Altes Brot, schrumpelige Karotten und abgelaufener Joghurt – über Lebensmittelverschwendung redet man derzeit viel, in der eigenen Küche landet trotzdem noch jede Menge Essen im Müll: Mit „Resteküche“ soll nun ein passendes Kochbuch erscheinen. Im Utopia-Interview erzählt der Autor, was man aus Karottengrün noch kochen kann und ob man damit die Welt rettet.
Ab März ist der Verein ShoutOutLoud mit einem FoodTruck gegen Lebensmittelverschwendung unterwegs. Passend zum Projekt hatte Vereinsgründer Daniel Anthes Rezepte gegen Verschwendung gesammelt und will sie nun mit Hilfe eines Crowdfundings als Koch- und Sachbuch herausbringen: „Resteküche“ will über die Problematik von Lebensmittelverschwendung aufklären und zeigen, wie man auch aus Lebensmitteln, die normalerweise im Müll landen noch gutes Essen kocht.
Utopia: Du hast dich ja scheinbar am Thema Essensreste festgebissen – wie kam es dazu?
Daniel Anthes: Mein Schlüsselerlebnis war vor ein paar Jahren der Moment, als ich das erste Mal abends altes Brot bei einer Bäckerei-Filiale abholen wollte. Man sagte mir im Vorfeld, dass das auf dem Fahrrad nicht möglich wäre, weil die Menge doch immer recht groß sei – doch dass selbst ein Golfklasse-Pkw fast aus allen Nähten platzt, hat mich dann sprachlos gemacht. Und das passiert da jeden Abend, jeden Tag in der Woche. Ab dem Moment wusste ich: Das will ich so nicht mehr akzeptieren. Und seitdem engagiere ich mich gegen Lebensmittelverschwendung.
Utopia: Nun also ein Kochbuch gemeinsam mit Katharina Schulenburg. Kocht ihr alles gemeinsam?
Daniel Anthes: Wir sind ein Paar und wohnen zusammen – da passiert das zwangsläufig (lacht). Aber im Ernst: Wir beide lieben Lebensmittel und sind deshalb auch immer offen für neue Produkte, Herstellungsweisen und Rezepte. Wir genießen es, in neue Restaurants zu gehen und uns für die heimische Küche inspirieren zu lassen. Und deshalb zelebrieren wir es dann auch, wenn wir wieder mal etwas Neues zusammen kochen. Im Kochbuch findet man nun eine Sammlung unserer Lieblingsrezepte im Umgang mit vermeintlichen Lebensmittelresten.
Utopia: Was tischt ihr uns da zum Beispiel auf, was nicht jeder mit einer Pfanne auch ohne Rezepte hinkriegen würde?
Daniel Anthes: Die Rezepte untergliedern sich prinzipiell in Kleines, Großes, Salatiges, Löffelbares und Süßes. Wobei hier natürlich auch wild kombiniert werden kann und soll – es geht ja schließlich um Resteküche.
Aber es gibt auch ein paar raffiniertere Ideen: Zum Beispiel Blumenkohl-Arancini, bei denen man nicht nur den Rest des Blumenkohls anders in Szene setzen kann, sondern auch noch das alte Brötchen von gestern, welches zu Semmelbrösel verarbeitet wird.
Mit einem Klick auf das Bild erhältst du eine Leseprobe der „Resteküche“ als PDF zum Download:
Utopia: Hast du internationale oder lokale Vorbilder? Kochende oder Lebensmittel-Rettende?
Daniel Anthes: Ich bin ja immer noch extrem fasziniert von Massimo Bottura – der Mann hat drei Sterne, das beste Restaurant der Welt und kocht trotzdem nebenbei mit der größten Leidenschaft mit Dingen, die andere wegschmeißen würden und serviert sie als Mehrgang-Menü Armen und Obdachlosen. Derart gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und Lebensmittelverschwendung vorzugehen, finde ich schon sehr cool.
Utopia: Warum finanziert ihr euer Buch über die oekom crowd? Und warum sollten man da mitfunden?
Daniel Anthes: Als sich der oekom Verlag meldete und meinte, sie würden mein Manuskript gerne mit mir veröffentlichen, war ich super happy. Schließlich ist es in Deutschland der Fachverlag für Nachhaltigkeit. Und mit oekom Crowd gibt es eine innovative Crowdpublishing-Plattform, wo die LeserInnen selbst zu VerlegerInnen werden können: Sie bestimmen, welche Bücher interessant sind und deshalb publiziert werden sollen.
Utopia: Gegen Lebensmittelverschwendung zu sein ist irgendwie gerade hip. Aber retten wir damit schon die Welt?
Daniel Anthes: In der Tat, die Szene ist gerade sehr vital und schnell wachsend. Dass ist gut, denn es erhöht den Druck auf die etablierten Player auf dem Markt: Große Supermarktketten verkaufen neuerdings krummes Gemüse oder stellen Verteiler-Kühlschränke auf, um Verschwendung zu reduzieren. Und dann gibt es da ja sogar erste Regierungen, die wie in Frankreich und Italien Gesetze gegen die Lebensmittelverschwendung erlassen. Am Ende des Tages schmeißen wir zwar leider immer noch viel zu viel weg, doch die ganzen Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit stimmen mich optimistisch, dass wir das Problem in den Griff bekommen.
Utopia: Du stimmst mir sicher zu: Wir (als Gesellschaft, als erste Welt) tun nicht genug. Woran liegt das eigentlich?
Daniel Anthes: Die Mehrheit der Bevölkerungen in Industrienationen wie Deutschland lebt in einer Konsum- und Überflussgesellschaft – und hierdurch leider auch in einer Wegwerfgesellschaft. Und irgendwie ist das auch nicht wirklich verwunderlich. Ich meine: Erdbeeren und Tomaten im Januar und Feldsalat im Juli? Durch die ständige Verfügbarkeit verliert man einfach die Nähe zu den Lebensmitteln und stellt sich immer seltener die Fragen, wo die Sachen herkommen, wie sie hergestellt wurden und was das eigentlich für Auswirkungen hat. Es mag zwar einen gewissen Aufwand bedeuten, aber wenn wir es schafften, generell achtsamer zu sein, kann hier eigentlich nur jeder gewinnen.
Utopia: Was ist das wichtigste, das du während deiner Beschäftigung mit Reste-Essen gelernt hast? Der größte Aha-Moment?
Daniel Anthes: Dass Kreativität grenzenlos ist und man eigentlich aus allem noch großartige Sachen zaubern kann: Schon mal ein Pesto aus Karottengrün gemacht?
Das Crowdfunding für „Resteküche“ läuft noch bis zum 29. April 2018 auf oekom crowd. Das Video zum Crowdfunding:
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