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Zukunftsforscher: Drei A’s entscheiden die Klimakrise

Der Zukunftsforscher Prof. Dr. Reinhardt.
Fotos: Michaela Kuhn - Licht Form Arte, Hamburg / Unsplash - Drew Beamer

Die Klimakrise ist die größte globale Herausforderung unserer Zeit. Sie greift in alle Lebensbereiche und fordert gesamtgesellschaftliche Strategien. Dazu müssen Perspektiven aus verschiedenen Bereichen gehört werden. Utopia hat deshalb dieselben fünf Fragen fünf Expert:innen gestellt. Das sind ihre Antworten.

Wie wollen wir als Gesellschaft angesichts der voranschreitenden Erderwärmung leben? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Vielmehr müssen unterschiedliche Ansichten integriert werden, um der Klimakrise gesamtgesellschaftlich zu begegnen. Utopia macht mit seinem Format 5 Fragen – 5 Expert:innen den Anfang, wenngleich es noch vieler weiterer Stimmen bedarf: Fünf Menschen aus der Zukunftsforschung, Psychotherapie, Politik, dem Aktivismus und der Migrationsforschung schildern darin ihre Sichtweisen rund um die Klimakrise.

Im ersten Teil der Serie antwortet Zukunftswissenschaftler Dr. Ulrich Reinhardt. Er ist Professor für Empirische Zukunftsforschung am Fachbereich Wirtschaft der FH-Westküste in Heide und hält eine adjunct Professur an der UNCW in den USA. Zudem ist er Wissenschaftlicher Leiter der gemeinnützigen Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg.

Utopia: Herr Reinhardt, Meldungen zu Hitze-Rekorden, Sturzfluten, Dürren – kurzum Extremwetterereignissen  – überschlagen sich in letzter Zeit. Wenn das der neue Normalzustand wird: Wie müssen wir damit umgehen?

Ulrich Reinhardt: Die aktuellen Meldungen bestätigen im Grunde das, was die Forschung bereits seit Jahrzehnten vorhersagt: Die Temperaturen nehmen zu, die Gletscher schmelzen ab, der Meeresspiegel steigt und unser Klima verändert sich zunehmend. Als Folge entstehen immer mehr Dürre und Hitzeperioden, Schneesicherheit im Winter gibt es nur noch in über 2000 Meter Höhe und überall auf der Welt häufen sich Wetterextreme.

Eine „Reset-Taste“ für diese Entwicklung gibt es nicht – die aktuelle Lage ist unsere Realität diese müssen wir realisieren, akzeptieren und entsprechend handeln. Ich würde jedoch nur ergänzend auf den Verhaltenswandel der Bürger setzen und stattdessen mehr auf Politiker und Wirtschaftsvertreter bauen. Diese sollten verstärkt Innovationen und Forschung vorantreiben. Pilotprojekte starten und fördern, sowie neue Wege ausprobieren und hierbei nicht gleich abgestraft werden, wenn ein Versuch nicht erfolgreich ist. Ich plädiere für mehr „trial and error“, eine schnelle Evaluation und mehr Kooperation miteinander. Ganz wichtig sind für mich zudem Transparenz, Aufklärung, Anreize schaffen und Investitionen in die (Umwelt-)Bildung.

„Wenn die Welt gerettet werden kann, dann von unseren Kindern“

Stichwort lebenswerte Zukunft für nachfolgende Generationen: Manche Menschen zweifeln angesichts der Klimakrise an der Sinnhaftigkeit, überhaupt noch Kinder zu bekommen. Ist das nachvollziehbar und was würden Sie ihnen sagen?

Natürlich ist es die persönliche Wahl des Einzelnen sich für oder gegen ein Kind zu entscheiden. Der Klimakrise wegen aber auf eine sonst herbeigesehnte Mutter- oder Vaterschaft zu verzichten, halte ich persönlich für falsch und klingt für mich wie aufgeben – für wen soll unsere Zukunft denn lebenswert sein, wenn nicht für unsere Kinder? Den Grundgedanken – eine Einsparung von Emissionen durch eine weniger stark steigende Geburtenrate – kann ich zwar in gewisser Weise nachvollziehen, dieser ist für mich aber keine Lösung. Wenn die Welt gerettet werden kann, dann gerade von unseren Kindern und Enkelkindern. Diese werden neue Ideen und Lösungen hervorbringen, klüger handeln und besser mit der Umwelt umgehen.

Keine andere Aktivist:innen-Gruppe polarisiert momentan so sehr wie die Letzte Generation. Sie stößt auf Zustimmung, aber auch auf breites Unverständnis. Ist die gesellschaftliche Mehrheit, die einen derartigen Klima-Protest bislang meidet, nicht empört genug? Sollte sie mehr Widerstand zeigen – und wenn ja, wie?

Im Kern verkörpert die Letzte Generation den gleichen Grundgedanken wie zahlreiche andere Aktivisten-Gruppen: Den Einsatz für den Klimaschutz. Im Gegensatz zu anderen Organisationen wie Fridays for Future, Greenpeace oder dem NABU, greift die Letzte Generation mit ihren Aktionen jedoch direkt in den Alltag der Bundesbürger ein. Die Aufmerksamkeit der Massen erreichen sie so zwar – allerdings stoßen ihre Methoden bei der großen Mehrheit der Bürger auf Unverständnis und Ablehnung. Meiner Meinung nach schaden ihre Aktionen dem Thema insgesamt mehr, als dass sie ihm nutzen.

Und ja, noch immer möchte die gesellschaftliche Mitte gerne in den Urlaub fliegen; Schneekanonen gegen Schneemangel werden akzeptiert, ein Tempolimit ist kaum umsetzbar, Erdbeeren sollen auch im Winter verfügbar sein – und viele Produkte werden gekauft statt genutzt. Jedoch bin ich auch zuversichtlich: Die Bundesbürger essen weniger Fleisch, kaufen mehr Bio, das 49-Euro-Ticket führt zu weniger Autoverkehr, es gibt mehr Gemeinschaftsgärten und Urban Gardening, Müll wird getrennt, wir wenden uns von Plastik ab, sparen Energie ein, isolieren unsere Häuser, es entstehen Solar-Radwege, E-Mobility und Smart Home sind auf dem Vormarsch und wir widmen dem Thema deutlich mehr Aufmerksamkeit als in der Vergangenheit. Hierauf sollten wir aufbauen.

„In vielen Ländern spielt das Thema eine viel geringere Rolle als hierzulande“

Was sollte uns angesichts der klimatischen Bedingungen die kommenden Jahre am meisten Sorgen machen – und was gibt uns Hoffnung?

Sorgen sollte uns die internationale Sichtweise auf den Klimawandel bereiten. In vielen Ländern spielt das Thema eine viel geringere Rolle als hierzulande. Und natürlich verstehe ich die Diskussion um Mobilität, Konsum oder Fleisch als Zeichen von Wohlstand. Es grenzt an Arroganz anderen zu sagen: „Aber einen Zweitaktmotor solltet ihr nicht fahren, eure Fleischproduktion muss Bio sein und in andere Länder zu fliegen sollt ihr bitte auch nicht.“ Gleichzeitig ist es fast egal wie viel wir in Deutschland unternehmen, wenn nicht auch international viel mehr passiert.

Hoffnung gibt mir die zunehmende Bedeutung des Themas. Fast jeder hat sie erkannt, jetzt geht es für mich um die drei A’s: Aufklärung leisten, Anreize schaffen (für Unternehmen, wie auch für die Bürger) sowie die Akzeptanz, dass Veränderungen notwendig sind. Vergessen wir nicht: Stillstand ist Rückschritt und ohne Veränderungen wird es nicht gehen.

Wenn Sie einen konkreten Klima-Wunsch an die Bundesregierung frei hätten: Welcher wäre das?

Sie soll mehr Mut bei Entscheidungen zeigen, auch auf die Gefahr hin, Fehler zu machen.

Die anderen Teile der Serie 5 Fragen – 5 Expert:innen finden sich hier

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