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Klima-Kampf an der Abbruchkante: Worum geht es in Lützerath genau?

Lützerath: Polizist:innen (li.) drängen Aktivist:innen von einer Straße zu dem Dorf Lützerath.
Foto: Henning Kaiser/dpa

Der Energiekonzern RWE will Lützerath abreißen, um Kohle abzubaggern. Klimaaktivist:innen wollen das verhindern. Das ist die Ausgangslage im rheinischen Lützerath – auch die Frage nach der Notwendigkeit des Braunkohleabbaus wird unterschiedlich beantwortet.

Im Rheinland hat die Räumung des von Klimaaktivist:innen besetzten Dorfes Lützerath am Mittwoch begonnen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Worum geht es aber genau?

Was ist Lützerath?

Lützerath ist eine aus wenigen Gebäuden bestehende Siedlung, die zur Stadt Erkelenz im Rheinland gehört. An der einen Seite tut sich die unwirkliche Kraterlandschaft des Braunkohletagebaus Garzweiler auf, eine Szenerie wie von einem anderen Planeten. Die ursprünglichen Bewohner des Ortes sind alle weggezogen, doch die Gebäude werden seit längerem von Klimaaktivist:innen bewohnt. Ein Teil von ihnen lebt auch in Baumhäusern, Wohnwagen und Zelten. Obwohl die Gebäude heruntergekommen sind, spürt man bei einem Rundgang, dass dies eine jahrhundertealte Kulturlandschaft ist.

Wem gehört Lützerath?

Alle Gebäude und Grundstücke gehören dem Energiekonzern RWE. Und alle Klagen gegen einen Abriss sind von Gerichten abgewiesen worden. Der zuständige Kreis Heinsberg hat den Aufenthalt in Lützerath untersagt. Auf dieser Basis kann nun die Räumung durch die Polizei erfolgen. Mehr als 1000 Beamt:innen sollen dafür täglich eingesetzt werden.

Warum will RWE Lützerath abreißen?

Unter dem Dorf befinden sich besonders große Braunkohlevorkommen, die RWE abbaggern will. Dies sei nötig, um die Energieversorgung sicherzustellen, sagt der Konzern. Er hat dabei die Rückendeckung der nordrhein-westfälischen Landesregierung aus CDU und Grünen. In der aktuellen Krisensituation sei jedem klar, dass die Kohle unter Lützerath gebraucht werde, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sagte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in einem Interview des Kölner Stadt-Anzeigers. „Niemand hat die Entscheidung leichten Herzens getroffen, diese Kohle in Anspruch zu nehmen.“

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Was sagen die Klimaaktivist:innen?

Sie bestreiten, dass die unter „Lützi“ gelegene Kohle wirklich gebraucht wird, und verweisen dabei unter anderem auf eine Studie von Wissenschaftlern mehrerer Universitäten, die sich als „CoalExit Research Group“ zusammengeschlossen haben. Demnach reicht die Kohle im aktuellen Abbaubereich allemal aus, auch unter den Bedingungen der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Energiekrise. Dieser Lesart zufolge hat es RWE vor allem deshalb auf Lützerath abgesehen, weil sich die Kohle dort leichter und damit profitabler gewinnen lässt. Der Konzern bestreitet das.

Wird die Braunkohle also gar nicht gebraucht?

Dazu gibt es widersprüchliche Untersuchungen. Die in Lützerath protestierenden Klimaaktivisten verweisen auf eine wissenschaftliche Untersuchung: Die Kurzstudie von August 2022 beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern eine mögliche Gasknappheit Auswirkungen auf den maximal anzunehmenden Kohlebedarf hat und welche voraussichtliche Fördermenge dem gegenübersteht. Verfasst haben sie Forscher:innen der Europa-Universität Flensburg, der Technischen Universität Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Braunkohlemengen im aktuell für RWE genehmigten Abbaugebiet ausreichen – sogar dann, wenn von 2025 an der Kohleverbrauch noch einmal deutlich steigen sollte. „Es gibt daher weder eine energiewirtschaftliche Notwendigkeit noch eine klimapolitische Rechtfertigung für die Inanspruchnahme noch bewohnter Dörfer am Tagebau Garzweiler II inklusive Lützerath“, heißt es.

Dabei wurde der vorzeitige Kohleausstieg im Jahr 2030 berücksichtigt, der von CDU und Grünen in NRW im Koalitionsvertrag festgelegt wurde. Bis dahin bestehe ein Bedarf von 271 Millionen Tonnen Braunkohle im Rheinischen Revier. 300 Millionen Tonnen seien in den genehmigten Abbaubereichen Hambach und Garzweiler II bereits förderfähig.

Das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie Nordrhein-Westfalens hat ebenfalls ein Gutachten in Auftrag gegeben – und das kommt zu einem völlig anderen Schluss als das der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Flensburg und Berlin. In mehreren untersuchten Szenarien übersteige der künftige Bedarf die förderfähigen Braunkohlenvorräte, wenn Lützerath nicht abgebaggert werde. Laut dem Gutachten von September 2022 fehlten in jedem Fall mindestens 17 Millionen Tonnen Braunkohle. Insbesondere 2023 werde es infolge der Gasknappheit zu einer noch größeren Differenz kommen.

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Wie gewaltsam wird die Räumung?

Nach Angaben des zuständigen Aachener Polizeipräsidenten Dirk Weinspach handelt es sich bei den Aktivisten in Lützerath um eine „gemischte Szene“, die überwiegend „bürgerlich und friedlich orientiert“ sei. Ein kleiner Teil sei aber zu Gewaltstraftaten bereit. Mehrfach flogen bereits Steine, Böller und Flaschen gegen die Polizei. Die Atmosphäre vor Ort ist aufgeheizt, die Räumung hat am Mittwoch begonnen.

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Was hat Lützerath mit dem Hambacher Forst zu tun?

Der Hambacher Forst ist ebenso wie das nicht weit entfernte Lützerath ein Symbol der Klimabewegung. Auch er sollte 2018 zerstört werden, damit RWE die darunter liegende Kohle abbaggern konnte. Dagegen entwickelte sich aber massiver Widerstand, denn anders als der Begriff „Forst“ vermuten lässt, geht es hier um einen uralten Wald mit bis zu 350 Jahre alten Bäumen und seltenen Tierarten. 2018 ordnete die nordrhein-westfälische Landesregierung die Räumung des Waldes an. 86 Baumhäuser wurden abmontiert, was mit unzureichendem Brandschutz begründet wurde. Das Verwaltungsgericht Köln stufte dies später als Vorwand ein und die Räumung als widerrechtlich. Das Oberverwaltungsgericht Münster erließ noch 2018 einen vorläufigen Rodungsstopp. Als Teil des Kohlekompromisses wurde die Erhaltung des Waldes beschlossen. Die Aktivisten haben ihr Ziel „Hambi bleibt“ also erreicht.

Welche politischen Folgen könnte die Räumung von Lützerath haben?

Die Räumung kann insbesondere für die sowohl in Berlin als auch in Düsseldorf mitregierenden Grünen zur Belastung werden. Bilder von Polizist:innen, die scheinbar im Interesse eines Kohlekonzerns gegen Klimaschützer:innen vorgehen, dürften kaum den politischen Vorstellungen der grünen Wählerschaft entsprechen. Klimaaktivistin Luisa Neubauer wirft den Grünen – bei denen sie selbst Mitglied ist – eine „kalkulierte Unterwanderung der Pariser Klimaziele“ vor. Das rührt an den Kernwerten der Partei. Auch Expert:innen wie der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf halten die Räumung für einen historischen Fehler.

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