Aktuell befinden sich nach wie vor Aktivist:innen vor Ort in Lützerath, wenngleich weniger als noch vor einigen Tagen. Auch die Autorin Milena Glimbovski war dort, um gegen den Abriss des Weilers zu demonstrieren. Ihre Eindrücke teilte sie mit Utopia und erklärte, warum der Protest wichtig für die gesamte Gesellschaft ist; der Räumung zum Trotz.
Seit nahezu zwei Jahren regt sich in einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen der Widerstand. Aktivist:innen demonstrieren in Lützerath gegen dessen Zerstörung zugunsten einer neuen Braunkohlegrube für den Energiekonzern RWE. In wechselnder Besetzung halten sich Demonstrant:innen in Zelten und leerstehenden Häusern auf, manche von ihnen sind sogar schon seit Monaten in dem Weiler nahe der Stadt Erkelenz. Inzwischen lichten sich die Reihen, durch die gestartete Räumung.
Bei den Protestierenden handelt es sich nicht ausschließlich um Vollzeit-Aktivist:innen, sondern auch um Personen, die in ihrer Freizeit den Weg nach Lützerath auf sich nehmen, um ein Zeichen gegen Kohleabbau und für den Erhalt des Dorfes zu setzen. Auch Milena Glimbovski, Autorin, Unternehmerin und Mitbegründerin von „Original Unverpackt“ in Berlin, nutzte auf Einladung von Fridays for Future die Gelegenheit, sich selbst ein Bild zu machen und an der Demonstration vor Ort teilzunehmen. „Wofür sie kämpfen, war mir schon immer irgendwie klar, aber ich konnte mir nicht direkt etwas darunter vorstellen. (…) Also ich wusste warum, aber nicht wie“, sagt sie im Gespräch mit Utopia am 10. Januar.
„Vor allem eher jüngere Leute“
Welche gesellschaftliche Bedeutung der Widerstand in Lützerath hat, ist für viele nicht unmittelbar ersichtlich: Das Dorf befindet sich in einem Gebiet, in dem es Braunkohlevorkommnisse gibt. Das ruft Energiekonzerne wie RWE auf den Plan, die den fossilen Rohstoff in der Gegend fördern möchten. Dies bedeutet auch, dass die Kohle anschließend zur Energiegewinnung genutzt und verbrannt wird. Die Konsequenz: Es wird erneut CO2 in die Atmosphäre ausgestoßen. Genau das CO2, das es im Rahmen der Klimakrise zu vermeiden gilt.
Deshalb campieren Umwelt-Aktivist:innen in Lützerath. Glimbovski meint: „Es ist wirklich ein kleines Dorf geworden, das nicht nur steht gegen den Widerstand gegen RWE und diese absolut unnötige Abbaggerung der Kohle.“ Zentraler Bestandteil des Protests sei aber auch, dass es hier mit RWE ums Prinzip ginge und dass hier Lebensraum geschützt werde. Der Aktivistin zufolge seien es „eher jüngere Leute“, die sich in Lützerath engagieren. „Alle helfen mit – ob Abwaschen, Schnippeln oder Austeilen – es ist ein Mitmachen, Mitkämpfen und Mithelfen. So hab ich das gar nicht erwartet und ich bin einfach wirklich überwältigt.“
„Es ist auf so vielen Ebenen falsch, was hier passiert“
So idyllisch es klingt, wie sich die Aktivist:innen laut Glimbovski organisieren, so ernst ist der Hintergrund der Demonstration. Denn es geht um nichts Geringeres als um die Erreichung des 1,5 Grad Ziels und damit um den Schutz einer lebenswerten Zukunft. Wofür Lützerath exemplarisch steht, ist die Entscheidung für oder wider die Nutzung fossiler Brennstoffe, die eine Ursache des Klimawandels ist.
„Was die wenigsten wissen ist, dass Deutschland und Europa sich schneller erwärmt als andere Teile der Welt. (…) Und jedes Grad [mehr] und jedes Mehr, was als Kraftwerk länger betrieben wird, geht ja direkt rein in diese Erwärmung“, erklärt Glimbovski. Und im Kleineren geht es für sie ebenfalls um die Einzelschicksale der Menschen in Lützerath und um „das Symbol, dass das Zuhause von Menschen genommen wurde. Dass einen so ein Konzern im Prinzip enteignen darf.“
Zwar habe der Energiekonzern RWE einen Rechtsanspruch zu baggern, jedoch sei es in Verhandlungen gelungen, dafür zu sorgen, dass im rheinischen Revier 2030 Schluss sei mit der Kohle und dass mehrere Dörfer, in denen noch Menschen leben, nicht abgebaggert würden, so Ricarda Lang (Co-Vorsitzende der Grünen) diese Woche am Rande einer Klausur des Bundesvorstandes der Partei in Berlin.
Aktuell werden laut dpa-Berichten bei Lützerath starke Kräfte der Polizei zusammengezogen und die Räumung hat begonnen (Stand: 11.01.23, 8:50 Uhr). Viele der Aktivist:innen verließen zwischenzeitlich das Gelände oder wurden von der Polizei entfernt, zum Beispiel durch Wegtragen. Ein kleiner Teil Demonstrant:innen befindet sich derzeit noch im Weiler (Stand 13.01.23).
01. März: ein kritisches Datum für Lützerath
Zweck der Demonstration in Lützerath ist es, die Zerstörung des Dorfes und den Bau einer neuen Kohlegrube zu verhindern. Ein Etappenziel ist dabei, die Abrissarbeiten bis Anfang März zu verhindern. Gelingt es den Aktivist:innen bis dahin, die Bagger vom Weiler fernzuhalten, verstreicht eine entscheidende Frist für die Räumung. Ab dem 01. März müsste das Vorgehen des Konzerns RWE für dieses Jahr gestoppt werden, erklärt Glimbovski.
Gleichzeitig hatte das Oberverwaltungsgericht Münster erst am Montagabend eine Beschwerde von Klimaaktivist:innen abgewiesen. Damit ist die Räumung von Lützerath juristisch nicht mehr zu stoppen. Die Polizei kündigte bereits an, voraussichtlich ab Mittwoch mit der Räumung des Protest-Camps zu beginnen. Indes bereiten die Demonstrant:innen bereiten sich vor und versuchen mittels Barrikaden und Hindernissen den Räumungsvorgang zu verlängern oder aufzuhalten, berichtet Milena Glimbovski.
Die Demonstrierenden vor Ort blicken nach wie vor optimistisch auf ihr Vorhaben. „Wir haben Vorräte, die Menschen sind untergebracht in irgendwelchen Hallen, Zelten und auch in Häusern. Und es sind bestimmt 1000 Leute, die gerade hier wohnen. Und es ist weiterhin ein gutes und friedliches Miteinander„, so die Autorin.
Mehr zu den Hintergründen des Protests, erfährst du in unserem Beitrag „Klima-Kampf an der Abbruchkante: Worum geht es in Lützerath genau?„
Friedliche Demonstration: „Das ist hier nicht der 01. Mai“
Während die Polizei ein überwiegend friedliches Protestspektrum in Lützerath wahrnimmt, warnt der Verfassungsschutz vor gewaltbereiten Linksextremen. Doch laut Angabe der Polizei sei es bislang nur vereinzelt zu aggressivem Verhalten gekommen. Demonstrant:innen wie Milena Glimbovski zufolge ginge es jedoch vor allem darum, keinen Ärger zu machen, denn „das ist hier nicht der 01. Mai.“
Die Autorin beschreibt die Lage nicht als „aufgeheizt, sondern eher bestimmt“. Wesentlicher Bestandteil des Protests sei ihr zufolge der Aktionskonsens, dass es nicht darum ginge, zu provozieren, sondern darum, das zu machen, was man dürfe: zu blockieren.
Letztlich ist zum aktuellen Zeitpunkt noch offen, wie sich die Lage entwickelt. Auch der Einsatzleiter der Polizei, Wilhelm Sauer, äußerte kürzlich, dass es unklar sei, was vor allem in den besetzten Gebäuden an Widerstand zu erwarten sei.
„Wir leben schon in einer Klimakrise“
Doch was, wenn es so weit käme, dass Lützerath abgebaggert würde: Wäre der Kampf um Klimaschutz damit in Deutschland endgültig verloren? Diese Einschätzung teilt Glimbovski nicht, denn für sie wird der Kampf um Klimaschutz auch dann weitergehen. „Wir leben schon in einer Klimakrise. Wir spüren die Folgen, wir sehen die Auswirkungen, zum Beispiel letzten Sommer und diesen Winter.“
Am Beispiel von Lützerath mag sich zeigen, wie man sich für Klimaschutz einsetzen kann. Dabei handelt es sich dabei nur um einen weiteren Meilenstein auf einem langen Weg. Glimbovski meint dazu: „Wir werden vermutlich auch noch einen Kampf für Klimaschutz in zehn Jahren haben. Es gibt einfach kein Ende.“ Vielmehr müssen wir uns eingestehen, dass die Klimakrise da ist und dass wir uns darauf vorbereiten müssen, „möglichst viele Menschen in Sicherheit zu bringen“, so die Aktivist:in gegenüber Utopia.
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