Die Sharing Economy gilt vielen als vielversprechender Ansatz für ein klima- und ressourcensparendes Wirtschaftssystem. Nicht so Niko Paech – der bekannte Wachstumskritiker und Ökonom ist vom Gegenteil überzeugt. Er sagt: “Airbnb, Uber oder das Carsharing tragen gerade nicht zur Ent-, sondern zusätzlichen Belastung der Ökosphäre bei.
Die Digitalisierung eröffnet neue Welten der materiellen Aufrüstung.” Um unseren Planeten zu retten, fordert Paech ein radikales Umdenken. Ein Interview mit Niko Paech.
Die große Mehrheit der Ökonomen hält Wirtschaftswachstum für eine gute Sache. Sie nicht. Warum?
Wirtschaftliches Wachstum lässt sich nicht von ökologischen Schäden entkoppeln. Die Schadenshöhe nimmt im Zeitablauf sogar zu. Ein Beispiel: Wenn wir in den 1950er Jahren die Fläche eines Hektars versiegelt haben, verursachte das einen bestimmten physischen Schaden, der jedoch weitaus geringer war als bei einer Versieglung derselben Fläche im Jahr 2019. Es entsteht zwar dieselbe physische Schadenseinheit, die aber ökonomisch viel höher zu bewerten ist. Der Grund liegt in der steigenden Knappheit: Wir haben kaum noch unversiegelte Flächen.
Gilt das auch für den Klimawandel?
Heute ist schon sehr viel CO2 in der Atmosphäre. Setzen wir jetzt eine weitere Tonne frei, hat das katastrophalere Folgen, als wenn es in 1950er Jahren geschehen wäre. Damals lag die atmosphärische CO2-Konzentration deutlich niedriger. Das heißt: Auf einem endlichen Planten verursacht ein linearer Schadenszuwachs eine überproportionale Zunahme der Schadenshöhe. Daraus folgt, dass Wirtschaftswachstum niemals zerstörerischer war als in der Gegenwart. Das gilt selbst dann, wenn technische Innovationen, etwa in den Bereichen der ökologischen Effizienz, Kreislaufwirtschaft oder erneuerbaren Energien, den Schadenszuwachs mindern. Ganz tilgen können sie ihn ohnehin nicht.
Warum schadet Wachstum noch?
Die Rohstoff-Basis für weiteres Wirtschaftswachstum schwindet. Die nötigen Flächen, Mineralien und fossilen Brennstoffe werden knapper. Als eine Lachnummer hat sich die Hoffnung herausgestellt, wir könnten die Abhängigkeit von physischen Rohstoffen überwinden, indem wir die Digitalisierung und somit eine vermeintlich entmaterialisierte Wertschöpfung vorantreiben. Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Der Begriff „Lachnummer“ ist sehr hart. Wird nicht oft argumentiert, gerade digitale Systeme seien wichtig, um ökologische Probleme zu lösen?
Die Digitalisierung selbst hat deutlich physische Konsequenzen: Wir brauchen Unmengen an Energie, denken Sie nur an die Server-Farmen von Google. Und: Digitale Systeme sind nicht in der Lage, die Material-Intensität unseres Wohlstandes zu reduzieren. Weder Industrie, Häuser noch Autos oder Flugreisen lassen sich digitalisieren. Ebenso kein Rotwein, keine Pizza oder Rosen. Die dazu nötige Materie wird sich niemals durch Virtualität ersetzen lassen. Da bauen einige Wissenschaftler an Luftschlössern, etwa wenn sie behaupten, die digital vereinfachte Gemeinschaftsnutzung würde die materielle Produktion senken. Airbnb, Uber oder das Carsharing tragen gerade nicht zur Ent-, sondern zusätzlichen Belastung der Ökosphäre bei. Die Digitalisierung eröffnet neue Welten der materiellen Aufrüstung, allein wegen des ständigen Neuanschaffens entsprechender Endgeräte. Darüber hinaus beschleunigt sie jeden ökonomischen Prozess, der Energie und Materie braucht sowie Abfälle und Emissionen erzeugt. Ohne digitale Kommunikationsmittel wären Verkehr, Konsum und Produktion auf einem weitaus geringeren Niveau.
Sie warnen bei der Digitalisierung auch vor einem Rückfall ins „Neo-Mittelalter“. Was meinen Sie mit diesem Begriff?
Darunter verstehe ich einen historischen Treppenwitz. Einst schickten sich Gesellschaften an, mit Hilfe technischen, ökonomischen und politischen Fortschritts die Schicksalsabhängigkeit des düsteren Mittelalters zu überwinden. Nun hat die digitale Moderne einen Zustand entstehen lassen, der uns schicksalsabhängiger hat werden lassen, als wir es je waren. Erstens sind wir transparent und kontrollierbar geworden, zweitens ist unser ganzes Leben, selbst sozialen Beziehungen, abhängig von digitaler Kommunikation. Wenn sie entfiele, würden wir ohne diese Technik von heute auf morgen handlungsunfähig. Drittens ist die Digitalisierung unvermeidlich mit einer ökonomischen Machtkonzentration verbunden, die es noch nie gab.
Welche Rolle spielt bei Ihrer Kritik der Rebound- oder Bumerang-Effekt? Was passiert dabei?
Hier sollten Sie nicht im Singular, sondern im Plural sprechen. Materielle Rebound-Effekte entstehen, wenn Technik eingesetzt wird, um ein ökologisches Problem zu lösen und dafür in einer anderen physischen Dimension ein neues Problem entsteht. Energiesparbirnen oder Elektromobile sind gute Beispiele, weil hier dem nicht zu bestreitenden Energie- bzw. CO2-Einspareffekt enorme Probleme in der Produktion und Entsorgung entstehen, denken wir allein an Quecksilber bzw. Lithium.
Sie beschreiben noch einen zweiten Rebound-Effekt?
Energiesparende Objekte, aber auch die Digitalisierung führen oft zu finanziellen Einspareffekten: Carsharing erspart die Kosten eines eigenen Autos. Aber was geschieht mit dem gesparten Geld? Unter der Matratze bleibt es jedenfalls nicht liegen, sondern wird in den meisten Fällen zum Kauf von Gütern und Dienstleistungen genutzt wird. Wer beispielsweise das durch Carsharing gesparte Geld in eine Flugreise investiert, verursacht mehr CO2-Emissionen als mit einem eigenen PKW.
Die vermeintlichen Effizienzvorteile einer digitalen Sharing-Economy bewirken, dass Dienstleistungen das klassische Eigentum ersetzen. Das spart nicht nur Geld, sondern harmoniert mit einer kosmopolitischen Lebensführung, die das ökologisch Ruinöseste darstellt, was Menschen je praktiziert haben. „Airbnb“ sowie die Möglichkeit, kein hinderliches Eigentum mehr zu benötigen, sondern überall vor Ort alles leihen zu können, sind die Wegbereiter maximal zerstörerischer Handlungsmuster.
Geschieht das alles noch in anderen Bereichen unseres Lebens?
Derartige finanzielle Rebound-Effekte treten auch bei Passivhäusern, LED-Lampen oder sparsamen Autos auf.
Soweit die ernüchternde Analyse. Wie sollten wir aber leben – ohne ein Wachstum der Wirtschaft, das Sie als so ruinös für den Planeten beschreiben?
Wenn nicht nur die Technik, sondern auch institutionelle Innovationen wie das kommerzielle Sharing dabei versagen, Wirtschaftswachstum von Schäden zu entkoppeln, sondern sogar das Gegenteil bewirken können, bleibt nur die Option, Wohlstandsansprüche zu zurückzuschrauben oder zu begrenzen.
Mit so einer Forderung lassen sich aber keine Wahlen gewinnen.
So ist es, derzeit wäre es politischer Selbstmord, einer hochgezüchteten Konsum-, Technik- und Industriegesellschaft ein Rückbauprogramm zu verordnen.
Veränderungen können nur durch Gegenkulturen zum Wachstumswahn bewirkt werden, die in den Nischen der Zivilgesellschaft entstehen. Ökologisch verantwortbare Lebensführungen und Versorgungssysteme müssen von Pionieren erprobt werden, damit sie sich durch soziale Diffusion verbreiten können und zum Vorboten einer Postwachstumsökonomie werden.
Wie könnte diese „soziale Diffusion“ ablaufen?
Einen postwachstumstauglichen Lebensstil übernehmen Menschen am ehesten, wenn sie andere dabei beobachten können. Ohne glaubwürdige Vorbilder ist dieser Wandel undenkbar. Und daran genau mangelt es. Um die Gesellschaft positiv zu irritieren, reichen keine Betroffenheitsbekundungen, sondern nur Lebensführungen, die auf Sesshaftigkeit und einer zu Teilen nicht mehr industriellen Versorgung beruhen.
Deutschland ohne Industrie?
Wichtig wäre eine duale Existenzform, basierend auf einer stark verkleinerten Industrie, ergänzt um eine Regionalökonomie und moderne Selbstversorgung.
Sie setzen sich auch für eine starke Reduktion der Arbeitszeit ein?
Ein postwachstumstauglicher Lebensstil könnte bedeuten, nur 20 Stunden pro Woche zu arbeiten. Wenn das auf alle Beschäftigten angewandt würde, könnte die Wirtschaft um die Hälfte verkleinert werden, ohne Arbeitslosigkeit zu riskieren. Wenn die finanziellen Einsparungen des Sharings oder anderer Effizienzmaßnahmen dazu dienen würden, mit einem geringeren Einkommen leben zu können, ließen sich die Rebound-Effekte vermeiden, über die wir gerade sprachen.
Mit welchen Effekten rechnen Sie außerdem bei einer 20-Stunden-Woche?
Dass zwar weniger Geld verdient wird, aber mehr Zeit verfügbar ist. Diese Zeit ermöglicht es, zusätzlich zum durchschnittlich verringerten Einkommen Subsistenz-Leistungen zu erbringen, am besten in Netzwerken der Selbsthilfe. Dazu zählt, mit anderen Menschen Dinge selbst herzustellen, instandzuhalten und zu reparieren und gemeinsam zu nutzen. Eine solche nicht-kommerzielle Gemeinschaftsnutzung unterscheidet sich deutlich von der rendite-orientierten Sharing Economy.
Was ist der Unterschied?
An die Stelle einer Geldwirtschaft kann der Tausch treten. Wer mir sein Auto leiht, kann meine Waschmaschine nutzen oder er bekommt Überschüsse aus meinem Garten oder ich repariere sein Notebook. Das reduziert die Marktnachfrage und bildet das Gegenteil zur Logik der Sharing-Economy, die letztlich oft additive Leistungen und zusätzliches Wirtschaftswachstum erzeugt. Genau genommen sind die digitalen Sharing-Modelle nichts anderes als der Versuch, einer weiteren Expansion den Weg zu bahnen, weil der auf Eigentum basierende Güterkonsum Sättigungsgrenzen erreicht hat.
Interview: Ingo Leipner
Der Beitrag erschien ursprünglich im Triodos-Bank-Blog diefarbedesgeldes.de
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