Smartwatches ohne Batterien und Pflanzen, die uns ans Gießen erinnern? Was heute noch wie Zukunftsmusik klingt, könnte morgen schon Realität sein. Möglich wird’s durch Energy Harvesting.
Energie aus der Umwelt ernten: Klingt wie weit entfernte Zukunftsmusik, ist es aber nicht. Denn seit Jahren wird aus Umweltquellen Strom generiert, beispielsweise mit Windrädern oder Photovoltaikanlagen. Schon heute werden unzählige Gebäude mit Solarpanelen ausgestattet, um sie mit Energie zu versorgen. Energy Harvesting ist seit längerer Zeit in unserem Alltag vorhanden und gehört zu den bedeutendsten Forschungsgebieten für erneuerbare Energien.
Energy Harvesting mit Wärme und Kälte
Unter anderem das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Nürnberg arbeitet aktuell an dem Konzept. Die Forscher entwickelten ein Modul für thermoelektrische Energiegewinnung. Thermoelektrisch bedeutet, dass Energie aus Wärme- oder Kältequellen generiert wird, um damit Geräte zu versorgen.
Das Verfahren beruht auf dem so genannten Seebeck-Effekt: Haben zwei elektrische Leiter unterschiedliche Temperaturen, entstehen kleinste elektrische Spannungen. Mithilfe verschiedener Schaltungstechniken entwickelten die Forscher einen kleinen Generator, der diese niedrigen Spannungen in höhere konvertiert und sie damit nutzbar macht.
Solche Systeme werden autark genannt. Das bedeutet, sie können die Menge an Energie, die sie für ihren Betrieb brauchen, selbst herstellen. Damit benötigen sie keine Stromquelle von außen. Diese Module sind bereits in Geräten des Frauenhofer Instituts verbaut, beispielsweise in der BlueTEG Pipe.
Wird die BlueTEG Pipe an ein warmes oder kaltes Rohr befestigt, dessen Temperatur um mindestens zwei Grad von der Umgebungstemperatur abweicht, kann sie genug Strom produzieren, um ihre eigene Energieversorgung zu decken. Außerdem lassen sich Messdaten wie Luftfeuchtigkeit, Raumtemperatur, Druck oder ähnliches per Bluetooth an einen Computer oder Tablet übertragen.
Herzschrittmacher mit Energie aus dem Herzschlag
Diese Technik funktioniert nicht nur mit Wärme- und Kälteenergie, sondern auch mit mechanischer Energie, also Energie aus Bewegung. Es gibt bereits Module, die leichte Vibrationen, Luftströme oder Druckwellen verwenden, um daraus Elektrizität herzustellen. Mithilfe dieser Technologie können kleine Geräte die Energie, die sie zum Betrieb brauchen, selbst generieren. Aber warum eigentlich dieser ganze Aufwand, wenn es bereits Akkus gibt?
Ein großer Vorteil von Energy Harvesting ist die Verwertung bereits existenter Umweltenergie. Beispielsweise haben Wissenschaftler der University of Michigan ein Gerät entwickelt, welches aus dem menschlichen Herzschlag genug Energie für einen Schrittmacher erzeugen kann. Damit könnten implantierte Defibrillatoren oder Schrittmacher ganz ohne Batterien funktionieren. Riskante Eingriffe für den Batteriewechsel würden damit in Zukunft theoretisch der Vergangenheit angehören.
Weniger Akkus dank Energy Harvesting
Mithilfe von Energy Harvesting könnte bei vielen elektrischen Geräten auf Akkus verzichtet werden. Wir nutzen im Alltag immer mehr elektrisch betriebene Geräte – dieser Trend wird sich fortsetzen. Auch Dinge, die heute noch völlig ohne Strom funktionieren, werden in Zukunft smarte Geräte sein. Ähnlich, wie Uhren vor einigen Jahren völlig mechanisch betrieben wurden und heute schon mit dem Internet verbunden sind – und dafür Strom brauchen.
In dieser Form können sich Möbel oder andere Gegenstände entwickeln, sagt Professor Wentzloff vom Lehrstuhl elektrische Energietechnik und Informatik an der University of Michigan. Benötigen all diese Billionen von Geräten weltweit Akkus und würden diese Akkus durchschnittlich zehn Jahre halten, müssten Berechnungen zufolge täglich etwa 300 Millionen Batterien weltweit ausgetauscht werden. Das ist ein enormer Bedarf an Ressourcen.
Energy Harvesting könnte den Bedarf an Lithium verringern
Die meisten Batterien sind außerdem Lithium-Ionen-Akkus und bestehen neben Lithium unter anderem auch aus Kobalt und Nickel. Der Abbau dieser Rohstoffe gefährdet heimische Tier- und Pflanzenarten. Außerdem werden große Mengen an Wasser benötigt, um Lithium abzubauen. Das hat zur Folge, dass viele Seen austrocknen oder mit Schadstoffen belastet werden.
Auch der Recyclingprozess gestaltet sich schwierig. Kobalt und Nickel zu recyclen, lohnt sich finanziell. Bei Lithium sieht das anders aus. Teilweise kann es sogar umweltbelastender sein, Lithium zu recyclen, da dieser Prozess große Mengen umweltschädlicher Chemikalien benötigt. Vor diesem Problem steht auch heute die E-Mobilität. Energy Harvesting würde diese Probleme zwar nicht gänzlich beheben, könnte aber eine gute Alternative für Akkubetriebene Kleingeräte sein.
Erste Smartwatch ohne Akku ist bereits auf dem Markt
Die Firma MATRIX industries entwickelte die erste Smartwatch, die vollständig ohne Akku funktioniert. Durch eingebaute thermoelektrische Generatoren im Armband kann die Powerwatch die Energie für ihren Betrieb selbst produzieren. Legt der Nutzer die Uhr ums Handgelenk, schaltet sie sich automatisch ein. Nimmt er sie wieder ab, geht sie in den Ruhemodus und speichert vorher die gemessenen Daten. Die Powerwatch muss nie aufgeladen werden, weil sie ihren Bedarf an Energie selbst produziert.
Die Anwendungsgebiete sind nahezu grenzenlos. In Zukunft könnten theoretisch alle Kleingeräte ohne Akkus betrieben werden. MATRIX industries hat auch einen Getränkekühler entwickelt, der jedes Getränk binnen weniger Minuten auf die gewünschte Temperatur herunterkühlt. Und das alles ohne Stromzufuhr.
Möglich wäre es auch, Sensoren in Pflanzendünger zu integrieren, meint Professor Wentzloff. So könnte uns zukünftig die Pflanze selbst benachrichtigen, wann sie gegossen werden möchte.
Energy Harvesting funktioniert auch mit Körperwärme
Auch Fitnessshirts, die Daten wie Herzfrequenz, Körpertemperatur und Sauerstoffkonzentration messen und direkt an das Smartphone senden, sind in der Entwicklung. Eine passende Software könnte dann sogar vorhersagen, ob die Gefahr eines Asthmaanfalls oder Herzinfarkts besteht.
Dass das nicht unmöglich ist, zeigt SUPA, ein intelligenter Sport-BH, der bereits 2017 vorgestellt wurde. Mit unsichtbaren biometrischen Sensoren, einer künstlichen Intelligenz und einem Herzfrequenzmesser überwacht der BH das Training und schickt die Daten per Bluetooth an das Smartphone. Zwar wird für den Herzfrequenzmesser eine Batterie verwendet, diese könnte aber durch Energy Harvesting überflüssig werden.
Noch funktioniert Energy Harvesting nicht optimal. Wenn Wissenschaftler die Technik weiterentwickeln, könnten zukünftig viele Alltagsgegenstände mithilfe von Energy Harvesting zu smarten Geräten umfunktioniert werden. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig und Energie in der Umwelt überall vorhanden. Die Herausforderung besteht nur darin, diese Energie für uns nutzbar zu machen. Um Ressourcen zu schonen, müssten wir zugleich aber auch den Trend zu immer mehr Kleingeräten hinterfragen.
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