Frauen blicken nicht anders auf Finanzen als Männer, meint Claudia Müller, sie müssen aber sehr wohl anders planen. Anlaufstellen für finanzielle Fragen gibt es für Frauen noch kaum. Das Female Finance Forum ist angetreten, dies zu ändern.
Claudia, du hast deinen sicheren Job bei der Bundesbank gekündigt und dich mit dem Female Finance Forum selbstständig gemacht. Wie kam es dazu?
Bei der Deutschen Bundesbank hatte ich nicht nur einen sicheren, sondern auch einen wahnsinnig spannenden Job. Gleichzeitig ist die Bundesbank relativ weit vom Alltag der meisten Menschen entfernt. Ich hatte zum einen das Bedürfnis, eine direkte positive Wirkung auf das Leben meiner Mitmenschen zu haben. Zum anderen hat mich die Eigenverantwortung der Selbstständigkeit gereizt – einerseits absolut respekteinflößend, gleichzeitig unglaublich befreiend, alle Entscheidungen alleine zu treffen.
Grüne Denke auch im Bereich der Finanzen
Die Idee für das Female Finance Forum ist direkt aus meiner Bundesbank-Arbeit entstanden. Dort war ich für das Thema „Green Finance“ zuständig, dem Zusammenhang zwischen Klimawandel und dem Finanzsektor. Ich hatte das Bedürfnis, jedem einzelnen Menschen in meinem Umfeld diesen Zusammenhang aufzuzeigen. Viele Menschen kaufen Bio-Produkte und machen sich Gedanken über Nachhaltigkeit, aber das erstreckt sich häufig nicht in den Bereich der Finanzen. Dabei kann schon die Wahl des Kontos hier einen großen Unterschied machen, und natürlich die Investitionen, die wir tätigen.
Im Lauf der Zeit ist mir dann klar geworden: Bevor wir über nachhaltige Geldanlagen reden können, müssen wir über Geldanlagen im Allgemeinen reden. Wie funktioniert das? Womit fange ich an? Im weiteren Verlauf ist mir die besondere Dringlichkeit des Themas Finanzen für Frauen klar geworden, auf die ich mich nun konzentriere.
Nachdem ich einige Monate an meinem Konzept gefeilt hatte, stand ich vor der Frage, ob ich diesen Schritt wirklich gehen möchte. Und dann bin ich gesprungen. Allerdings erst, nachdem ich die Förderung durch das Social Impact Lab gewonnen hatte.
Frauen müssen anders vorsorgen
Du richtest dich mit deinem Angebot ausschließlich an Frauen. Blicken Frauen anders auf Finanzen als Männer?
Ich glaube nicht, dass Männer und Frauen unterschiedlich auf Finanzen blicken. Es ist allerdings so, dass die Lebensrealitäten sich unterscheiden und Frauen daher anders planen müssen als Männer. Ein Beispiel: Frauen werden im Schnitt sieben Jahre älter als Männer. Wenn ich privat so vorsorgen möchte, dass ich im Alter 500 € monatlich zur Verfügung habe, sind das für die sieben Jahre 42.000 €. Das muss ich einplanen.
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Dazu kommt, dass Frauen im Durchschnitt auch heute noch weniger verdienen als Männer. Außerdem haben wir häufiger Phasen, in denen wir wenig oder gar nichts verdienen, weil wir uns um Kinder oder Angehörige kümmern. Das wirkt sich natürlich auf die Rente aus. Viele Frauen haben zwar im Hinterkopf, dass es so etwas wie Altersarmut gibt – gleichzeitig ist dieses Thema aber gefühlt so weit entfernt und so abstrakt, dass eine häufige Reaktion ist, den Kopf unter die Decke zu stecken und nicht weiter darüber nachzudenken. „Mir wird das schon nicht passieren.“
Female Finance Forum: strukturelle Hürden durchbrechen
Frauen interessieren sich nicht für Finanzen – das hört man oft. Aber ist das nicht ein Klischee?
Das ist ein totales Klischee! Meiner Erfahrung nach stimmt es auch nicht. Frauen interessieren sich genauso für Finanzen wie Männer, sie fühlen sich nur bisher vom männlich dominierten Finanzsektor nicht angesprochen und nicht verstanden. Zudem fordern Frauen oft mehr Informationen, bevor sie eine Entscheidung treffen. Da die Informationsgeber bislang zumeist Männer sind, gibt es da viel Misskommunikation.
Und als dritter Aspekt kommt hinzu, dass Frauen sich bei vielen Entscheidungen gerne auf Empfehlungen verlassen. Da das Thema Finanzen aber in Deutschland ein großes kulturelles Tabu ist („Über Geld spricht man nicht!“), funktionieren Empfehlungen nicht – wenn nicht geredet wird, kann auch niemand etwas empfehlen. Dies sind strukturelle Hürden, die ich mit dem Female Finance Forum durchbrechen möchte.
Wissen wir in Deutschland insgesamt zu wenig über Finanzen?
Ja, insgesamt ist der Wissensstand im Bereich Finanzen in Deutschland niedrig, bei Frauen wie bei Männern. Ich konzentriere mich auf Frauen und ihre speziellen Bedürfnisse. Hierbei möchte ich früh ansetzen und dem Thema den Schrecken nehmen. Mit konkreten Zielen, verständlicher Sprache und einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig unterstützt und motiviert. Ich könnte mir zudem gut vorstellen, in Zukunft beispielsweise in Schulen zu gehen und dort Seminare zum Thema Finanzen zu geben.
Insgesamt geht es mir immer um die praktische Herangehensweise für private Finanzen. Zum Beispiel: Was ist der Unterschied zwischen einem Festgeldkonto, einem Tagesgeldkonto und einem Girokonto? Wie funktionieren Aktien? Was ist ein Fonds? Es ist wichtig, die Berührungsängste mit dem Thema zu verlieren. Letztlich ist es nicht schwieriger als kochen – wenn wir es von unseren Eltern lernen, ist es überhaupt nicht kompliziert. Wenn wir aber beim Auszug aus der elterlichen Wohnung das erste Mal Nudeln kochen, versalzen wir im Zweifelsfall alles.
Beratung zu Gehaltsverhandlungen
Was bietest du Frauen konkret an?
Mit dem Female Finance Forum möchte ich erreichen, dass jede Frau in Deutschland eigenständig die für sie richtigen finanziellen Entscheidungen treffen kann. Damit sichert sie ihre soziale und wirtschaftliche Teilhabe an der Gesellschaft. Das zentrale Element des Female Finance Forum ist eine Gemeinschaft aus Frauen, die sich offen über alle Fragen zum Thema Finanzen austauschen. Hier gibt es keine dummen Fragen. Jeder Wissensstand ist willkommen.
Die Themen reichen von Sparzielen über Eheverträge bis hin zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Alle Fragen dürfen und sollen auf den Tisch kommen. Dieser Austausch findet sowohl in meinen FrauenFinanzRunden statt (kleine Runden, in denen wir gemütlich beisammensitzen und uns austauschen, um von- und miteinander zu lernen), und in der Female Finance Forum-Facebook-Gruppe, zu der nur Frauen Zutritt haben.
Außerdem biete ich Workshops an, in denen ich konkrete Inhalte übermittle. Bislang konzentriere ich mich hier auf die ersten Schritte – also z. B. „Wie bekomme ich eine bessere Kontrolle über meine Ausgaben?“, „Ich stehe am Anfang des Berufslebens – womit fange ich eigentlich im Bereich Finanzen an und was kann ich mit 25 € monatlich sinnvoll erreichen?“, oder „Was genau sind eigentlich ETFs, und was ist dabei zu beachten?“ Demnächst kommen speziellere Themen dazu, z. B. nachhaltige Geldanlagen oder Gehaltsverhandlungen für Frauen. Das alles soll sowohl in Workshops übermittelt werden als auch online in Form von Webinaren oder Online-Kursen.
Mehr Geld in mehr Frauenhände
Du willst mit Frauen auch über „typische Anfängerfehler“ im Umgang mit Geld sprechen. Was ist ein solcher Anfängerfehler für dich?
Der größte Fehler ist, nicht anzufangen. Viele Frauen denken entweder, dass sie nicht genug verdienen und es sich nicht lohne, oder dass das Thema Finanzen zu kompliziert ist. Beides stimmt nicht. Insbesondere für Frauen ist es wichtig, langfristig vorzusorgen. Wenn wir die oben genannten Aspekte (Lebenserwartung, Durchschnittsgehalt, Verdienstausfall) kennen und einplanen, können wir Schreckszenarien wie finanzielle Abhängigkeit oder Altersarmut verhindern. Da lohnt sich jeder Euro.
Und wenn das Thema in normaler Sprache und mit einer Anleitung zur praktischen Umsetzung vermittelt wird, ist es auch nicht mehr kompliziert. Zudem sollte eine Gesellschaft allen Mitgliedern gleiche Möglichkeiten zur Teilhabe und zur Prägung dieser Gesellschaft bieten. Solange das Geld überwiegend in den Händen der Männer liegt, bleibt unsere Gesellschaft männlich geprägt.
Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Ich möchte die Frauen ermutigen und bei Bedarf an die Hand nehmen, um diesen ersten Schritt zu gehen.
Interview: Michael Rebmann
Der Beitrag erschien ursprünglich im Triodos-Bank-Blog diefarbedesgeldes.de
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