Selbstversuch: Was passiert, wenn ich einen Monat handyfaste? Von Katharina Siegl Kategorien: Wissen & Technik Stand: 16. Januar 2024, 08:39 Uhr Foto: CC0 Public Domain - Unsplash/ Shiwa ID, Priscilla Du Preez Utopia-Redakteurin Kathi sieht sich selbst eher als Smartphone-Minimalistin. Im Rahmen eines Experiments nimmt sie ihre eigenen Gewohnheiten unter die Lupe und versucht, ihre Handyzeit weiter zu reduzieren. Doch das klappt im Alltag viel schlechter als gedacht. 2021 verbrachten Deutsche im Schnitt 3,4 Stunden pro Tag am Smartphone. Das geht aus einer Analyse des Dienstleisters App Annie hervor. Knapp dreieinhalb Stunden sind ein stolzer Anteil des Tages – vor allem, wenn man bedenkt, dass viele jeweils acht Stunden mit Schlafen und Arbeit verbringen. Es bleiben also nur acht Stunden für Kochen, Essen, Körperhygiene und Freizeit. Davon investieren wir anscheinend knapp die Hälfte in unser Handy. Die Zahl wurde während der Coronapandemie erhoben, welche auch den Medienkonsum stark beeinflusst hat. Ich fand sie trotzdem erschreckend, war aber überzeugt, dass ich davon nicht betroffen bin. Im Vergleich zu meinem Umfeld verbringe ich sehr wenig Zeit am Handy – wie viel genau, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Deshalb beschloss ich ein Experiment zu wagen: Einen Monat lang wollte ich meine Handyzeit messen und anschließend stark reduzieren. Die Ausgangssituation: Wie viel Zeit verbringe ich am Handy? Wie kann man die Zeit am Smartphone am besten verringern? Meine Kollegin Lena hat dazu einen Experten befragt: Mediensuchttherapeut Benjamin Grünbichler riet dazu, erst einmal zu messen, wie viel Zeit man täglich am Handy verbringt. Dies kann man bei Apple-Geräten unter „Bildschirmzeit“ und bei Android-Smartphones unter „Digital Wellbeing“ auslesen. Bei meinem Handy klappte das allerdings nur für die zurückliegenden zwei Wochen und auch die Bedienung war etwas umständlich. Ich habe mir deshalb Ende September die Gratis-App „StayFree“ heruntergeladen, die genauere Auswertungen ermöglicht. Über den Oktober hinweg trackte ich damit meine Handyzeit, ohne etwas an meinem Verhalten zu ändern. Das Ergebnis: Im Schnitt verbrachte ich 1,5 Stunden pro Tag am Smartphone. An einzelnen Tagen waren es aber auch mal drei Stunden, an anderen weniger als zehn Minuten. Damit liege ich an den meisten Tagen deutlich unter dem Durchschnitt in Deutschland – doch die Ausreißer überraschten mich. Meine Screentime stieg besonders stark, als ich ein paar Tage lang mit einer Grippe auf dem Sofa lag und sonst nicht viel unternehmen konnte. Das Handy stellt für mich also zumindest teilweise eine Ablenkung bei Langeweile dar. Diese Beobachtung deckte sich auch mit anderen Auswertungen aus Stayfree: Die Apps, auf denen ich am meisten Zeit verbrachte, waren Instagram und mein Browser – hier sehe ich gern Dinge nach oder lasse mich berieseln. Whatsapp folgte erst auf Platz 3. Mein Entschluss: Im November wollte ich auf „Entertainment“ am Smartphone ganz verzichten und meine Handyzeit um zwei Drittel reduzieren – auf nur noch 30 Minuten am Tag. Ehrlich gesagt ging ich davon aus, dass mir das nicht besonders schwerfallen würde. Doch das war ein Irrtum, wie sich bald rausstellen würde. Experte Benjamin Grünbichler war vorsichtiger in seiner Einschätzung. Ihm zufolge kann man schon von einem Erfolg sprechen, wenn man es schafft, die eigene Handyzeit um ein Drittel zu reduzieren. 30 Minuten Handyzeit pro Tag: Was mir schwerfiel Am 1. November begann ich mein eigentliches Experiment mit dem Ziel, meine Handyzeit bewusst zu verkürzen. Der Plan war, das Gerät jeweils morgens und abends zehn Minuten zu verwenden sowie untertags zehn Minuten „zwischendurch“, wenn es eben gerade nötig ist. Um Ablenkungen zu vermeiden, stellte ich mein Handy durchwegs auf lautlos und nachts öfters in den Flugmodus. Suchttherapeut Grünbichler empfahl auch, das Handy außerhalb des Sichtfeldes aufzubewahren. Dies konnte ich zumindest während der Arbeitszeit nicht umsetzen, weil ich das Gerät nutze, um die Nachrichten mitzuverfolgen. Mein Plan ging generell nicht auf, aus verschiedenen Gründen. Zum einen hatte ich unterschätzt, wie viel Zeit einfache Organisation auf dem Handy benötigt. Zum Beispiel nutze ich Whatsapp, um mich mit Freund:innen zu verabreden. Dies geschieht aber selten innerhalb von 1-2 Nachrichten – stattdessen schreiben wir mehrmals hin und her, unterhalten uns zwischendrin teils über etwas ganz anderes. Meine zehn Minuten Handyzeit haben dazu oft nicht ausgereicht und waren oft viel schneller um als erwartet. Auch andere Tasks wie Navigation und Nachrichtenlesen nahmen mehr Zeit in Anspruch als gedacht. Dazu kamen immer wieder Ausnahmen. Ich hatte im November Geburtstag und wollte keine Glückwünsche unbeantwortet lassen, weshalb ich meine Handyzeit an meinem Geburtstag überschritt. An einem anderen Tag brauchte ich mein Handy längere Zeit, weil darauf ein Foto gespeichert war, das ich bei einem Malkurs als Referenz verwendet habe. Einmal hatte mir eine Freundin eine Dokumentation geschickt, die ich ohne drüber nachzudenken am Smartphone geschaut hatte. Und am Ende eines besonders stressigen Arbeitstages landete ich trotz aller guter Vorsätze doch für 20 Minuten auf Instagram. Generell war ich überrascht, wie sehr ich es im Laufe des Novembers vermisste, sinnlos durch einen Feed zu scrollen. Gerade wenn ich besonders erschöpft war, hatte ich das starke Bedürfnis nach dieser Art von Ablenkung. Ein Buch oder Film kam für mich in dem Moment nicht in Frage, weil ich gar nicht so viel Zeit aufwenden wollte oder keine Lust hatte, mich in eine komplexe Handlung einzudenken. Instagram scheint meine Anlaufstelle für kurzzeitige Unterhaltung geworden zu sein, ohne dass ich mir dessen richtig bewusst war. Das Problem: Oft verbringt man doch deutlich mehr Zeit mit dem Scrollen, als man ursprünglich vorhatte. Während meiner Krankheit im Oktober hatte ich teils über eine Stunde auf der Plattform gescrollt – Zeit, die ich auch sinnvoller hätte nutzen können. Positive Effekte von weniger Handyzeit Mein Handyfasten-Monat hatte auch einige positive Effekte. Im November habe ich zum Beispiel so viel gelesen wie lange nicht mehr. Denn an den Abenden, an denen ich noch aufnahmefähig war, griff ich statt zum Smartphone öfter zu Büchern. Ebenso bei U-Bahnfahrten, während denen ich sonst wohl am Handy gescrollt oder Nachrichten beantwortet hätte. Dass ich meine Nachrichten seltener prüfte, führte nur selten zu Problemen. Einmal hörte ich beispielsweise die Sprachnachricht einer Freundin erst am nächsten Tag ab, weil meine Handyzeit für den Tag schon aufgebraucht war. Sie hätte meine Antwort aber noch am selben Abend benötigt. Doch sonst klappte die Kommunikation meist gut, auch weil ich einen Großteil meiner Screentime für sie aufwendete. Insgesamt habe ich meine Handyzeit im November von 1,5 Stunden auf durchschnittlich 50 Minuten reduziert, also fast halbiert. Laut Einschätzung von Suchtexperte Grünbichler wäre das Experiment damit geglückt, auch wenn ich mein eigentliches Ziel von 30 Minuten am Tag nicht erreicht habe. Fazit: Handyfasten hilft, die eigenen Gewohnheiten kennenzulernen Mein Fazit: Ich würde Handyzeit-Fasten weiterempfehlen. Vor allem, um die eigenen Gewohnheiten kennenzulernen, die sich in den vergangenen Jahren eingeschlichen haben. Mir wurde zum Beispiel durch das Experiment erst klar, wie schwer es für mich inzwischen ist, im Alltag auf mein Handy zu verzichten. Ich benötige es für die Organisation meines Alltags immer wieder (Freund:innen treffen, Termine ausmachen, Kalender, To-Do-Listen, etc.) und greife auch für die schnelle Ablenkung darauf zurück. Ob ich meine Handyzeit langfristig so niedrig halten kann, bleibt abzuwarten. Ich plane, mir meine neuen Lesegewohnheiten beizubehalten und meine Instagram-Zeit dafür weiter zu reduzieren. Außerdem will ich mir eine Armbanduhr anschaffen, um nicht so oft auf das Handy schauen zu müssen – und nicht doch bei Nachrichten oder Pushnachrichten hängen zu bleiben. Das volle Interview mit Benjamin Grünbichler kannst du im Utopia-Podcast nachhören. Du findest sie auf Spotify, Apple Podcasts und allen gängigen Podcastplattformen sowie direkt hier: ** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos. 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