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#TTIPLEAKS: Europa soll mehr Gen-Food und Turbo-Fleisch essen

Illustration: Miro Poferl

Jetzt ist es raus: Die Amerikaner wollen TTIP nutzen, um Gen-Food und Hormon-Fleisch über den großen Teich zu uns zu exportieren – und sie erpressen uns mit Autos.

Die Katze ist aus dem Sack: Greenpeace Niederlande veröffentlichte die geheimen Verhandlungstexte des umstrittenen Freihandelsabkommens. Das Ergebnis: TTIP schwächt europäische Umweltstandards, gibt der Industrie mehr Möglichkeiten, risikoreiche Produkte einzuführen und entzieht dem Verbraucher Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren.

#TTIPLEAKS: mehr Gentechnik, weniger Verbraucherschutz

Eine erste Analyse der Dokumente durch Greenpeace zeigt, was viele zwar befürchteten, aber wegen der Geheimhaltung weder belegen noch widerlegen konnten. Die wichtigsten Punkte:

1. Abschaffung des Vorsorgeprinzips

  • Das derzeitige europäische Vorsorgeprinzip soll abgeschafft werden. „Das europäische Vorsorgeprinzip wird im TTIP-Text an keiner Stelle mehr erwähnt“, schreibt Greenpeace. „Dazu passt, dass die amerikanische Agrarindustrie das Vorsorgeprinzip zunehmend als Handelshemmnis geißelt.“
  • Stattdessen wird das in den USA eingeführte Risikoprinzip eingeführt: Erst muss Verbrauchern etwas Schlimmes zustoßen, bis zum Beispiel Produkte mit schädlichen Inhaltsstoffen wieder vom Markt genommen werden können.
  • „Im Lebensmittelmarkt wollen die USA die Risikobewertung in der EU aufweichen und so faktisch das europäische Vorsorgeprinzip schwächen“, warnt Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. „Zudem versuchen die USA, sich weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in der Regulierung zu sichern. Sollten sich die US-Forderungen im finalen TTIP-Abkommen durchsetzen, würden neue verbraucherschützende Vorgaben in der EU stark behindert, wenn nicht gar unmöglich.“

2. Gen-Food und Hormone auf unser Risiko

  • In Europa dürfen dann auch bislang umstrittene und daher in vielen Ländern nicht zugelassene genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel so lange angebaut und konsumiert werden, bis ihre Schädlichkeit ausdrücklich nachgewiesen ist – bekanntlich langwierige und teure Prozesse. In den USA sind daher schon mehr als 170 Gen-Pflanzen für den Anbau zugelassen, in Europa nur eine.
  • Für mit Wachstumsbeschleunigern erzeugtes Hormon-Fleisch stehen dann Tür und Tor offen. Gleiches gilt für hormonell wirksame Chemikalien, etwa in Plastik.
  • Mit TTIP müssen wir künftig wohl warten, bis jemand krank wird, eher wir überhaupt Einspruch gegen die Ursache erheben dürfen, analysiert die Süddeutsche vom 2. Mai: „In den USA kommt es dagegen nicht selten erst zu Verboten, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind.“

3. Umweltgesetze, Klimaschutz geschwächt

  • Die fortschrittlichen EU-Umweltgesetze zu Lebensmittelsicherheit oder Chemikalien sollen geschwächt oder ganz abgeschafft werden.
  • Die Gesetzgebung von USA und EU wird einander angepasst, aber nicht im Sinne „das Beste beider Welten“ (die USA haben ja in einigen Bereichen durchaus strengere Vorstellungen, etwa beim Rohmilchkäse), so wie das jeder vernünftige Mensch machen würde. Stattdessen orientiert man sich am kleinsten gemeinsamen Nenner, ergo das Schlechteste aus beiden Welten.
  • Europäische Gesetze zur Kennzeichnung von Lebensmitteln oder von Kosmetika gelten laut Greenpeace ebenfalls als bedroht.
  • WTO-Grundsätze zum Schutz von Mensch und Umwelt sind offenbar gar nicht mehr Teil der TTIP-Dokumente, beklagt Greenpeace Niederlande. Und Paris-Abkommen hin oder her: „In den Texten ist nichts von Klimaschutz keine Rede mehr.“

4. Industrie übernimmt die Kontrolle

  • Vertreter der Industrie erhalten bei wichtigen Entscheidungen eine privilegierte Stimme. Die Belange der Zivilgesellschaft werden umgekehrt deutlich weniger berücksichtigt.
  • Die Industrien der EU konnten sich dabei nicht im gleichen Maß Einfluß verschaffen wie die der USA, zeigen die durchgesickerten Dokumente. Offenbar hat das System: „Die EU hat bei wichtigen Fragen wie dem Vorsorgeprinzip oder dem Investitionsschutz die Zügel schon vorab aus der Hand gegeben“, so Lena Blanken, Volkswirtin bei der Verbraucherorganisation foodwatch. Die CDU/CSU sah sich hier gleich zum Widerspruch genötigt: „Die Nichtregierungsorganisationen denken offenbar, dass Europa alle US-Wünsche eins zu eins übernehmen wird. Das ist aber nicht der Fall.“ Naja, was sollen die Bürger auch denken, wenn ihnen die Dokumente vorenthalten werden?
  • Die geleakten TTIP-Dokumente sprechen derweil immer wieder von der Notwendigkeit, die Industrie noch weitgehende bestimmen zu lassen; ähnliche Notwendigkeiten für den Einfluß von Verbrauchern und Verbraucherorganisationen sind darin hingegen nicht zu finden.

5. Grundlage für TTIP ist offenbar Erpressung

  • Laut Süddeutscher Zeitung geht es bei TTIP keineswegs friedlich zu. Um genmodifizierte Agrarprodukte auch auf europäischen Tellern zu erzwingen, „droht Washington damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren“ (sz.de).
  • Wobei man nicht vergessen darf: TTIP schadet nicht allein den Europäern, es schadet auch den US-Amerikanern. Ein Produkt, daß in der EU zugelassen ist, wird mit TTIP automatisch auch in den USA zugelassen sein. Die Aufweichung der Standards arbeitet in beide Richtungen, man denke hier an unsere Automobilindustrie, die es sich offenbar angewöhnt hat, systematisch Abgaswerte kleinzurechnen (siehe Beitrag: Öko-Autos: die legalen Tricks der Industrie).

TTIP hebelt Umwelt- und Verbraucherschutz aus

„TTIP rüttelt an den Fundamenten des europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzes.“, so Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. „Das Abkommen bedroht Rechte und Gesetze, die über Jahrzehnte mühsam erkämpft wurden.“

Endlich öffentlich zugänglich: TTIP-Dokumente
Endlich öffentlich zugänglich: TTIP-Dokumente (Illustration: Miro Poferl)

Greenpeace liegen 13 Kapitel mit knapp 250 Seiten vor, das ist etwa die Hälfte des Abkommens beim Stand der kürzlich abgeschlossenen 13. Verhandlungsrunde. Die CDU twitterte dazu: „Die Öffentlichkeit erfährt dadurch wenig Neues.“ – aha; da fehlt ja eigentlich nur ein gemurmeltes „Und das ist auch gut so.“ dahinter.

Die Verhandlungen über das transatlantische Handelsabkommen TTIP gehen uns alle an: weil sie uns alle betreffen. Die Politik meint hingegen, TTIP ginge uns rein gar nichts an: daher finden diese Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, sieht man von vereinzelten Wortmeldungen ab. Allerdings darf man „die Politik“ eigentlich auch nicht sagen, denn selbst unsere Parlamentarier durften ja nur in einem speziellen Geheim-Raum die Unterlagen sichten – maximal zwei Stunden; und auch das erst nach Protesten.

Greenpeace hat heute die Analyse der Dokumente im Rahmen der Re:Publica in Berlin präsentiert, Greenpeace Niederlande hat die geleakten TTIP-Dokumente zeitgleich vollständig im Internet veröffentlicht – auf www.ttip-leaks.org. Zugleich hat Greenpeace in Berlin das eingerichtet, was eigentlich die Pflicht der EU-Regierung gewesen wäre – nämlich einen transparenten Leseraum für alle:

Utopia meint: Es ist ein Trauerspiel, dass wir jetzt schon Whistleblower und Leaks brauchen, um Transparenz in die Verhandlungen zwischen demokratischen Staaten zu bringen. Man fragt sich, wer da eigentlich im Namen einer halben Milliarde Europäer verhandelt – wenn offenbar weder das Volk noch seine Volksvertreter involviert sind.

Weiterlesen auf Utopia.de: 

Medientipps zu TTIP:

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