Der britische Vermögensverwalter Jeremy Coller bläst zum Rückzug aus Unternehmen, die ihr Geschäft mit Fleisch aus industrieller Landwirtschaft machen. Er und Investoren mit fast zwei Billionen Dollar Vermögen drohen McDonald’s oder Nestlé mit Kapitalentzug, sollten sie sich nicht von der Massentierhaltung verabschieden.
Jeremy Coller ernährt sich seit seinem elften Lebensjahr vegetarisch. Das war seine ganz persönliche Reaktion auf die Bedingungen, unter denen Schlachttiere massenhaft gehalten und getötet werden. Mit seinem Job als einer der erfolgreichsten Finanzinvestoren hatte die private Entscheidung, auf Fleisch zu verzichten, lange nichts zu tun.
Doch seit zwei Jahren ist das anders. Der Mittfünfziger rutschte in eine Midlife Crisis, die ihn dazu brachte über sein Leben, seine Rolle und das Geschäft nachzudenken, das er seit 1990 aufgebaut hatte. Und er fasste einen ebenso klaren wie ehrgeizigen Beschluss: Für die zweite Lebenshälfte hat Coller es sich zum Ziel gemacht, die Massentierhaltung in den kommenden vierzig Jahren zu beenden.
Es spricht einiges dafür, dass der Londoner Investor mit Herz für Tiere seinem Ziel zumindest sehr nahe kommt. Denn Coller kennt die Welt der mächtigen Investoren, die mit ihrem Kapitaleinsatz die Geschicke von Unternehmen bestimmen. Um deren Milliarden müssen die Konzernchefs buhlen, wenn sie ihre Investitionen finanzieren wollen und auf deren Rückendeckung sind sie angewiesen, wenn sie ihren Job behalten wollen.
Coller verwaltet ein Vermögen im Wert von gut 15 Milliarden Euro. Hinter seiner Initiative „Farm Animal Investment Risk and Return” (FAIRR) hat er inzwischen mehr als 70 große Vermögensverwalter versammelt. Es sind Fonds und Versicherungen aus aller Welt, die zusammen über ein Kapital von mehr als 1,8 Billionen Euro bestimmen – eine Summe, die dem 180-fachen Wert des Stromriesen RWE entspricht.
Ziel von FAIRR ist es, große Investoren über oftmals unterschätzte Risiken der Massentierhaltung zu informieren, die ihre Renditen schmälern könnten. Mit diesem Wissen sollen sie Unternehmen, in deren Aktien oder Anleihen sie ihr Geld angelegt haben, zum Umlenken bewegen. Oder ihnen mit dem Abzug von Kapital drohen, falls die Firmen weiter auf eine nicht nachhaltige Fleischproduktion setzen.
Industrielle Landwirtschaft ist für Investoren eine hochriskante Produktionsmethode
„Die übermäßige Abhängigkeit der Welt von der Massentierhaltung, um die wachsende Nachfrage nach Proteinen zu bedienen, ist das Rezept für eine finanzielle, soziale und ökologische Krise”, argumentiert Coller.
In ausführlichen Analysen für Investoren beschreibt er die Risiken, die drohen, wenn diese Nachfrage einer wachsenden Weltbevölkerung mit einer weiter zunehmenden Fleischproduktion befriedigt werden soll. „Industrielle Landwirtschaft ist zunehmend eine hochriskante Produktionsmethode, die nicht nur signifikante Umweltschäden anrichtet, sondern auch die öffentliche Gesundheit gefährdet – etwa durch das verstärkte Aufkommen von Bakterien, die gegen Antibiotika immun sind oder den Ausbruch von Pandemien wie der Vogelgrippe“, heißt es etwa in dem Bericht „The future of food – the investment case for a protein shake up“ zur Zukunft der Ernährung. Darin beschreibt er nicht nur die Risiken des Antibiotika-Einsatzes in der Massentierhaltung sondern auch die Folgen der Entwaldung und des hohen Wasserverbrauchs bei der Tierfutterproduktion.
US-Gesellschaften wie Boston Common Asset Management, der norwegische Finanzkonzern Nordea oder der britische Versicherer Aviva haben sich inzwischen Coller angeschlossen. Die kühl rechnenden Finanzmanager hat der Londoner für seine Initiative gewinnen können, indem er ihnen die gefährliche Wirkung der industriellen Landwirtschaft aufgezeigt hat. Denn die schadet nicht nur den Tieren und gefährdet Mensch und Umwelt. Sie ist ebenso ein Risiko für die Verwalter großer Vermögen.
In einer Fallstudie mit mehreren großen Investoren, die in ihrer Anlagepolitik das Tierwohl berücksichtigen, führt FAIRR auch den deutschen Versicherungskonzern Allianz an, der bei der Auswahl seiner Investments strenge ethische, soziale und ökologische Kriterien anlege und dabei auch das Tierwohl berücksichtige. Die Allianz schaut unter anderem auf den Einsatz von Antibiotika in der Fleischproduktion oder auf eine artgerechte Tierhaltung. „Sind diese Kritieren nicht erfüllt, führt das zum Ausschluss“, erklärt eine Unternehmenssprecherin gegenüber dem Greenpeace Magazin.
Schließlich machen nicht nachhaltige Geschäftspraktiken die Unternehmen anfällig für unkalkulierbare Einbrüche. Wenden sich Verbraucher von Unternehmen ab, deren Produktqualität sie nicht mehr vertrauen oder droht eine verschärfte staatliche Regulierung, um die schädlichen Folgen der Massentierhaltung zu begrenzen, drückt das auf die Rendite. Und Gammelfleisch-Skandale oder Keime in Fleischprodukten können die Aktienkurse beteiligter Unternehmen binnen Stunden abstürzen lassen und Milliardenvermögen vernichten.
Der Vegetarier Coller favorisiert das wachsende Geschäft mit pflanzlichen Alternativen
Statt sich auf derart zweifelhafte Wagnisse einzulassen, rät Vegetarier Coller den Investoren auf das Geschäft mit Alternativen zu tierischen Produkten zu setzen, die Menschen ebenfalls mit den nötigen Proteinen versorgen können – wie etwa vegane Eiscreme, Café mit Mandelmilch oder Veggie-Burger. Und die Unternehmen, die diese Chancen noch nicht erkannt haben, lässt er wissen, dass sich ihre Geldgeber dafür interessieren, wie sie von dem Markt für pflanzenbasierte Proteine etwa aus Gemüse, Getreide, Nüssen oder Algen profitieren wollen. Denn diesem Markt wird für die kommenden fünf Jahre eine jährliche Wachstumsrate von 8,4 Prozent vorausgesagt.
Im vergangenen Jahr schrieb die FAIRR-Initiative 16 global operierende Lebensmittelkonzerne an und forderte sie auf, Alternativen zum Geschäft mit Fleisch zu erkunden und die Risiken der Massentierhaltung in ihrem Geschäft für Investoren transparent zu machen. Unternehmen wie Nestlé, Unilever, Kraft Heinz und die US-Supermarktkette Walmart standen auf der Liste der Adressaten.
Müller Milch schneidet bei der Bewertung von Tierwohlstandards schlecht ab
Coller baut nicht nur mit Forderungen und Informationen Druck auf, er ist auch an der „Business Benchmark on Farm Animal Welfare“ (BBFAW) beteiligt, einer von Tierschutzverbänden gegründeten Organisation, die weltweit die Tierwohl-Anstrengungen einzelner Firmen bewertet. Die Ergebnisse werden in einem jährlich erscheinenden Bericht veröffentlicht.
Dort finden sich neben McDonald’s oder Danone auch deutsche Supermarktketten wie etwa Aldi Nord und Aldi Süd, denen immerhin erste Fortschritte bei der Sicherung des Tierwohl attestiert werden. So gibt es bei Aldi Nord inzwischen einen klaren Kriterienkatalog, den die Einkäufer des Discounters beachten müssen, wenn sie für das Unternehmen tierische Lebensmittel, aber auch Schuhe, Textilien oder Kosmetika beschaffen. Zu den Unternehmen, die das Tierwohl nach Einschätzung von BBFAW noch überhaupt nicht auf ihrer Agenda haben, gehört die Unternehmensgruppe Theo Müller, die hierzulande zu den führenden Anbietern von Molkereiprodukten zählt.
Auch wenn es Jeremy Coller inzwischen gelungen ist, eine beachtliche Finanzmacht zu organisieren, um seine Anliegen durchzusetzen, weiß er, dass das Wohl der Tiere in der industriellen Landwirtschaft bei vielen Managern und Vermögensverwaltern noch nicht ganz oben auf der Agenda steht. Doch die ersten Erfolge seiner Initiative machen ihm Mut. „Menschen sind auch Tiere“, lautet eines der Argumente, mit dem er um weitere Unterstützung wirbt. Im Gegensatz zu uns Menschen könnten Schweine, Kühe, Schafe oder Hühner ihre Interessen jedoch nicht selbst vertreten. Deshalb sei es umso wichtiger, dass seine Initiative dafür eintrete – und sichere Anlagen mit stabilen Renditen seien schließlich auch im besten Interesse der Investoren.
GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
TEXT: Matthias Lambrecht
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