Der deutsche Ableger der Tierrechtsorganisation PETA wird 30 – und nimmt das zum Anlass für eine radikale Forderung: Tiere sollen vor dem Gesetz als Personen anerkannt werden und Grundrechte erhalten. Was genau das bedeutet, erklärt die PETA-Justiziarin Vera Christopeit im Kurzinterview.
PETA Deutschland ist nach eigenen Angaben die größte deutsche Tierschutzorganisation, die sich „für die Rechte aller Tiere“ einsetzt. Immer wieder macht sie mit ungewöhnlichen Forderungen und Ideen von sich reden – Utopia berichtete. Nun strebt sie sogar eine Verfassungsänderung an: Tiere sollen Menschen gleichgestellt werden. Dr. Vera Christopeit ist promovierte Verfassungsrechtlerin und Justiziarin von PETA Deutschland. Wir haben sie gefragt, was dahinter steckt.
Utopia: PETA fordert, dass Tiere vor dem Gesetz als Personen anerkannt werden. Warum?
Vera Christopeit: Tiere brauchen den Personenstatus, weil sie dann auch Grundrechte erhalten können. Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Die Überzeugung, dass Tiere dem Menschen zu Nutzen sein müssen und sogar getötet werden dürfen, nur weil sie Tiere sind, ist leider tief in den Köpfen der Menschen verankert – wir sprechen hier auch von „Speziesismus“.
Dabei haben Tiere körperliche und seelische Empfindungen und Bedürfnisse, die denen der Menschen ganz ähnlich sind – die Tierverhaltensforschung ist hier eindeutig. Sie haben klar spezifizierbare Interessen wie etwa zu leben, satt und sicher zu sein. Sie wollen sich nicht langweilen oder zu artwidrigem Verhalten gezwungen werden. Diese Bedürfnisse müssen rechtlich abgesichert werden.
Das geltende Recht bedarf der regelmäßigen Überprüfung auf Gerechtigkeit. Für die Tiere stehen die Vorzeichen seit viel zu langer Zeit schlecht. Sie brauchen Rechte mit echtem Gewicht.
„Warum denken Menschen, sie dürften Tiere quälen, töten und essen?“
Utopia: Welche Auswirkungen hätte es für uns Menschen, wenn Tiere den rechtlichen Status von Personen bekämen?
Vera Christopeit: Warum denken Menschen, sie dürften Tiere quälen, töten und essen, an ihnen herumexperimentieren, sie kaufen und dann doch wieder ins Tierheim abschieben? Die dahinterstehende Dualität zwischen Menschen als Personen mit grundrechtlicher Eigentums-, Berufs- und Forschungsfreiheit und Tieren als grundrechtslosen Objekten, an denen Menschen diese Rechte ausüben können, ist bei eingehender Betrachtung völlig willkürlich.
Die Folge des Personenstatus wäre nach unserer Forderung, dass die Tiere Grundrechte bekämen. Konkret fordern wir für die Tiere das Recht auf Leben, das Recht auf Freiheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das sind ganz grundlegende Rechte, die aber jedes Wesen benötigt. Diese Rechte könnten dann von den Tieren den Nutzungsinteressen des Menschen entgegengehalten werden – wie bei einer Grundrechtsabwägung zwischen Menschen. Auf einem Pferd könnte man dann nicht mehr reiten oder es für Ledertaschen und sonstige profane Dinge benutzen.
Für die Geltendmachung der tierlichen Interessen bedürfte es menschlicher Vertreter. Die existieren in Grundzügen bereits jetzt schon, etwa Tierschutzbeauftragte, Verbandsklagerechte – man könnte an „Tieranwälte“ denken.
Utopia: Und wie ließe sich ein Interessenskonflikt zwischen den Rechten von Tieren und von Menschen vermeiden?
Vera Christopeit: Interessenskonflikte sind an sich ja ein ganz interessanter Bestandteil des Lebens. Es ist unter anderem eine Aufgabe des Rechts und der inhärenten Moral, Konflikte in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Die Rechte der Tiere müssten natürlich mithilfe menschlicher Personen in die Abwägung eingestellt werden, aber dafür kennt das Recht bereits Instrumente – siehe oben.
Wir versuchen als Menschen in einer humanitären Gesellschaft, möglichst gerecht miteinander umzugehen. Wenn Sie sich aber das Verhältnis Menschen – Tiere, insbesondere das zu „Nutztieren“ ansehen, dann wird klar, dass die Interessenlage eine sehr einseitige ist: Die Menschen haben ein massives Ausbeutungsinteresse. Darauf beruhen ganze Industrien. Tiere werden benutzt, um den Wohlstand der Menschen zu erhalten und zu mehren.
Es ist dennoch davon auszugehen, dass eine Vielzahl an Menschen bereits jetzt bereit ist, diesen Schritt zumindest gedanklich mitzugehen und sich einzulassen auf die Idee, kein Wesen mehr auszubeuten. Damit lösen sich aber auch etwaige Interessenkonflikte im Ansatz auf. Die von den Gegnern der Idee heraufbeschworenen Konflikte entstehen gerade nicht aus Gerechtigkeitserwägungen, sondern allein aus der Profitgier der Menschen und deren Überzeugung, die Tiere seien „für sie“ da.
„Kein Tierschutzgesetz dieser Welt berücksichtigt die Belange von Tieren“
Utopia: Sie zielen auf eine Verfassungsänderung ab. Die Hürden dafür sind sehr hoch. Welche Schritte wird PETA nun gehen – und welche Chancen rechnen Sie sich aus?
Vera Christopeit: Für den Erlass eines verfassungsändernden Gesetzes bedarf es eines Vorstoßes aus den Reihen der Entscheidungsträger und dann einer Zweidrittelmehrheit beider Abstimmungskammern. Das Verfahren kann auch durch eine Petition in Gang gesetzt werden. Wir haben zunächst einige der Entscheidungsträger aus den Zuständigkeitsbereichen Recht/Tierschutz persönlich angeschrieben und sie gebeten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine Initiative anzustoßen. Der Weg dafür ist längst bereitet. Es gibt eine ganze Zahl hervorragender Dissertationen und Vorträge zu den Themen „Rechtsperson Tier“ und „Grundrechte für Tiere“. An anderer Stelle wird bereits an der praktisch-politischen Umsetzbarkeit geforscht.
Utopia: Geht es nicht vielleicht viel mehr darum, eine Debatte anzustoßen als um eine tatsächliche Änderung der Rechtslage?
Vera Christopeit: Uns ist dieses Anliegen sehr ernst. Kein Tierschutzgesetz dieser Welt berücksichtigt die Belange von Tieren in einem auch nur ansatzweise ausreichenden Maße. Beim Personenstatus und Grundrechten geht es nicht um Privilegien, sondern um einen aktuell ungerechtfertigt verwehrten Status.
Auch in anderen Ländern gibt es Bestrebungen in diese Richtung. Das Verfassungsgericht Ecuadors beispielsweise hat entschieden, eine in Gefangenschaft lebende Äffin (Estrellita) sei vom „Right of Nature“, Recht der Natur, welches in Ecuador Verfassungsrang hat, grundrechtlich in ihrem Recht auf Freiheit geschützt.
Der Stein wurde bereits ins Rollen gebracht. Es ist psychologisch interessant zu beobachten, wie der Gedanke, kein Wesen zu verletzen, so ein Aufreger sein kann – wenn man ihn einmal konsequent zu Ende denkt. Es reicht einfach nicht zu fordern, Tiere in Ruhe zu lassen. Wir müssen uns gesamtgesellschaftlich dazu verpflichten – mit nichts Geringerem als einer Verfassungsänderung.
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