Judith Stiegelmayr ist Mitbegründerin des ersten deutschen Restaurants, das hauptsächlich mit geretteten Lebensmitteln kocht. Im Changemaker Podcast hat sie mit Utopia-Chefredakteur, Martin Tillich, über Herausforderungen und Missverständnisse rund um das Thema Lebensmittelrettung gesprochen. In diesem Auszug erfahrt ihr, wie sie junge Menschen in München begeistert und dabei den sensiblen Umgang mit tierischen Produkten berücksichtigt.
Utopia: Ist das Retten von Lebensmitteln mehr die Bekämpfung eines Symptoms als eine grundsätzliche Lösung?
Judith Stiegelmayr: Lebensmittel retten ist gerade für unser System, wie wir es uns aufgebaut haben in Deutschland, eine super Lösung. Wir fahren hin, holen den „Müll“ ab und die Partner, mit denen wir zusammenarbeiten, sparen sich im besten Fall auch noch Müllgebühren. Ende.
Wir sind mit der „Community Kitchen“ ja nicht die Einzigen, die das machen. Es gibt Foodsharing als sehr große Initiative, es gibt die Tafel und auch viele Privatpersonen, die das machen. Ich glaube schon, dass sich das System verändern kann, weil man es im besten Fall ein bisschen unterwandert und irgendwann die Nachfrage nicht mehr so groß ist und das Angebot dann doch reduziert werden muss.
Unser Ziel ist aber aufzuzeigen, dass viel zu viele Lebensmittel weggeschmissen werden. Deswegen sind wir ja sehr stark engagiert in Bildung und in der Politik. Wir machen uns für Lösungen stark, die Menschen dazu bewegen mitzumachen, egal ob bewusst oder unbewusst.
Wir fordern viel von unseren Kindern, füttern sie aber nicht gut
Ihr engagiert euch auch an einer in Schule für Lebensmittelrettung. Wie kam es dazu?
Dadurch, dass wir in unserem Lokal, der Community Kitchen, schon viel Bildung gemacht haben, hatten wir auch schon sehr viel mit Schülerinnen und Schülern zu tun. Wir haben uns dann Schulkantinen angeschaut und wir haben immer wieder festgestellt, dass wir zwar ganz viel fordern von unseren Kindern und Jugendlichen, aber dass wir sie nicht gut füttern.
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Wir haben überlegt, wie wir die jungen Menschen für unser Thema begeistern können. Wir sind fest davon überzeugt, dass, wenn wir die Kinder überzeugen, sie ihren Eltern zeigen werden, wie es geht. Darum sind wir jetzt Pächter einer Schulkantine in München und das ist ein ganz besonderes Projekt.
Was genau machen die Schülerinnen und Schüler bei diesem Projekt?
Es geht nicht nur darum, dass die Schülerinnen und Schüler den Tag in der Küche verbringen und schnippeln, kochen, putzen, abspülen, um die gesamte Schule mit Essen zu versorgen. Sie sollen auch die ganze Bandbreite der Lebensmittelverschwendung kennenlernen. Darum retten sie selbst Lebensmittel: Am Dienstag retten sie zum Beispiel bei der Metzgerei, am Donnerstag bei der Bäckerei und am Freitag bei den Münchener Markthallen.
Wir wollen das Thema vollumfänglich verständlich machen und konfrontieren mit Fragen wie: Wie bewerte ich eigentlich Lebensmittel? Was sagt das über uns als Gesellschaft, dass wir perfekte Dinge wegschmeißen?
Jährlich wachsen 18 Milliarden Nutztiere umsonst und werden weggeschmissen
Beim Thema Lebensmittelrettung gibt es einen besonderen Aspekt in Bezug auf tierische Produkte. Diese Produkte sind vorhanden und würden weggeschmissen. Aber wir wissen auch, dass sie mit Umweltproblemen, Klimaauswirkungen und Tierleid verbunden sind. Wie geht ihr damit um?
Wir versuchen auf wirklich so viele Themen wie möglich zu sensibilisieren.
Aber uns ist es schon wichtig, dass es dann nicht nur um das Gemüse und um das Obst geht, sondern auch um das Fleisch. Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass Tiere unter miserablen Bedingungen gehalten und dann sinnlos geschlachtet werden, nur um anschließend im Müll zu landen?
Ich glaube, dass vielen Menschen diese Dimension der Lebensmittelverschwendung nicht bewusst ist, insbesondere wie viele Tiere weggeschmissen werden. Wir sprechen weltweit von circa 18 Milliarden Nutztieren jährlich, die umsonst wachsen und dann weggeschmissen werden.
Wie genau sensibilisiert ihr die jungen Menschen für diese schwere und schwer greifbare Thematik?
Wir versuchen das Thema so zu platzieren, dass wir die Schülerinnen und Schüler nicht verlieren. Ich glaube, wir sind generell bei der Nachhaltigkeit gerade auf einem Weg, auf dem so ein bisschen langweilig wird, weil wir die ganze Zeit darüber sprechen und irgendwie kann das keiner mehr hören.
Um die Leute trotzdem zu motivieren, müssen wir uns sich Ideen ausdenken, die groß, bunt und mal was anderes sind und die Freude am Mitmachen bereiten.
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