Rauf die Karriereleiter, aber bitte nicht mit einem Nine-to-Five-Job. Wer auf der Couch liegt, hat ohnehin schon aufgegeben. Die „Hustle Culture“ wird in den sozialen Medien gefeiert – wie kritisiert. Dabei ist der Wunsch nach mehr Freizeit allgegenwärtig, und die Konsequenz des exzessiven Strebens nach Erfolg real.
Es gibt dieses abgegriffene Sprichwort: Lebe nicht, um zu arbeiten, sondern arbeite, um zu leben. Für die einen mag das nach einem Mantra für eine gesunde Work-Life-Balance klingen; für die anderen wie Verrat am Leistungsprinzip. Schließlich verspricht dieses Prinzip, dass jeder Mensch alles werden und erreichen kann, solange er nur genügend arbeitet.
Dass das nur unter bestimmten Umständen stimmt – und etwa davon abhängt, welche Hautfarbe, welchen sozialen Hintergrund oder welches Geschlecht man hat – hat die Wissenschaft inzwischen untermauert. Trotzdem ist der „Hustle“, also das Abrackern für die eigene Karriere, voll im Trend. Zumindest auf Social Media.
Der Weg zum Erfolg? Sport, grüner Smoothie – bloß kein Nine-to-Five
Auf TikTok oder Instagram dokumentieren unzählige Menschen, darunter auch Influencer:innen, wie ihr Weg zum Erfolg aussieht. Früh morgens aufstehen, 10 Kilometer joggen, grüner Smoothie zum Frühstück und dann rauf die Karriereleiter. Nine-to-Five arbeiten? Fehlanzeige! Nach dem regulären Job ist vor der Weiterbildung, dem Sprachkurs – oder dem „Side Hustle“, also jenem Nebenjob, mit dem man sich noch zusätzliches Geld verdient. Natürlich nur, um (so suggerieren es einige Influencer:innen) parallel das eigene „Business“ aufzubauen.
Als Zuschauer:in kann da schnell der Eindruck entstehen, dass man selbst phlegmatisch, langweilig, also einfach nicht ambitioniert genug sei. Oder, dass man froh ist, ein Leben fernab dieser „Hustle Culture“ zu haben. Mit Freund:innen, der Familie, im Urlaub, auf Partys oder eben netflixschauend auf der Couch.
Umfrage 2022: Bitte mehr Freizeit!
Tatsächlich mag es sich gut anfühlen, die eigene Produktivität anhand der Häkchen auf der täglichen to-Do-Liste zu messen. Und noch immer ist es gesellschaftlich anerkannt, mit beruflichen „Meilensteinen“ und den damit verbundenen Kraftanstrengungen – Stichwort Überstunden – zu prahlen. Doch Umfragen deuten an, dass sich viele Menschen nach mehr Freizeit sehnen.
2022 kam beispielsweise die repräsentative HDI-Berufe-Studie zu dem Ergebnis, dass mehr als drei Viertel aller Arbeitnehmer:innen in Deutschland (76 Prozent) sich einen Tag weniger Arbeit pro Woche wünschen. Jede:r Vierte (24 Prozent) wäre sogar bereit, dafür auf einen Teil des Lohns zu verzichten.
Die HDI-Studie zeigt auch: Für immer mehr junge Menschen verliert der Beruf an Bedeutung. Nur noch 58 Prozent der unter 25-Jährigen gaben an, sich ein Leben ohne Beruf nicht vorstellen zu können. 2020 hatten noch 69 Prozent die Aussage bejaht.
Alles also nur Schwindel auf TikTok, obwohl dort Videoclips mit Hashtags wie #productivitytok 130 Millionen Aufrufe erreichen? So einfach ist es nicht. Die Auswirkungen der Hustle Culture seien real, insbesondere bei der Generation Z, sagt Psychologin Gabriele Bringer im Gespräch mit BuzzFeed. Bringer arbeitet mit Jugendlichen, die an Burn-out erkranken.
Menschen können an der Hustle Culture erkranken
Sie erklärt: „Wenn sich junge Menschen untereinander messen, kann das bedeuten, dass sie sich gegenseitig fördern.“ Allerdings könnte der Ansporn für die einen zur Belastung für die anderen werden. Psychologin Bringer spricht konkret von einer „Gefahr“, schließlich seien junge Menschen noch auf Identitätssuche. „Sie sind deshalb schnell der Überzeugung, dass man etwas auf die eine Art machen muss und nicht anders.“ Die Folgen: Erschöpfung, Burn-out und sogar gesundheitsschädlicher Medikamentenmissbrauch, um die entsprechende Leistung zu erbringen.
Das reiche von „exzessivem Kaffeegenuss, über Nikotinpflaster bis hin zu Medikamenten, die Methylphenidat enthalten, und eigentlich für die Behandlung von ADHS eingesetzt werden“, so die Expertin.
Hustler versus die Geläuterten: Zwei Lager auf Social Media?
Scrollt man durch die sozialen Netzwerke, scheinen sich zwei Lager aufzutun: Zum einen die Arbeitstiere, die ihren Tagesablauf in eindrucksvollen Zeitraffer-Videos festhalten. Zum anderen die Geläuterten, die über ihr Unglück mit zu viel Leistungsdruck und Arbeit berichten – und dabei in Frage stellen, warum Erfolg oft ausschließlich durch den Beruf definiert wird. Kann ein erfolgreiches Leben nicht auch bedeuten, verlässliche Freund:innen zu haben, die einem mit Rat und Tat zur Seite stehen?
Psychologin Bringer appelliert dafür, sich ganz bewusst Auszeiten zu nehmen. Das heißt vereinfacht gesagt: Dinge zu tun, die sich gut anfühlen. Das kann, muss aber nicht, Bewegung sein. Wichtig sei, dass sich kein Stress einschleicht – etwa, indem man sich das Ziel setzt, eine bestimmte Schrittzahl zu erreichen. Auf die Bedürfnisse des Körpers zu hören, sei wichtig. Auch einen handyfreien Tag (Stichwort „Digital Detox“) können Betroffene ausprobieren. Eine weitere Option ist es, sich professionelle Hilfe zu holen.
Hinweis: Wenn auch du das Gefühl hast, gefährdet zu sein oder an einem Burnout zu leiden, dann nutze entsprechende Hilfsangebote oder wende dich an eine:n Therapeut:in. Wenn du dich betroffen fühlst, wende dich an die Telefonseelsorge online oder unter Tel. 0800 / 111 0 111, 0800 / 111 0 222 oder 116123. Auch die Deutsche Depressionshilfe unter Tel. 0800 / 33 44 533 hilft. In Notfällen kontaktiere bitte die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter 112.
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