Ist das Wetter oder Klimawandel? Meteorologe Özden Terli findet die Frage überholt. Wie nur wenige andere bringt der prominente ZDF-Wettermoderator öffentlich das Wetter mit der Klimakrise in Verbindung – und wird dafür oft angefeindet. Ein Gespräch über Desinformation, Politikversagen und eine Krise, in der alle verlieren.
Die Zeiten, in denen das Wetter ein unverfängliches Small-Talk-Thema war, sind vorbei. Zwischen Hitzewellen, Starkregen und Stürmen kann man die sich verschärfende Klimakrise kaum noch ignorieren. Das kann auch die Meteorologie nicht, findet Özden Terli. In seinen Wettersendungen für das ZDF, aber auch in den sozialen Medien weist er regelmäßig auf die Auswirkungen der Erderhitzung hin. Und ist deshalb regelmäßig Anfeindungen ausgesetzt. Wir haben mit dem Wetterexperten gesprochen.
Özden Terli im Utopia-Interview
Utopia: Herr Terli, Sie haben sich kürzlich im sozialen Medium X (vormals Twitter) an einen „imaginären Denunzianten“ gewandt. Gemeint waren Menschen und Medien, die die Klimakrise leugnen und Sie und andere Wissenschaftler:innen systematisch angreifen. Verzweifeln Sie manchmal am Unwillen der Menschen, die Lage ernst zu nehmen?
Özden Terli: Ich verzweifle nicht unbedingt, aber ich zweifle manchmal an der Menschheit generell. Man sieht überall die gleichen Reaktionen, auch bei internationalen Kollegen, Wissenschaftlern, Journalisten und Meteorologen. Es sind zwar oft offensichtlich Bots, die auf den sozialen Medien gegen uns schießen, aber schauen Sie sich an, wie die Politiker reagieren. Wenn diese solche Aussagen übernehmen, sich hinstellen und die globale Erhitzung quasi leugnen, ist das wirklich fatal.
Utopia: Sie wehren sich in den sozialen Medien öffentlich gegen Desinformation. Wie viel Macht haben diese falschen Behauptungen und was steckt dahinter?
Terli: Das ist schwer einzuschätzen. Viele Menschen, die sich nicht äußern, stehen wahrscheinlich auf der Seite der Wissenschaft. Ich gehe aber von einer organisierten Masse aus, von regelrechten Desinformationskampagnen. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung stellte kürzlich fest, dass das Denunzieren von Wissenschaftlern Systematik hat. In den 90ern und 2000ern haben Ölfirmen versucht, bezahlte Journalisten und Wissenschaftler so zu positionieren, dass sie das Gegenteil der wissenschaftlichen Erkenntnisse kommunizieren. Das hat sich in den Köpfen verankert und das ist fatal. Die heutigen Leugner vertreten Meinungen und Behauptungen, die aus diesen Desinformationskampagnen stammen und sich sich über Jahre in der Gesellschaft gehalten haben.
Utopia: Wenn Menschen argumentieren, es war immer schon heiß und gab immer schon Unwetter – was antwortet man darauf?
Terli: Das Schöne am Wetter ist, dass wir beobachten und mitfühlen können. Doch Meteorologie ist eine Wissenschaft und die Fakten, die dahinter stecken, sind handfest. Sie basieren auf einer jahrhundertealten Physik. Der Treibhauseffekt wurde von Fourier 1824 entdeckt. Wenn man es in 200 Jahren nicht schafft, die Fakten zu verstehen, weiß ich auch nicht, was man noch machen soll. Das sind Grundlagen, die man einfach mal akzeptieren muss. Die Schwerkraft akzeptieren wir auch und stellen sie nicht in Frage.
Utopia: Das heißt, die Antwort auf Zweifler:innen oder Leugner:innen besteht in der Wiederholung von Fakten?
Terli: Klimakommunikation muss schon breiter aufgestellt sein. Aber Meteorologen erklären Fakten. Extremwetterereignisse zum Beispiel muss man faktisch erklären. Da kann ich keine Lösungen aufzeigen während einer Wettersendung. Aber wenn das Mittelmeer wärmer ist als normal und Rekordwerte zeigt, hat das mit der globalen Erhitzung zu tun und das muss man dann auch sagen und in Verbindung bringen.
Utopia: Warum sprechen nicht noch mehr prominente Meteorolog:innen diese Zusammenhänge an?
Terli: Darauf habe ich keine klare Anwort. Ich würde es mir wünschen, weil sich der Fokus dann auf mehrere Schultern verteilen würde. Vielleicht befürchten Kollegen, zur Zielscheibe zu werden. Es kann aber nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer öffentlichen Arbeit, die sie für die Gesellschaft leisten, angegriffen werden – für Fakten, die unumstößlich sind. Das ist ein absolutes No-Go. Vor allem wenn bestimmte Medien sich gewissermaßen darauf spezialisieren.
„Es gibt überhaupt keinen Klimaschutz“
Utopia: Tatsache ist, dass eher konservativ oder populistisch geprägte Medien Stimmung machen gegen Klimaschutzmaßnahmen.
Terli: Ja, genau. Und dabei sind wir überhaupt nicht auf Kurs, Klimaschutz so umzusetzen wie es sein müsste. Bei der Konzentration von Treibhausgasen gibt es keinen Einbruch, sie steigt immer weiter an. Das bedeutet, jegliche Maßnahmen, die ergriffen wurde, haben bisher absolut keinen Effekt gehabt. Man kann deshalb nicht sagen, man habe schon Klimaschutz gemacht und das würde zu viel kosten. Es gibt überhaupt keinen Klimaschutz.
Dieses Dennoch-dagegen-sein hat Eigeninteressen zur Grundlage. Die bisherigen Strukturen haben bestimmte Menschen sehr reich gemacht und die merken, dass ihre Felle davonschwimmen und entsprechend reagieren sie auch.
Das Absurde ist, dass alle verlieren: Die Physik ist für alle gültig, auch für diejenigen, die jetzt das Weiter-so propagieren. Auch sie werden unter den Folgen leiden. Wir erleben eine systematische Veränderung unserer Lebensbedingungen, das ganze System verändert sich und es gibt keine Gewinner. Das Verschließen der Augen gegenüber dieser Problematik ist symptomatisch für unsere Gesellschaft.
Utopia: Wie bringt man die Gesellschaft dazu, dass sie aufhört, die Augen zu verschließen?
Terli: Aufklärung ist weiterhin das A und O. Unterm Strich muss Klimaschutz aber vor Gericht umgesetzt werden. Offensichtlich ist die Politik nicht in der Lage, das umzusetzen, was notwendig ist. Wir sind jetzt schon viel zu weit weg von dem, was wir erreichen müssen. Die Physik macht absolut keine Kompromisse. Entweder halten wir uns an die planetaren Grenzen oder wir gehen unter.
Utopia: Wir befinden uns folglich an einem historischen Moment?
Terli: Wir sind in einem epochalen Umbruch. Wenn Sie sich die Temperaturkurve der letzten 10.000 oder auch 20.000 Jahre anschauen, sieht man: Seit der Industrialisierung schießt die Temperatur in einem Maße nach oben, dass es weder für die Natur noch für uns Menschen irgendwie möglich ist, sich daran anzupassen.
Das hört nicht auf, solange wir nicht die Emissionen auf Null herunterfahren. Viele ignorieren diese Tatsache: Wir müssen tatsächlich alle fossilen Energieträger auf Null runterfahren. Selbst wenn wir bei 1,8 Grad stoppen, bedeutet das, dass diese 1,8 Grad für viele Hundert Generationen erhalten bleiben. 1,8 Grad sind zerstörerisch, das wird für Umwälzungen der Natur sorgen, es wird Eis schmelzen, es wird sich lokal extrem auswirken.
„Wir sehen Extremwetterereignisse schon bei 1,2 Grad. Was ist dann bei 1,5 oder 2 Grad?“
Utopia: Wie fahren wir die Emissionen auf Null runter?
Terli: Wenn man die fossilen Energieträger runterfahren will, muss man die regenerativen Energieträger massiv hochfahren. Wir müssen insgesamt versuchen, den Energieverbrauch zu senken. Wir müssen jeden Sektor anschauen: Wo kann man so schnell wie möglich etwas machen?
Wir sind jetzt bei 1,2 Grad [Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter, Anm. d. Red]. Wir sehen Extremwetterereignisse und Zerstörung schon bei 1,2 Grad. Was ist dann bei 1,5 oder 2 Grad? Die 1,5-Grad-Marke werden wir wahrscheinlich schon in den 30er-Jahren knacken.
Utopia: Werden wir dahin kommen, dass in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten ein effektiver Klimaschutz stattfindet?
Terli: Ich sehe es nicht. Trotzdem muss man weiter darauf pochen. Die Politik allein ist nicht in der Lage, es gibt zu viele Partikularinteressen und Lobbygruppen. Zu oft wird Klimaschutz mittels Stimmungsmache versucht zu verhindern. Das ist ein komplettes Politikversagen auf einer Ebene, die wirklich episch ist.
Die planetaren Grenzen sind klar. Sie basieren auf physikalischen Gesetzen und wir müssen uns anpassen. Hätten wir das vor 30 Jahren gemacht, würde die Situation jetzt nicht so krass aussehen, die nötigen Einschnitte wären nicht so groß.
Utopia: Setzen Sie Hoffnung in die junge Generation?
Terli: Wann sind diese denn in der Lage, etwas zu verändern? Die Generation, die jetzt in Verantwortung steht, kann etwas ändern. Der Begriff „Letzte Generation“ trifft schon zu: Wir sind die Generation, die Verantwortung hat für die Gegenwart und für die Zukunft. Wir können nicht darauf warten, dass irgendwelche Kinder aus dem Kindergarten rauskommen und langsam erwachsen werden. Dann ist der Zug abgefahren.
Utopia: Man spricht gerade viel darüber, dass wir uns in einer Art Dauerkrisenmodus befinden. Sie müssen ständig Krisennachrichten überbringen. Dennoch dringt man damit oft nicht durch.
Terli: Mir begegnen viele Menschen, die sagen: Man sieht jetzt permanent in den Nachrichten, was sich gerade verändert. Dass etwas passiert, was nicht in Ordnung ist, kriegen die Menschen schon mit. Wir müssen also die harten Fakten weiterhin kommunizieren.
Utopia: Wenn diese Menschen bei extremen Wetterereignissen fragen, ob das der Klimawandel ist – wie antworten Sie darauf?
Terli: Diese Frage war in den 2000ern vielleicht noch gerechtfertigt. Inzwischen ist sie überholt. Man kann klar sagen: Wir leben in einer aufgeheizten Atmosphäre. Wir leben mitten in der Klimakrise. Das müssen wir akzeptieren als eine neue Gegebenheit. Deswegen müssen wir auch damit rechnen, dass die Einschläge beim Extremwetter immer heftiger werden. Diese Tatsache wurde relativ lange ignoriert.
Inzwischen sagen wir jedes Jahr: „Dieses Jahr ist extrem“. Waldbrände in Kanada: So krass wie nie zuvor. Temperaturen im Ozean: so warm wie nie zuvor. Und so weiter. Die Formulierung „wie nie zuvor“ wird langsam zu einer Art geflügeltem Wort in der Wissenschaft. Es ist aber auch genau das, was zu erwarten ist: Es wird eben immer krasser.
Es ist besser, das so schnell wie möglich zu kapieren und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Frage ist: Wie wappne ich mich dagegen? Wir brauchen ein Risikomanagement, sonst kommt das mit Wucht und wir stehen blöd da.
Utopia: Im Moment stehen wir blöd da.
Terli: Deshalb müssen wir dieses Risikomanagement jetzt fahren. Wir müssen gucken, was in der Zukunft möglich ist. Wenn wir auf dem Weiter-so-Pfad bleiben oder die Emissionen nur ein bisschen reduzieren und nicht vollständig auf Null runterfahren, ist die Gefahr nicht gebannt. Ein bisschen Klimaschutz bringt nichts, es braucht 100 Prozent Klimaschutz, damit er wirkungsvoll ist.
Utopia: Danke für das Gespräch.
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