„Tötet wertvolle Insekten“ – diesen Warnhinweis lässt Insektizid-Hersteller Reckhaus seit 1. März freiwillig auf seine Produkte drucken. Vor sieben Jahren krempelte er sein Unternehmen komplett um, um gegen das Insektensterben vorzugehen.
Die Verpackung ist schlicht gestaltet und ähnelt einer Zigarettenschachtel, denn: Ein Wahnhinweis mit schwarzem Rand prangt deutlich auf dem Cover. „Tötet wertvolle Insekten“ steht auf den Fruchtfliegen-Fallen, Fliegenscheiben und Co. von Dr. Reckhaus.
Der Hinweis soll Käufern bewusst machen, wie wichtig Insekten für die Umwelt und den Menschen sind. Doch was veranlasst einen Hersteller dazu, auf der eigenen Produktverpackung vom Kauf abzuraten?
Dr. Reckhaus: Insektizid-Hersteller stellt auf Nachhaltigkeit um
2011 wollte Dr. Hans-Dietrich Reckhaus, geschäftsführender Gesellschafter der Reckhaus GmbH & Co. KG, mit zwei Schweizer Konzeptkünstlern einen Werbedeal abschließen. Diese weigerten sich jedoch, weil die Produkte der Firma Insekten schadeten. Daraufhin begann Dr. Reckhaus, sich näher mit dem Wert von Insekten auseinanderzusetzen – und gestaltete sein eigenes Unternehmen schließlich komplett um.
Nicht nur die Verpackung hat sich seitdem geändert: Produkte der Eigenmarke „Dr. Reckhaus“ sind komplett frei von Insektiziden. Bei der zweiten Eigenmarke des Unternehmens, „recozit“, sind es immerhin 50 Prozent. Stattdessen ködern die Mittel Insekten z.B. durch Sexuallockstoffe.
Zwar lockt das ungebetene Käfer, Fliegen und Mücken ebenfalls in die Falle – doch die Umwelt kommt weniger zu Schaden: Denn konventionelle Giftstoffe gelangen durchs Putzwasser in den Wasserkreislauf oder schaden ungewollt anderen Insektenarten – davor warnt auch das Umweltbundesamt.
Außerdem führt das Unternehmen auch Lebendfangfallen wie den „Fliegenretter“, mit dem man ungebetene Gäste einfach vor der Haustür wieder aussetzen kann. Im Herbst will das Unternehmen drei weitere solche Produkte vorstellen.
Insect Respect: urbane Grünflächen für Insekten
Dr. Hans-Dietrich Reckhaus hat auch das Siegel „Insect Respect“ ins Leben gerufen, das auf 15 seiner eigenen Produkte zu finden ist. Dieses garantiert, dass die getöteten Insekten quasi „kompensiert“ werden. Die Firma legt dafür auf Flachdächern Grünflächen an und schafft so Lebensraum für Fliegen, Käfer und Co. Wie groß die Anbaufläche sein muss, wird durch eine komplexe Formel berechnet. Das Ergebnis hängt davon ab, wie viel Gramm Insekten durch ein Mittel innerhalb eines Jahres getötet werden können.
Insektenschutz-Vereine führen regelmäßig Messungen auf den Dächern durch. Sie konnten feststellen, dass sich mitunter auch gefährdete Arten auf den Grünflächen angesiedelt haben, erklärt Dr. Reckhaus im Gespräch mit Utopia. Auch Werner Schulze vom NABU analysierte, wie viele Insekten sich tatsächlich auf den Grünflächen ansiedeln. Wie der WDR berichtet, fand Schulze ein stabiles Öko-System vor, in dem sich auch seltene Arten niedergelassen hatten.
Ob die Firma wirklich genügend Grünflächen anbaut, kontrolliere die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC einmal jährlich, erklärt Dr. Reckhaus. Darüber hinaus gibt es keine externen Kontrollen, das Siegel ist auch von keiner dritten Stelle zertifiziert.
Insgesamt tragen etwa 25 Produkte das Insect-Respect-Siegel – dazu zählen auch Eigenmarken von dm, Aldi und Rossmann. Die Konzerne zahlen dem Insektizid-Hersteller dafür eine Gebühr.
Dr. Reckhaus: So soll die Zukunft aussehen
Gewinn hat Dr. Reckhaus der nachhaltige Wandel nicht eingebracht: Die Umsätze gingen bei der Umstellung vor sieben Jahren stark zurück, davon hat sich der Konzern bis heute nicht erholt. Wann und ob das Unternehmen mit seinem nachhaltigen Geschäftskonzept Gewinne erzielen wird, ist noch unklar. „Vielleicht in 10 Jahren“, meint Dr. Reckhaus. Darum gehe es ihm aber auch gar nicht. Sein Ziel sei vor allem, dass weniger Menschen Insektizide kaufen. Dazu organisierte der Unternehmer auch den Tag der Insekten am 21.03. in Berlin.
Wieso er dann nicht ganz aus dem Geschäft aussteige? Dazu sieht Dr. Reckhaus keine Möglichkeit – immerhin hat sein Konzern 60 Mitarbeiter, die er nicht einfach so entlassen möchte. Wenn er sein Unternehmen an einen anderen Insektizid-Hersteller verkaufen würde, ginge vielleicht der nachhaltige Aspekt seiner Arbeit verloren.
Reckhaus‘ Vision: Den Anbau von Grünflächen zum Geschäftskern machen. Dafür baut er auch jetzt schon Insekten-Wiesen für Firmen, die nicht mit Insect Respect ausgezeichnet sind – wie beispielsweise Ritter Sport. Ganz umsteigen kann der Unternehmer allerdings noch nicht. Dafür sei der Markt noch zu klein – mit Insect-Respect-Produkten macht der Hersteller bisher nur 10 Prozent seines Umsatzes. Außerdem sei es noch schwer, Unternehmen als Partner zu gewinnen.
Fazit: Am besten ganz ohne Insektizide
Weltweit sterben die Insekten – und schuld daran ist der Mensch. Um zu überleben, brauchen wir die kleinen Tiere aber dringend. Deshalb sollte man es sich besser zweimal überlegen, ehe man bedrohten Tieren mit Insektiziden zu Leibe rückt. Um Insekten zu vertreiben, gibt es außerdem unzählige Hausmittel, bei denen die Tierchen oft nicht zu Schaden kommen. Trotzdem gibt es genug Menschen, die immer noch zu Chemie greifen, um Mücken, Käfer und andere „Schädlinge“ loszuwerden.
Auch die Produkte von Dr. Reckhaus zielen immer noch darauf ab, Insekten zu töten. Als Ausgleich Lebensraum für bedrohte Arten zu schaffen, ist aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Dass ausgerechnet ein Insektizid-Konzern auf das Insektensterben aufmerksam macht, zeigt, dass auch große Konzerne Verantwortung übernehmen können und dabei zuweilen ungewöhnliche Wege gehen.
Weiterlesen auf Utopia.de:
- Bienensterben – was kann ich dafür?
- 10 Dinge, die du aus deinem Garten verbannen solltest
- Insektenfreundliche Produkte: So hilfst du Bienen & Co.
War dieser Artikel interessant?