Die Horrormeldungen über die Aus- und Nachwirkungen des Reaktorunfalls von Fukushima reißen nicht ab. Neuerdings erreichen uns vor allem aus den USA Warnungen über die Ausbreitung radioaktiv verstrahlten Wassers im Nordpazifik bis hin zur amerikanischen Westküste. Aber wie ernst sollten wir diese Bedrohung nehmen? Sind bald alle Fischbestände verstrahlt? Müssen wir jetzt ganz auf Fisch aus dem Nordpazifik verzichten?
Seit dem 11. März 2011 sind tausende Tonnen radioaktiv belasteten Wassers aus dem havarierten Kernkraftwerk Fukushima Daiichi ins Meer geflossen. Nach dem Unfall gab es mindestens vier größere Lecks, infolge derer riesige Mengen kontaminierten Wassers in den Boden, das Grundwasser und das Meer gelangten. Experten gehen davon aus, dass täglich noch immer mindestens 300 Tonnen verstrahltes Wasser ins Meer fließen und die Betreiberfirma TEPCO scheint seine Probleme mit den undichten Tanks nicht in den Griff zu bekommen.
Reale Bedrohung oder Panikmache?
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen der Strahlenkontamination im Meer und an Land: Das Meer ist ständig in Bewegung und damit sind es auch die radioaktiven Partikel. Fast drei Jahre nach der Katastrophe von Fukushima verteilen sich die freigesetzten Radionuklide immer weiter im Pazifik. Einige Experten gehen davon aus, dass die ersten Ausläufer dieser radioaktiv belasteten Wassermengen im Frühjahr 2014 die nordamerikanische Küste erreichen könnten.
Es tauchen vor allem in US-amerikanischen Medien bereits vermehrt Horrormeldungen über eine „radioaktive Blase“ auf, die die Westküste verstrahlen wird. Schon ist die Rede von unerklärlichem Robbensterben, blutenden Fischen, zerfallenden Seesternen und verstrahltem Thunfisch. Mehrere Messstationen im Pazifik melden leicht erhöhte Cäsium-Werte in Plankton und im Internet kursieren die unterschiedlichsten Grafiken und Karten, die die angebliche Ausbreitung der radioaktiven Blase im Pazifik zeigen.
Es ist schwierig, aus dem Gewirr an Studien, Meldungen und (vermeintlichen) Expertenmeinungen herauszufiltern, was reine Panikmache und was wissenschaftlich fundiert ist. Die meisten der Grafiken sind im falschen Zusammenhang verwendet, unzureichend aufgeschlüsselt oder stellen eigentlich etwas ganz anderes dar. Belastbare Messdaten und Fakten gibt es derzeit kaum. Die viel zitierten radioaktiv belasteten Thunfische stammten aus den Gewässern vor Japan und hatten die Strahlendosis dort abbekommen, nicht vor der US-Küste. Der gemessene Strahlenwert dieser und auch anderer Meereslebewesen liegt sogar noch unter dem Wert für die „natürliche Hintergrundstrahlung“.
Der Großteil der ernstzunehmenden Studien besagt, dass bisher keine dramatisch erhöhte Strahlung im Pazifik entlang der amerikanischen Westküste festgestellt werden konnte. Die Wissenschaftler erwarten dies auch nicht – jedenfalls nicht in den katastrophalen Ausmaßen, den manche Medien heraufbeschwören. Ein sehr gutes Modell zur weiteren Ausbreitung der radioaktiven Partikel aus Fukushima haben Wissenschaftler der US-Behörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) und des deutschen GEOMAR Instituts entwickelt. Demnach verdünnen sich die Caesium 137-Partikel im Pazifik stark. „Bei den [Strahlungs-] Werten, die sogar nicht weit von Japan erwartet werden, bleibt der Pazifik sicher für Bootsfahrten, Schwimmen usw.“, sagt der renommierte US-amerikanische Meeres-Forscher Ken Buesseler.
Dass die Lage im Nordpazifik im Moment wenig bedrohlich erscheint, bedeutet aber natürlich keinesfalls, dass die radioaktive Belastung des Ozeans per se harmlos ist. Was sie in Zukunft für Umwelt und Lebewesen bedeutet, ist im Moment leider noch nicht abschätzbar. Die aktuelle Panikmache scheint jedoch vor dem Hintergrund der vorhandenen Daten unangebracht.
Wie verstrahlt ist Fisch aus dem Nordpazifik?
Der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 hat uns zu Recht sensibilisiert für gefährliche Radioaktivität in unseren Lebensmitteln. Zumindest für den Moment kann für Fisch aus dem Nordpazifik aber Entwarnung gegeben werden: Das Meeresgebiet direkt vor Fukushima, in dem die höchsten Strahlungswerte gemessen werden, ist nach wie vor für die Fischerei gesperrt. Alle aus der Präfektur Fukushima in die EU importierten Lebensmittel müssen kontrolliert werden. Fischereierzeugnisse aus allen umliegenden Präfekturen werden ebenfalls vor dem Import in die EU auf Strahlenwerte kontrolliert. Ohne ein Dokument der japanischen Behörden, das die Unbedenklichkeit bescheinigt, dürfen die Lebensmittel nicht in die EU eingeführt werden. Zudem nimmt die EU selbst bei 10 Prozent der Produkte Stichprobenkontrollen vor. Kein Fischereierzeugnis hat bisher die Grenzwerte überschritten. Auch Greenpeace beruhigt: „Derzeit gibt es […] keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Fische aus den genannten Fanggebieten Kontaminationen aufweisen, die für den Verzehr gefährlich wären“.
Kommt mein Fisch aus Japan?
Doch woher weiß ich überhaupt, woher der Fisch stammt, den ich im Supermarkt so schön verpackt kaufe? Es gibt in der EU eine Kennzeichnungspflicht für Fischprodukte, die die Herkunft des Fisches, die Bezeichnung der Fischart und die Fang- oder Zuchtmethode umfasst. Wo Fisch aus Japan drin ist, muss also auch Fisch aus Japan draufstehen. Manchmal verbergen sich die Angaben auf der Verpackung hinter Codes: Die Welternährungsorganisation FAO teilt die Weltmeere in nummerierte Fanggebiete ein. „FAO 61“ steht dabei für den Nordwestpazifik – inklusive der Meeresregion vor Japan –, „FAO 67“ für den Nordostpazifik. Aus dem Fanggebiet 61 stammt in erster Linie Alaska-Seelachs, der schwerpunktmäßig aber in der Beringsee, weit nördlich von Japan, gefangen wird. Aus „FAO 67“ stammen Alaska-Seelachs, Dornhai (im Handel als Seeaal und Schillerlocke) und Seehecht. Alaska-Seelachs ist einer der meistverkauften Fische in Deutschland, der Importanteil von in japanischen Gewässern gefangenem Fisch ist jedoch verschwindend gering: In den Jahren 2010 bis 2012 betrug er insgesamt jeweils um 0,05 Prozent, Tendenz sinkend. Es ist also nach unserem aktuellen Kenntnisstand zwar nicht notwendig, aber dank Kennzeichnung ohne Weiteres möglich, bewusst auf Fisch aus den fraglichen Fanggebieten zu verzichten.
Welchen Fisch kann man guten Gewissens essen?
Um die Strahlenbelastung Ihres Fisches brauchen Sie sich jedenfalls momentan nicht zu sorgen. Das viel größere Problem im Zusammenhang mit dem Fischkonsum ist die gnadenlose Überfischung der Meere und die zerstörerischen Fangmethoden, die nicht nur die Ozeane, sondern auch die Existenzen der traditionellen Kleinfischer zerstören. Wer es richtig machen und nur Fisch aus nachhaltiger Fischerei kaufen möchte, sollte sich genau informieren, welchen Fisch man noch guten Gewissens essen kann. Greenpeace stellt einen umfangreichen, regelmäßig aktualisierten Ratgeber zur Verfügung. Und wie bei allen Lebensmitteln tierischen Ursprungs gilt selbstverständlich auch bei Fisch: Weniger ist mehr.
Weiterlesen auf Utopia:
- 5 Argumente gegen Fisch
- Wie nachhaltig fischt die Nordsee?
- Greenpeace veröffentlicht neuen Fischratgeber
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