Sind unsere Lebensmittel zu billig? Eine Talkshow mit Günter Jauch stellte die falschen Fragen – doch die üblichen Schuldzuweisungen ergaben am Ende auch eine Art Antwort.
Am gestrigen Sonntagabend gab es bei Jauch wieder einmal rege Diskussionen – diesmal sogar zu einem relevanten Thema: „Die Wut der Bauern – sind unsere Lebensmittel zu billig?“ Anlass war ein Brandbrief des bloggenden Landwirts „Bauer Willi“ (bauerwilli.com), der deutschen Verbrauchern kräftig die Leviten las: „Du, lieber Verbraucher, willst doch nur noch eines: billig“, schreibt er in seinem lesenswerten Beitrag „Lieber Verbraucher“, und weiter: „Gespritzt werden darf es natürlich nicht, muss aber top aussehen, ohne Flecken. Sind doch kleine Macken dran, lässt du es liegen.“ Er kritisiert, dass die Konsumenten ein romantisiertes Bild der Landwirtschaft haben und als Discounter-Kunden zugleich dafür sorgen, dass die Landwirtschaft immer industrieller wird.
Bauer Willi hat Recht: Die meisten Kunden kaufen nur nach dem Preis, zweites Kriterium ist für viele das Aussehen. Doch das liegt ja nur daran, dass uns die Industrie überhaupt gar keine guten Waren, sondern vor allem die Illusion guter Waren verkaufen möchte. Sie wird ungenügend gezwungen, offen zu legen, woher die Waren stammen und wie sie verarbeitet wurden. Lebensmittel-Ampel, Inhaltsstoffe-Deklarationen, Hinweis auf gentechnisch veränderte Lebensmittel – das alles Dinge, die ja nicht von ungefähr (und erst recht nicht vom Verbraucher) jahrelang verhindert worden sind.
Warum sehen die Tomate, der Apfel, die Wurst so lecker aus? Weil sie eben so lange mit chemischen Dünger aufgepeppt, mit Pestiziden gespritzt, mit unnatürlichen Zusatzstoffen vermengt wurden, bis sie einem an uninformierte Kunden gut verkäuflichen Werbe-Ideal entsprechen. Die Kunden würden ganz anders entscheiden, wenn die Produkte deutlich kenntlich machen würden, woher die verarbeiteten Produkte stammen, welche schwindelerregenden Wege sie hinter sich haben, welche gesundheitlichen Probleme mit Zusatzstoffen in Verbindung gebracht werden, und so weiter.
Die Diskussion bei Günther Jauch wollte das allerdings selten wahrhaben. Die richtigen Fragen wurden einfach nicht gestellt: Warum müssen wie Bio-Gemüse aus dem Ausland herbeikarren, während unsere eigenen Landwirte sichtlich teils der Meinung sind, es gäbe bei uns keinen Markt dafür? Wie kann es sein, dass noch immer Zirkus um zum Beispiel die Authentizität von Parmaschinken gemacht wird, wo doch längst klar ist, dass der nicht immer wirklich aus Parma stammt? Wann endlich werden alle realen Herkunftsländer, Produktionsbedingungen, Inhaltsstoffe und Verarbeitungsmethoden verständlich und eindeutig so offengelegt, dass der Verbraucher wirklich transparent entscheiden kann: Das kaufe ich, das nicht.
Stattdessen wurden die üblichen Klischees wiederholt, leider auch von Günther Jauch selbst: Der Verbraucher wolle nur das Billige, habe eben keine Ahnung. Landwirtschaft und Nahrungsindustrie könnten also gar nicht anders, als billige Ware zu produzieren, um im „Markt“ zu bestehen. Technisch sei es gar nicht möglich, die Herkunft verschiedenster Produkte bis zur Quelle zurückzuverfolgen. Und überhaupt wäre ja wohl die ganze Welt nicht ernährbar, wenn man auf Bio umstellen würde. Soso.
Ja, „Günther Jauch“ ist nur eine Talkshow. Vieles wurde zwangsläufig eher angerissen als befriedigend diskutiert. Sichtbar wurde immerhin der Riss, der sich durch die Gesellschaft zieht: Eine kleine, aber wachsende Zahl von Menschen will wissen, was sie isst und wie das Essen gemacht wird. Eine kleine, aber wachsende Zahl von Produzenten hat das erkannt und befriedigt diese Bedürfnisse. Und eine sichtlich überfütterte Industrie, die sich weigert, dem Verbraucher die Wahrheit ihrer Produktionsverhältnisse offenzulegen, ist zu schwerfällig, um sich zu bewegen – und hat kein anderes Gegenargument als „der Markt“.
Die Antwort entstand am Ende eher trotz der Diskussion als durch sie: „Der Markt“ verkauft Warenillusionen, weil das leichter ist; und solange man ihm das erlaubt und nicht zur Transparenz zwingt, wird sich am Verbraucherverhalten des Mainstreams wenig ändern. Transparenz ist schwierig, aber die wichtigste Voraussetzung für Verbrauchermacht.
Wer Jauchs Sendung „Die Wut der Bauern – sind unsere Lebensmittel zu billig?“ verpasst hat, kann diese übrigens über diesen Link ansehen.
Noch ein Beispiel für den heimlichen Versucht, die Verbraucher zu entmachen: TTIP – lesen Sie dazu Alternativen zum Freihandelsabkommen
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