Mals in Südtirol hat den Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft verboten – und wird seitdem mit Drohungen und Klagen überzogen. Das Beispiel zeigt, was auch in der aktuellen Diskussion über Glyphosat in Europa deutlich wird: Der Einsatz von Pestiziden ist nicht nur ein Frage der Gesundheit und des Umweltschutzes.
In Mals ist die Entscheidung längst gefallen. Vor drei Jahren schon stimmten die 5000 Einwohner der Gemeinde im Vinschgau in Südtirol in einer Volksabstimmung dafür, dass auf dem Gemeindegebiet keine Pestizide mehr versprüht werden dürfen. Im Vinschgau reiht sich eine Apfelplantage an die nächste. In dem Obstanbaugebiet werden jährlich im Durchschnitt 45 Kilogramm Pflanzenschutzmittel pro Hektar ausgebracht, im restlichen Italien nur ein Siebtel davon. Die Bewohner von Mals, mehrheitlich Milch- und keine Obstbauern, die oberhalb der Obstanbaugebiete ihre Wiesen und Felder bewirtschaften, wollten den Chemikalien nicht länger ausgesetzt sein.
Nachdem sich 76 Prozent der Malser für ein Pestizidverbot ausgesprochen hatten, erließ der Gemeinderat eine Verordnung: Die giftigsten Pestizide sind nun ganz verboten, alle anderen Chemikalien dürfen nur noch mit großem Abstand zu den angrenzenden Flächen, Obstplantagen und öffentlichen Plätzen versprüht werden – was in dem von kleinen Parzellen durchsetzten Landstrich einem Verbot gleichkommt. Darüber hinaus wurde festgeschrieben, dass Produkte aus biologischer Landwirtschaft in öffentlichen Einrichtungen bevorzugt genutzt werden sollen.
So wurde Mals zum Vorzeigedorf der Pestizidgegner, zu einem großen Experiment – aber auch zum Schauplatz einer stetig schärfer werdenden Auseinandersetzung. Denn die Bewohner von Mals machen nun durch, was Pestizidgegner häufig erleben: Sie treffen auf erbitterten Widerstand von konservativen und profitorientierten Bauernverbänden und eine mächtige Chemielobby, die nicht vor Drohgebärden und Klagen zurückschrecken. So spielt sich in der Gemeinde im Vinschgau im Kleinen ab, was derzeit auch auf EU-Ebene geschieht, wo die EU-Kommission bis Ende des Jahres über einer Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in Europa entscheiden muss: Mit allen Mitteln versuchen verschiedene Interessengruppen auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen.
Die Pestizidbefürworter drohen nicht nur
Einen großen Anteil daran, dass Mals über die Grenzen des Vinschgau hinaus bekannt wurde, trägt Alexander Schiebel. Der Autor und Filmemacher aus Österreich hörte von der Geschichte, zog in die Gemeinde, schrieb das Buch „Das Wunder von Mals“ und drehte den gleichnamigen Dokumentarfilm über den andauernden Kampf der Bewohner für ihre Unabhängigkeit von Pestiziden.
Mittlerweile hat sich eine breite Front gegen das Pestizidverbot der Malser gebildet. Längst geht es über Drohungen hinaus: Einem Malser Obstbauern, der seit dreißig Jahren ganz ohne chemische Hilfsmittel auskommt, sprühten Unbekannte ein Pestizid auf einen Teil seiner Apfelbäume. Der Südtiroler Bauernbund und die lokalen Obstgenossenschaften machen seit der Veröffentlichung des Buches im September mobil gegen Alexander Schiebel, der Landwirtschaftsminister der Landesregierung Südtirol klagt gar gegen den Autor und den Münchner Oekom-Verlag, der das Buch herausgebracht hat. „Üble Nachrede“ und die „Verbreitung von Falschinformationen zum Nachteil der Südtiroler Landwirtschaft“ lauten die Anschuldigungen. Von einer weiteren Klage ist das Umweltinstitut München betroffen, das die Gemeinde unterstützt hatte.
Schiebel lässt sich davon nicht beeindrucken. Er ist sich sicher, dass ihm keine gravierenden Strafen drohen, und hält die Reaktion des Bauernbundes und der Landesregierung für völlig überzogen. „Sie empfinden das Vorgehen der Gemeinde als Majestätsbeleidigung, als Provokation“, sagt er. Die Obstbauern im Vinschgau seien reich und sähen nun ihren Wohlstand und den guten Ruf der Region bedroht. Die Landesregierung, die sich im nächsten Jahr Wahlen stellen muss, geriere sich als „Retter der Bauernregion“. „Dabei könnten sie das alles ganz einfach als Experimentierfeld ansehen und es positiv verkaufen“, sagt Schiebel.
Denn es hat sich viel getan in Mals. „Die Vielfalt der Landwirtschaft ist deutlich gestiegen“, sagt er. Es wird Gemüse und Getreide angebaut, wo es vorher fast ausschließlich Viehwirtschaft gab. Der Anteil an Biobauern und Bioprodukten aus der Region sei deutlich gestiegen. Und die Malser wollen sich nicht unterkriegen lassen. Das Bozener Landesgericht hatte zwar die Volksabstimmung für nicht zulässig erklärt, die Verordnung des Gemeinderates ist davon jedoch ausgenommen, da sich diese nicht direkt auf die Abstimmung bezog. Wichtig sei jedoch der Wille der Bevölkerung und die Umsetzung der Verordnung, sagt Schiebel. Wenn nötig, werde die Gemeinde bis vor das höchste Gericht ziehen.
„Der Lobbydruck ist hoch“
„Wir müssen uns doch fragen, wie die Landwirtschaft in Zukunft aussehen soll“, sagt Schiebel. „So wie jetzt geht es nicht mehr.“ Das gelte für Südtirol und den Vinschgau genauso wie für die meisten Regionen in Europa. Das Artensterben sei ein völlig unterschätztes, „monströses“ Problem. „Warum sollten wir also nicht schon jetzt in die Richtung steuern, der die Zukunft gehört?“ Seine Meinung zu der aktuellen Diskussion auf europäischer Ebene ist eindeutig: „Der Lobbydruck ist hoch, aber Glyphosat gehört sofort verboten.“
Die Europäische Kommission sieht das anders. Bis Jahresende muss sie darüber entscheiden, ob Glyphosat, das nicht nur von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wird, sondern auch maßgeblich zum Artensterben beiträgt und trotzdem das weltweit am häufigsten eingesetzte Pflanzenschutzmittel ist, in Europa weiterhin ausgebracht werden darf oder nicht. Um eine Entscheidung treffen zu können, sind die EU-Kommissare auf wissenschaftliche Untersuchungen, Studien und Risikobewertungen angewiesen. Doch die Lage ist unklar. Einige Wissenschaftler sagen: Ja, Glyphosat ist krebserregend, andere Forscher sind der gegenteiligen Auffassung – ihnen folgten die EU-Behörden und das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) und gaben Entwarnung.
Doch dann stellte sich häppchenweise heraus, wie sehr sich EU-Behörden bei ihrem Urteil auf Einschätzungen von Herstellern verlassen haben – vor allem auf die des US-Konzerns Monsanto. Im Gutachten des BfR sind etwa hundert Seiten wortwörtlich aus Studien und Zulassungsanträgen von Monsanto abgeschrieben worden. Eine Dreistigkeit, die das Produkt guter Lobbyarbeit und eines Versagens der prüfenden Behörden ist – und die zu weiterer Ungewissheit und Verunsicherung führt.
Doch es gibt Hoffnung. Frankreich, Luxemburg und zuletzt Österreich haben angekündigt, einer Verlängerung der Zulassung von Glyphosat nicht zuzustimmen. Die Bedenken seien zu groß und müssten vollständig ausgeräumt sein. Die Beweislast würde damit umgekehrt. Eine gute Nachricht – auch für Alexander Schiebel und die Menschen in Mals.
GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
TEXT: Bastian Henrichs
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