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„Brauchte fast Straßenkämpfe“: So entstanden Fahrradstädte in Europa

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Foto: CC0 Public Domain – Unsplash/ sam te kiefte, Screenshot: Instagram/ cycling_embassy

Nicht in jeder Stadt dominiert das Auto. In Fahrradstädten wie Amsterdam, Kopenhagen und Utrecht funktioniert Mobilität anders. Wie kommt das? Teilweise durch politischen Willen – und teils durch die Bevölkerung, die sich gegen Autos stark machte.

Dem Fahrrad wird eine Schlüsselrolle in der Mobilitätswende zugesprochen, gerade im urbanen Raum. Doch wie entstehen Fahrradstädte?

Durch Innovation, politische Förderung und manchmal auch durch zivilen Protest – das zeigen einige bekannte Beispiele.

Welche Städte sind Fahrradstädte?

Wo kommt man mit dem Fahrrad am einfachsten von A nach B? Zum Beispiel in Kopenhagen, Amsterdam und Utrecht. Die drei Städte führen den „Copenhagenize Index“ an – ein Ranking für fahrradfreundliche Städte mit mehr als 600.000 Einwohner:innen. Er wurde zwar zuletzt 2019 aktualisiert, zählt aber zu den bekannteren Einstufungen und bewertet Städte ausführlich anhand von 13 Kriterien. Betrachtet werden zum Beispiel Fragen wie: Gibt es vom Autoverkehr getrennte Radwege und Leihfahrradsysteme? Werden Tempo-30-Zonen ausgewiesen? Bremen schnitt von allen deutschen Städten am besten ab und befindet sich auf Platz 11.

Kopenhagen: Klimaneutral durch Fahrradfahren?

Kopenhagen führt den Copenhagenize Index an. Der ähnliche Name mag auf Befangenheit hindeuten – die Urheber:innen betonen jedoch die neutrale und zahlenbasierte Auswertung. Immerhin: Auch ähnliche Rankings heben Kopenhagen als Fahrradstadt hervor.

Die dänische Hauptstadt hat zwischen 2004 und 2017 rund 270 Millionen Euro in den Ausbau der Fahrrad- und Fußgängerinfrastruktur investiert – das entspricht circa 40 Euro pro Bewohner:in. Die Arbeitswege legten Kopenhagener:innen bis zu 35 Prozent mit dem Fahrrad zurück – bis 2025 soll der Wert auf 50 Prozent steigen.

Wieso so viel Geld in die Hand genommen wurde? Die Stadt verfolgte ein ehrgeiziges Ziel: Bis 2025 wollte sie klimaneutral sein. Im August 2022 erklärte die Oberbürgermeisterin jedoch, das Klimaschutzvorhaben sei nicht mehr realistisch. Bisher habe die Stadt ihre CO2-Emissionen um 80 Prozent reduzieren können, berichtet ein lokaler Sender.

Das Fahrrad hat einen besonderen Stellenwert in der Hauptstadt. Schon während der Ölkrise in den 1970er Jahren protestierte die dänische Bevölkerung erfolgreich für mehr Radverkehr in Städten. Heute benutzen viele Kopenhagener:innen das Rad, „weil es sicher ist, einfach und es ist die schnellste Möglichkeit sich in der Stadt zu bewegen“, erklärt Marianne Weinreich, Vorsitzende eines Dachverbands für die Förderung des Radverkehrs, gegenüber Deutschlandfunk Kultur.

Amsterdam und Utrecht: Durch zivile Proteste zur Fahrradstadt

Die Niederlande assoziieren wir stark mit Fahrrädern. Diese waren in Holland schon früh beliebt, selbst von Königin Wilhelmina (regierte von 1890 bis 1948) existieren mehrere Fotos auf dem Drahtesel. Doch in den 50ern und 60ern drohte das Auto das Fahrrad zu verdrängen.

Die Bewohner:innen der Städte litten unter autobedingter Luftverschmutzung, Staus, Unfällen. „Die Zahl der Verkehrstoten stieg, darunter viele Kinder“, erklärt Meredith Glaser, Leiterin des Urban Cycling Institute an der Universität von Amsterdam, gegenüber Deutschlandfunk Kultur. „Das war ein großer Faktor. Die waren es gewohnt auf den Straßen zu spielen. Aber mit den Autos wurde das immer gefährlicher.“

In den 70er Jahren formierten sich Aktivist:innengruppen, die unter anderem mit Fahrradkorsos gegen die Entwicklung in den Städten protestierten. Sie griffen auch zu Guerillaaktionen und pinselten zum Beispiel nachts Fahrradwege auf die Straßen. Geert Kloppenburg, Berater und Podcaster, der sich dem Thema Mobilität widmet, erklärt gegenüber Deutschlandfunk Kultur: „Es brauchte fast Straßenkämpfe in Amsterdam in den 70ern und 80ern, um das System zu ändern“. Bilder von den damaligen Protestaktionen sind online zu finden – das folgende zeigt eine Demo von 1977 und wurde von einem niederländischen Fahrradnetzwerk auf Instagram geteilt.

Der Protest zeigte bald Erfolg. In den 80er und 90ern baute die Regierung die Infrastruktur für Radfahrer:innen aus und trennte die Wege räumlich von Straßen für Autofahrer:innen. Auch rechtlich änderte sich einiges: Kommt es in den Niederlanden zwischen Radfahrenden und Autofahrenden zu einem Unfall, haftet in der Regel der stärkere Verkehrsteilnehmer – also die Person im Auto.

Heute gibt es in Amsterdam fast 770 Kilometer Radwege. Der Copenhagenize Index vergibt ihr den 2. Platz und lobt anstehende Projekte: Zum Beispiel sollen bis 2025 11.000 Auto-Parkplätze im Stadtzentrum durch Parkplätze für Fahrräder, Bäume und Platz für Fußgänger:innen ersetzt werden. Utrecht (Platz 3) verfügte 2019 über 245 Kilometer geschützter Radwege. Am Hauptbahnhof der Fahrradstadt befindet sich das größte Fahrradparkhaus der Welt.

Bremen auf Platz 11: Hansestadt investiert in Fahrradmodellquartiere

Die erste deutsche Stadt taucht im „Copenhagenize Index“ erst auf Platz 11 auf. Bremen ist nicht nur von Natur aus relativ flach, sondern hat in den vergangenen Jahren viel Geld investiert, um für Radfahrer:innen attraktiv zu werden. Laut Ranking gab es 2019 674 Kilometer Radwege in der Stadt, die vom Autoverkehr physisch getrennt sind. Der aktuelle Verkehrsentwicklungsplan 2025 (VEP) sieht acht weitere Radrouten quer durch die Stadt vor – Teile davon wurden schon fertiggestellt.

Die Stadt hat in der Alten Neustadt inzwischen eine „Fahrradzone“ geschaffen, mit einem Netz aus Fahrradstraßen und Abstellmöglichkeiten – Radfahrende haben Vorrang. Um die Zone befindet sich eines von mehreren „Fahrradmodellquartieren“, mit Bikesharing, Lastenradverleih, Luftpump- und Ladestationen für E-Bikes und weiteren Angeboten.

In Bremen gibt es also viel politischen Willen, sich für das Fahrrad einzusetzen. Das ist unter der Bevölkerung eben sehr beliebt. Wie die Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) betont, werde rund ein Viertel aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt – so zitiert sie der Weser-Kurier. Die Stadt habe den höchsten Fahrradanteil und die niedrigsten Stickoxidwerte aller deutschen Großstädte mit mehr als 500.000 Einwohner:innen. Außerdem wurde hier 1979 der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) gegründet.

Übrigens: Bei einer Befragung des ADFC wurde Bremen ebenfalls zur fahrradfreundlichsten Metropole Deutschlands 2022 gewählt. Auf Platz 2 und 3 folgen Frankfurt und Hannover.

Sichere Radwege: ADFC sieht in Deutschland Nachholbedarf

Um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir das Fahrrad – davon sind Menschen in 28 Ländern überzeugt. Das hat eine Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos festgestellt. Allerdings sei die Bereitschaft zum Fahrradfahren unterschiedlich hoch. In den Niederlanden sei man am meisten gewillt, sich aufs Fahrrad zu schwingen. Die Studie bringt das in Zusammenhang mit der gut ausgebauten Radinfrastruktur im Land. In Deutschland halten 42 Prozent der Befragten das Radfahren für gefährlich. Der Fahrradclub ADFC fordert deshalb durchgängige und sichere Radwege im ganzen Land.

Ob zum Einkaufen, zur Arbeit oder in den Urlaub: Ständig bewegen wir uns von A nach B. Wie wir das tun, hat einen direkten Einfluss auf die Umwelt und das Klima. Utopia legt deshalb diese Woche einen Fokus darauf, wie wir „besser unterwegs“ sein können.  Dabei stellen wir uns Fragen wie „Wie kann man nachhaltig(er) verreisen?“, „Wie werden Städte zu Fahrradstädten?“ und „Wie ist es, auf dem Land auf das Auto zu verzichten?“ Alle Beiträge aus der Themenwoche findest du unter dem Tag „Besser unterwegs“.

Dem Thema Fahrrad und Fahrradreisen haben wir auch eine Podcastfolge gewidmet. Du findest sie auf verschiedenen Podcast-Plattformen, unter anderem Spotify, Apple Podcasts, Amazon Podcasts sowie direkt hier:

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