Tim Jackson bricht eine Lanze für „Wohlstand ohne Wachstum“. Der einflussreiche britische Wissenschaftler und Autor des gleichnamigen Buchs weiß, dass das Ablassen von einer Wachstumsökonomie riskant ist. Aber er ist davon überzeugt, dass dies möglich ist.
Für eine Wirtschaft ohne Wachstum sind alternative Investitionen notwendig, genauso wie ein Lebensstil, der weniger Ressourcen benötigt. „Das bedeutet aber nicht, dass wir dann auch weniger glücklich sein würden“, sagt Jackson. Es ist das Dilemma der Nachhaltigkeitsdebatte: Müssen wir weniger konsumieren oder ist das Festhalten am Wachstum, dem wir dann nur grüne Inhalte geben, möglich? Für Tim Jackson ist die Antwort auf diese Frage eindeutig: Er rechnet vor, dass das Einhalten von Klimazielen eine Illusion ist, wenn wir genauso weiter wachsen wie derzeit. Daher plädiert er für eine Weltwirtschaft, die gar nicht oder kaum wächst. Und er meint in der Tat, dass wir ein einfacheres Leben führen müssen als bisher. Er selbst praktiziert dies auch schon, indem er beispielsweise nicht mit dem Auto fährt.
Jahrelange Forschung
Jacksons Meinung stützt sich auf jahrelange Forschung. Zum Beispiel hat er untersucht, wie Auswirkungen auf die Umwelt besser in die Berechnungen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Eingang finden könnten. Oder sich mit den Kosten der CO2-Reduktion befasst. Im Rahmen seiner Arbeit stieß er auf immanente Widersprüche in unserem Wirtschaftssystem: „Um Gewinn zu machen, müssen Unternehmen unsinnige Vergeudung vermeiden. Gleichzeitig aber müssen sie so viel wie möglich produzieren und verkaufen.“ Der britische Forscher hat erkannt, dass in der zugrunde liegenden Struktur unserer Wirtschaft ein „Webfehler“ liegt. 2004 bekam er die Chance, dies näher zu untersuchen. Mit einem Team aus Wirtschaftswissenschaftlern, Soziologen und Psychologen begann er ein wissenschaftliches Projekt mit dem Ziel, den Begriff „Wohlstand“ näher zu definieren. Ein Ergebnis davon war das Buch „Wohlstand ohne Wachstum“. Es ist ganz bewusst nicht als reines Wissenschaftswerk im Fachchinesisch geschrieben. „Ich möchte gut verstanden werden, weil es sich um eine kniffelige Frage handelt, die darüber hinaus teilweise unserer Intuition zuwiderläuft.“ Wie das? „Wir assoziieren Wachstum meist mit etwas Positivem. Wir möchten unsere Kinder und Erträge wachsen sehen. Und wir haben ein Verlangen nach neuen Dingen. Einige Menschen gewinnen dadurch sogar ihre Identität. Außerdem haben wir sehr genau gelernt, dass wir ein Problem haben, wenn unsere Wirtschaft ins Stocken gerät.“
Mehr als Materie
Jacksons Punkt ist, dass unser Begriff des Wohlstands sich einseitig auf wirtschaftliches Wachstum stützt. Wir drücken unsere Wirtschaftsleistung im BIP aus. Jackson gibt zu bedenken, dass sich dieser Ausdruck lediglich auf Produktivität bezieht, aber nicht unbedingt bedeutet, dass wir ein besseres Leben führen. Unsere Investitionen zielen vor allem auf mehr Effizienz und die Steigerung der Produktion ab. Dadurch reizen wir die Grenzen dessen aus, was die Erde ertragen kann. Jackson: „Unternehmen und die Politik heizen dieses Feuer an, indem sie Menschen ermutigen, sich mit Geld, das sie nicht haben, Dinge zu kaufen, die sich nicht benötigen, um Menschen zu beeindrucken, die ihnen nichts bedeuten.“ Nach Jackson verkennt das die eigentliche menschliche Natur. „Da ist mehr als das Verlangen nach immer mehr. Wir haben auch noch andere Instinkte. Wir wissen, dass es manchmal gut ist, wenn Wachstum innehält, so wie bei unseren Kindern. Wir sehen an übergewichtigen Menschen, dass immer mehr Nahrung nicht immer besser ist. Und selbst in Armut lebende Menschen sagen bei Befragungen, dass es ihnen um mehr als nur um mehr Nahrung oder Geld geht. Würde, Chancengleichheit und andere immaterielle Dinge finden sie ebenso wichtig.“
Darüber hinaus wächst die Einsicht, dass wir auf einem Planeten mit begrenzten Rohstoffvorkommen leben. Und dass immer mehr Wachstum zu einer Erschöpfung dieser Ressourcen führen kann. Jackson: „Dieses Denken wurde lange in der westlichen Zivilisation unterdrückt. Das kam durch den unerschütterlichen Glauben in die Kraft des auf Wachstum basierenden Modells, das dann in den 90er Jahren besondere Triumphe feierte. Der Optimismus, die Demokratie habe gesiegt und der freie Markt werde schon alles richten, war nach dem Fall der Mauer enorm. Wir glaubten, das Erfolgsrezept überhaupt zu besitzen. Wirtschaftliches Wachstum schien machbar, weltweite Vereinbarungen zur Förderung der Wirtschaft und des Umweltschutzes schienen realistisch zu sein. Mittlerweile haben wir erkannt, wie mühsam das ist.“
„Grünes Wachstum“ ist nicht die Antwort
Für Jackson steht fest, dass es anders funktionieren muss. Ein „grünes Wachstum“ ist nach seiner Ansicht nicht die Antwort. Darauf ausgerichtete Initiativen, zum Beispiel für eine energieeffizientere Produktion, sind dabei für sich genommen nicht unbedingt verkehrt. Wenn sie sich aus guten Vorsätzen heraus entwickeln und dabei helfen, Bewusstsein zu wecken und Nachhaltigkeit fördern. Jackson: „Aber das Problem eines Systems, das auf immer mehr Produktion aus ist, lösen wir damit nicht auf. Auf makroökonomischem Niveau bleibt immer noch der Anreiz, unseren endlichen Planeten weiter auszubeuten. Das Wachsen geschieht nun noch viel schneller als das Begrünen, aber es muss genau anders herum sein.“ Solch eine Wirtschaft ohne Wachstum ist nicht leicht in die Tat umsetzen, gibt er freimütig zu. Jackson: „Das erfordert eine völlig andere Struktur, die wir langsam aufbauen müssen. Wir können den Motor nicht vom einen auf den anderen Tag einfach stoppen. Denn die Bedürfnisse der Konsumenten sind der Zement im heutigen System. Sie sorgen für Stabilität. Wenn Menschen weniger kaufen, müssen Unternehmen Kapazitäten abbauen, werden Menschen arbeitslos. Dann kaufen diese Arbeitslosen noch weniger, wodurch Unternehmen noch weiter reduzieren müssen, und so geht es immer weiter.“
Anders Gewinn machen
Jackson meint, dass wir auf eine andere Art Gewinn machen müssen. „Gewinne in der Vergangenheit waren oftmals so hoch, weil wir einen Teil der Rechnung nicht bezahlt hatten. Denken Sie nur an die geringen Kosten für Umweltschutzauflagen bei der Gewinnung fossiler Energieträger oder die viel zu niedrigen Arbeitskosten in der Kleidungsproduktion.“ Der Hochschullehrer gibt zu, dass er auch noch nicht weiß, wie die neue Wirtschaft genau aussehen muss. Was er aber sehr gut weiß, ist, dass wir uns auf die Transformation hin zu einem anderen, nicht mehr allein auf Wachstum basierenden System konzentrieren müssen. „Und dass wir weg müssen vom heutigen System, das mit Konsum und einem spekulativen Finanzsystem geimpft wird. Diese Dinge passen nicht zu einer wachstumsfreien Wirtschaft“, folgert Jackson. Er glaubt immer noch an die Bedeutung von Kapital. Vor allem Investitionen erfüllen in seiner Vision eine Schlüsselrolle. Ihr Gewicht nimmt seiner Meinung nach sogar noch zu. „Wir müssen in ‚wert-volle‘ Güter investieren, die unseren künftigen Wohlstand gewährleisten. In hohe Qualität mit minimalem Schaden für Umwelt und Gesundheit und in Produktionsketten, in denen Arbeiter ehrlich bezahlt werden. Bei solchen Investitionen dürfen wir uns nicht von Gewinnmaximierung leiten lassen. Im Zentrum muss die Frage stehen, welchen Wert sie für unser zukünftiges Wohl haben. Denken Sie an nachhaltige Energieträger oder nachhaltige Lebensmittelkreisläufe. Aber auch soziale Investitionen, beispielsweise in kommunale Einrichtungen wie Theater, Schwimmbäder oder Gemeinschaftshäuser.“
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Kein Don Quijote
Um den Umbruch zu einem weniger aufwendigen Lebensstil zu bewerkstelligen, brauchen wir aus Jacksons Sicht mehr Rollenmodelle. Damit meint er Menschen, die sich bewusst für „weniger“ entscheiden. Seiner Meinung nach gibt es auch rationale Gründe, die Entscheidung für dieses Weniger zu treffen. „Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass ein weniger materialistisch geprägter und umweltbelastender Lebensstil besser für das Wohlbefinden ist. Das ist allerdings nicht einfach. Man kommt mit der vorherrschenden Meinung in Konflikt. Wenn man beschließt, kein Auto zu haben oder keine Fernreisen zu unternehmen, muss man sich verteidigen. Das fängt schon bei kleinen Kindern an. Ihnen wird ständig signalisiert, dass sie gewisse Dinge haben müssen, damit sie dazugehören und glücklich sein können. Die Macht der Marken ist enorm.“ Aber Jackson fühlt sich nicht als Don Quijote. „Die Medaille hat auch eine Kehrseite. Unsere Forschungen zeigen uns, dass für die Kinder und Jugendlichen von heute ,gutes Leben‘ durch mehr als nur durch materielle Kategorien definiert ist. Diese Generation ist darüber hinaus noch mehr als jede vor ihr durchdrungen von dem Bewusstsein, dass einer gesunden Umwelt eine besondere Bedeutung zukommt. Sie weiß mehr von der Welt und glaubt, dass sie Einfluss ausüben kann; sie ist offen für Veränderungen. Und diese Veränderungen können schnell geschehen, wenn wir anders investieren. Darin liegt der Funke, der das Feuer entzünden kann.“
Text: Joost Bijlsma – übersetzt aus dem Niederländischen.
Der Beitrag erschien ursprünglich im Triodos-Bank-Blog diefarbedesgeldes.de
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