer Hängematte im Wald liegen.
  • Sie machen eine Meditation unter einem Wasserfall.
  • Oder sie werden in direkten Kontakt mit Bäumen gebracht, spüren die Strukturen der Rinde und riechen den holzigen Geruch.
  • Andere Therapiezentren bieten Musikkonzerte, 
  • Teepflückkurse
  • oder Aromaworkshops an,wo die Teilnehmer:innen auch selbst lernen, ätherische Öle herzustellen.

Waldbaden für dich selbst

Entspannen bei einem Waldspaziergang.
Entspannen bei einem Waldspaziergang. (Foto: CC0 / Pixabay / silviarita)

Es gibt viele Übungen, die du auch ganz einfach selbst machen kannst und die schon eine große Wirkung auf deinen Stresspegel und dein Immunsystem haben können:

  • Mache einen achtsamen Spaziergang im Wald: Nimm deine Umgebung genau wahr, die verschiedenen Gerüche, die kühle Luft und spüre den Boden unter deinen Füßen. Welche Farben siehst du, welche Formen, welche Bewegungen? Was hörst du?
  • Tritt in Kontakt mit einem Baum, taste seine Rinde ab. Aus welchen Strukturen besteht sie? Wie hoch reichst du? Wonach riecht der Baum? Kannst du vielleicht sogar etwas hören?
  • Atemübungen und Meditation: Atme langsam ein und aus, zähle bei jedem Einatmen und bei jedem Ausatmen stumm bis vier. Lege eine Hand auf den Bauch und atme tief ein, sodass du die Hebung der Bauchdecke spürst.
  • Sei kreativ, nimm dir ein Skizzenbuch mit und zeichne, schreibe, male, stricke eine Mütze, baue kleine Ast-und-Blätter-Skulpturen, was immer dir in den Sinn kommt.

Und tue einfach das, was dir guttut – natürlich ohne der Natur Schaden zuzufügen.

Mit Bildern und Geräuschen – Natur im Alltag erleben

Nicht jeder hat einen Wald direkt vor der Haustür. Doch auch ohne direkten Zugang gibt es Möglichkeiten, Natur in den Alltag zu integrieren:

  • Micro-Waldbaden: Schon kleine Naturmomente, etwa ein Baum im Park oder ein Sitzplatz am Bach, können einen entspannen. “Hat man diesen Naturort gefunden, betritt man bewusst seinen Raum, verbindet sich mit ihm und lässt ihn wirken”, rät Elisabeth Rauh.
  • Naturbilder: Der Blick auf Naturbilder kann ebenfalls entspannend sein. “Ein Waldfoto an der Wand kann ähnliche körperliche Reaktionen auslösen wie ein tatsächlicher Waldbesuch”, erklärt Suse Schumacher, vor allem, wenn das Bild mit eigenen Erlebnissen verbunden wird.
  • Naturgeräusche: Klänge wie Vogelgezwitscher, das Rauschen von Wasser oder der Wind in den Blättern wirken beruhigend. Eine kurze Pause mit einer Audiodatei von Waldgeräuschen kann helfen, den Kopf freizubekommen – egal ob im Büro oder zu Hause. Schumachers Tipp: “Auch als Unterstützung für Meditationen eignen sich diese Klänge gut.”
  • Walddüfte: Ätherische Öle wie Lavendel, Eukalyptus oder Zedernholz schaffen eine beruhigende Atmosphäre, etwa im Diffusor oder als Raumspray. Auch das Einreiben von Handgelenken mit Lavendelöl kann das Gemüt positiv beeinflussen.
  • Natürliche Materialien und Farben: Wohnräume lassen sich mit Holz, Leinen oder beruhigenden Grüntönen so gestalten, dass sie das Wohlbefinden steigern. Ergänzend dazu bringen Zimmerpflanzen wie zum Beispiel Ficus oder Grünlilie das Naturgefühl ins Haus. Wissenschaftler:innen fanden außerdem heraus, dass schon die Interaktion mit einer Zimmerpflanze einen Unterschied macht.

Wichtig bei allen Maßnahmen: dass man sich auf die Natur einlässt, sie wahrnimmt. Dafür muss man bewusst innehalten und den Moment der Ruhe nutzen, um von der äußeren Wahrnehmung zur inneren zu kommen.

Wer sich näher für das Konzept und die Forschung zum Waldbaden interessiert, findet viele Informationen dazu ästhetisch aufbereitet in dem Buch “Shinrin Yoku – Heilsames Waldbaden” von Yoshifumi Miyazaki. Kaufen: bei Medimops, Thalia oder Amazon.

English version available: What Is Forest Bathing & Where Should You Try It?

Mit Material der dpa.

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