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Klimaforscher Mojib Latif: „Wir sind ein Volk von Bedenkenträgern geworden“

Mojib Latif: "Wir sind ein Volk von Bedenkenträgern"
Foto: © Jan Steffen, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Mojib Latif ist der vermutlich bekannteste Klimaforscher Deutschlands. In seinem neuen Buch nimmt er vor allem den Welthandel in die Verantwortung. Warum er die Trägheit der Deutschen ebenso als großes Problem sieht und wie sich dies ändern lasse, erklärt er im Utopia-Interview.

Er ist Klimaforscher, Meteorologe, Ozeanograph, Hochschullehrer und war einer der Ersten, die in Deutschland öffentlich vor der Klimakrise gewarnt haben. Mojib Latif hat sein Berufsleben dem Klima gewidmet und sich in mehreren seiner Bücher mit der Klimakrise befasst – auch in seiner neuesten Veröffentlichung „Klimahandel“. Darin thematisiert Latif die Auswirkungen der Weltwirtschaft auf das Klima. Im Gespräch mit Utopia erklärt der Klimaforscher, was wir ändern müssen.

Mojib Latif: Warum die Lösung für die Klimakrise so nahe liegt

Utopia: Im Interview mit der Bild haben Sie gesagt “Wenn Sie mich zum König der Welt machen, wäre unser Klimaproblem in 20 oder 30 Jahren gelöst.” Nun ist ihr neues Buch “Klimahandel” erschienen. Gibt es darin auch Vorschläge, wie wir das Problem in einer Demokratie angehen können? 

Mojib Latif: *lacht* Ja, das wird thematisiert. Den Satz habe ich gesagt, weil es in erster Linie um die Energie, um Öl, Kohle und Erdgas geht. Bei deren Verbrennung entsteht CO2 und das ist das Hauptproblem für das Klima. Aber wir haben Sonne, Wind und Erdwärme im Überfluss. Ein kleiner Prozentsatz der Sonnenenergie würde schon reichen, um den Weltenergiebedarf zu decken. Wir wissen auch, wie wir sie nutzen können, die Technologie ist längst entwickelt. Das größere Problem sind die unterschiedlichen Interessen, mit denen wir es zu tun haben. 

Utopia: Welche sind das? 

Latif: Die nationalen und die internationalen. Bei uns in Deutschland sehen wir, wie schwer es ist, Veränderungen durchzusetzen. Wir sind ein Volk von Bedenkenträgern geworden. Damit trotzdem alle mitziehen, müssen wir den Gewinn in den Vordergrund stellen, nicht den Verzicht. Dass Gemeinden durch die Erträge aus Windkraft beispielsweise mehr Geld für Sanierungen haben und die Steuern senken können, muss klarer kommuniziert werden. Aber immerhin haben wir in Deutschland schon Fortschritte gemacht, was die Begrenzung des CO2-Ausstoßes angeht. 

Schwieriger ist die internationale Zusammenarbeit. Denn egal in welchem Land CO2 ausgestoßen wird, die Auswirkungen sind immer global. Deshalb können wir das Problem auch nur durch internationale Kooperationen lösen – und die werden immer weniger, weil jedes Land mit sich selbst beschäftigt ist und nationale Interessen im Vordergrund stehen.  

Mojib Latif: Ganz ohne Verbote geht es nicht

Utopia: Sie haben eben gesagt, man solle den Fokus auf den Gewinn legen, nicht auf den Verzicht. Geht es denn ganz ohne Verzicht und Verbote? Das stelle ich mir schwierig vor.  

Latif: Ja, da haben Sie recht. Wir sind umgeben von Verboten. Wobei ich finde, dass diese “Verbote” oft eine Menge Vorteile bringen. Das Tempolimit beispielsweise: der Verkehr wird sicherer, man ist entspannter und man spart sich je nach Fahrleistung mehrere Hundert Euro im Jahr, wenn man statt 120 nur 100 fährt – und die Reichweite bei E-Autos verlängert sich so auch. Aber das kommuniziert niemand und ich finde, das sollte sich ändern.  

Gegen Verbote an sich habe ich auch nichts. Was beispielsweise die Plastikproblematik angeht, wird sich ohne Verbote nichts ändern. Plastik wieder aus dem Meer zu fischen, das ist ein Kampf gegen Windmühlen, deshalb müssen wir früher ansetzen – zum Beispiel mit Verboten von Plastiktüten. Ich hoffe, dass wir es in anderen Bereichen auch ohne Verbote schaffen, indem wir den Leuten gute Angebote machen.

Utopia: Was könnten solche Angebote sein? 

Latif: Was wir am allermeisten lieben, sind ja entweder unsere Kinder oder Geld. *lacht* Das Argument mit den Kindern scheint aber nicht richtig zu funktionieren. Auch wenn die Klimakrise deren Zukunft bedroht, bringt das die wenigsten Menschen zum Umdenken. Was aber sofort funktioniert, ist Geld – davon profitieren die Menschen am direktesten. Nicht nur durchs Klimageld, das wir dringend brauchen. Auch durch die Änderung des eigenen Verhaltens lässt sich Geld einsparen – wie beispielsweise beim Tempolimit. Das 49-Euro-Ticket ist auch schon ein super Ansatz, wobei das fast noch günstiger sein müsste, damit noch mehr Leute teilhaben können. Und natürlich muss der ÖPNV ausgebaut werden, vor allem auf dem Land.

Der Fehler unserer Wirtschaft ist aktuell, dass Umweltzerstörung belohnt wird. Deswegen heißt mein neues Buch Klimahandel. Das soll darauf hindeuten, dass Klimawandel und Welthandel eng miteinander verwoben sind. Und wenn wir künftig Umweltschutz belohnen, wird dieser auch mehr praktiziert werden. Sie müssen niemanden dazu zwingen, Bioprodukte zu kaufen, wenn diese billiger sind. 

„Geld ist in Massen vorhanden, es ist nur falsch verteilt.“

Utopia: Aber die Frage ist ja auch, wie sich das finanzieren lässt? 

Latif: Geld ist in Massen vorhanden, es ist nur falsch verteilt. Teilweise wird auch betrogen, zum Beispiel in der Finanzwirtschaft, wo sogenannte Nachhaltigkeitsfonds auf einmal fossile Unternehmen in ihrem Portfolio haben. Und natürlich gibt es dann Konsequenzen und Manager werden entlassen, aber die bekommen dann auch noch mehrere Millionen Euro Abfindung. Die Öl-Multis wissen schon seit Jahrzehnten, wie schädlich fossile Brennstoffe sind und trotzdem haben sie millionenschwere Kampagnen gegen die Klimaforschung gefahren. Und bei der Klimakompensation wird auch jede Menge betrogen.

Utopia: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass wir das Wirtschaftssystem deshalb reformieren müssen.

Latif: Das ist in unserem ureigensten wirtschaftlichen Interesse. Wir sehen in den USA, wie ein erster Schritt in diese Richtung aussehen könnte. Joe Biden ist allerdings pragmatisch und hat das Wort Klima bei seinem Programm nicht in den Mund genommen. Er hat es „Inflation Reduction Act“ genannt. (Anm. d. Red.: Im Rahmen des Inflation Reduction Act sind umfangreiche Subventionen in nachhaltige Branchen und der Aufbau einer grünen Infrastruktur vorgesehen. Wie aktuelle Zahlen zeigen hat das Programm zu einem massiven Anstieg der Investitionen in grüne Technologien geführt.) Im Prinzip geht es um die Transformation der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit. Man kann auch damit sehr viel Geld verdienen, es spricht ja nichts gegen Geld verdienen. Aber ohne, dass sich die Rahmenbedingungen ändern, werden wir die Klimakrise nicht in den Griff bekommen.

Utopia: Nicht nur die Wirtschaft hat massiven Einfluss auf das Klima – auch die Politik. Die Ampelregierung steht aktuell massiv in der Kritik. Wie bewerten Sie deren Klimapolitik? 

Latif: Man muss sie unter den aktuellen Bedingungen bewerten. Niemand konnte damit rechnen, dass Russland die Ukraine angreift. Niemand konnte damit rechnen, dass die ganze Strategie, die Deutschland hatte mit dem Erdgas als Brückentechnologie auf einmal nicht mehr funktioniert. Und ich finde unter den gegebenen Umständen ist die Ampelregierung besser als ihr Erscheinungsbild. Wir sehen ja, dass die erneuerbaren Energien jetzt doch Fahrt aufnehmen, auch im Kleinen beispielsweise mit den Balkonkraftwerken.

Was man unter dem Drehtüreffekt versteht

Utopia: Also scheint Politiker:innen die aktuelle Lage durchaus bewusst zu sein. 

Latif: Ja, die sind top informiert über die Klimakrise, aber dann ist da die nächste Wahl – und eigentlich sind immer Wahlen. Und auch der sogenannte Drehtüreffekt ist ein Problem. Das heißt, dass jemand aus der Politik ausscheidet und in die Wirtschaft geht – als Lobbyist. Das passiert quer durch die Parteien, auch bei Mitgliedern von Landes- und Bundesregierungen.

Utopia: Das kann natürlich dazu führen, dass wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen und der Klimaschutz vernachlässigt wird. Allgemein geht das Thema derzeit etwas unter und hat auch nicht das beste Image. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass davon auch einige Firmen profitieren. 

Latif: Ja, vor allem die alten Industrien, die nichts ändern wollen. Beispielsweise die Automobilindustrie. Die wollen nicht von den großen Verbrennern weg, weil sie damit unheimlich viel Geld verdienen können. Aber das wird sich rächen. Wir sehen ja jetzt schon, dass aus China die billigeren E-Autos kommen. Ich fürchte, wenn man zu lange an den alten Geschäftsmodellen festhält, dann verliert man am Ende das ganze Geschäftsfeld. Da muss einfach dringend umgedacht werden.

Darum beginnt mein Buch auch mit einer Frage, die Maurice Strong 1972 auf der ersten Weltumweltkonferenz aufgeworfen hat: “Ist es unrealistisch zu erwarten, dass der Mensch weise genug ist, das zu tun, was er für sein eigenes Wohlergehen tun muss?” Ich empfehle jedem, über diese Frage mal nachzudenken. 

Zum Buch: Mojib Latifs „Klimahandel“ (Herder, ISBN 78-3451395857, 22,- Euro) gibt es u.a. bei Buch7, Thalia, Amazon sowie in deinem lokalen Buchhandel.

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