Sie sind intelligente, wissbegierige und verletzliche Einzelgänger: die Kraken. Daher bedeutet das Leben in einer Aquakultur eine Menge Stress für die Tiere. Trotzdem sollen ab 2023 3.000 Tonnen Krakenfleisch auf Gran Canaria produziert werden. Protest kommt von Tierschützer:innen.
Kraken gelten als intelligent und zurückgezogen: Sie wurden unter anderem beobachtet, wie sie Kokosnüsse und Muscheln dazu benutzten sich zu verstecken und zu verteidigen. Einfache Aufgaben können die Tiere schnell erfassen oder sich allein aus Aquarien befreien. Und genau wie wir Menschen haben Oktopusse Zu- und Abneigungen gegenüber Artgenossen. Das macht es schwer, Kraken zu halten und sie in Gefangenschaft zu vermehren.
Dennoch ist es dem spanische Unternehmen Nueva Pescanova (NP) erstmals gelungen, Oktopusse über mehrere Generationen in einer eigenen Aquakultur zu züchten. Gemeinsam mit dem spanischen Ozeanographischen Institut (Instituto Español de Oceanografía) hat NP Forschungen durchgeführt und sich mit den Brutgewohnheiten von Kraken befasst. Im Forschungszentrum wird momentan an einer fünften Oktopus-Generation gearbeitet, die in dem Zentrum geboren wurde. Bei der Forschung soll es aber nicht bleiben.
Kraken in Aquakulturen: Können so die Wildfischbestände entlastet werden?
In diesem Jahr möchte NP den ersten gezüchteten Tintenfisch vermarkten. Außerdem kündigte das Unternehmen an, in der Nähe des Hafens von Las Palmas auf der kanarischen Insel Gran Canaria ab 2023 pro Jahr 3.000 Tonnen Oktopusfleisch zu produzieren. Das Unternehmen argumentiert, dass durch die Massentierhaltung die Zahl der Wildfänge reduziert werden könnte. Schätzungsweise werden jährlich 350.000 Tonnen Kraken gefangen und zu Speisen verarbeitet. Laut NP könnten durch Aquakulturen zehn Prozent weniger freilebende Tiere gefangen werden und der Druck auf wildlebende Populationen nachlassen.
Biolog:innen und Tierschützer:innen warnen stattdessen davor, dass sich der Druck auf die Wildfischbestände durch Aquakulturen noch verstärken könnte. Oktopusse sind Fleischfresser und müssen das Zwei- bis Dreifache ihres Eigengewichts an Nahrung zu sich nehmen. Bereits jetzt wird circa ein Drittel der Fischfangmengen an Tiere verfüttert – etwa die Hälfte davon lebt in Aquakulturen.
Haltungsbedingungen der Kraken in Aquakultur
Kritiker:innen zufolge ist es auch gar nicht so leicht, Kraken in Aquakulturen überhaupt annährend artgerecht zu halten. Sie gehen von großer Qual für diese klugen und empfindlichen Kreaturen aus. 2021 wurden Oktopusse (neben anderen Meerestieren) in Großbritannien beispielsweise offiziell als fühlende Lebewesen anerkannt.
In einem Bericht „Octopus factory farming: a recipe for disaster“ von Compassion in World Farming (CIWF) zählt die Tierschutzorganisation acht Gründe auf, warum es keine gute Idee ist, Kraken in Aquakulturen zu halten:
- Oktopusse sind von Natur aus Einzelgänger.
- Sie sind sehr wissbegierig und intelligent.
- Ihre fleischfressende Ernährungsweise wäre in einem landwirtschaftlichen Rahmen nicht tragbar.
- Es ist wenig bekannt über ihre komplexen Bedürfnisse und über ihr Leiden in Gefangenschaft.
- Sie sind empfindliche Lebewesen, die leicht verletzt werden können.
- Derzeit gibt es keine wissenschaftlich abgesicherte Methode für die humane Schlachtung von Tintenfischen.
- Es gibt aktuell keine Rechtsvorschriften, um das Wohlergehen gezüchteter Tintenfische zu schützen.
- Es ist unvereinbar mit den strategischen Leitlinien der EU für die Aquakultur (SAG).
Die britische Rundfunk- und Fernsehanstalt BBC fragte mehrfach beim Unternehmen nach den Haltungsbedingungen der Tintenfische – nach der Größe des Tanks, dem Futter und wie sie getötet werden. Doch NP gibt darüber keine Auskunft.
Wissenschaftler:innen warnen vor ernsten Folgen
Es gibt viele Fürsperecher:innen für Kraken, zum Beispiel Dr. Becca Frank, die gemeinsam mit ihren Kolleg:innen zu den Meerestieren forscht und untersucht, welche Auswirkungen die Massentierhaltung auf die empfindlichen Tiere hätte. Frank geht davon aus, dass es im Rahmen der Haltung auf engem Raum zu Kannibalisierung unter den Oktopussen käme. Zudem haben die Tiere komplexe kognitive Eigenschaften und sie sind offensichtlich in der Lage Schmerz und Leid zu spüren. Abgesehen davon sind die einzelgängerischen Lebewesen laut Frank „bekannte Entfesselungskünstler“, was darauf hindeutet, dass sie sich nicht gerne einsperren lassen.
Alexandra Schnell, die mit Kolleg:innen der London School of Economics einen Bericht über mehr als 300 Studien zu wirbellosen Tieren verfasste, spricht davon, dass Kraken Stimulation brauchen. Hielte man diese in einem kargen Plastiktank, würden die Tiere sich extrem ausgeliefert fühlen, so Schnell.
Auch die Wissenschaftlerin Frank und ihr Team sprechen sich ausdrücklich gegen die Haltung von Oktopussen in Farmen aus. In einem gemeinschaftlichen Statement appellieren die Forscher:innen, dass Regierungen, private Unternehmen und akademische Einrichtungen die Erforschung von Oktopus-Farmen einstellen und sich stattdessen auf eine wirklich nachhaltige und mitfühlende Zukunft der Nahrungsmittelproduktion konzentrieren.
Utopia meint: Wer sich selbst ein Bild von den besonderen Eigenschaften der Kraken machen möchte, dem oder der können wir die Dokumentation „My Octopus Teacher“ (Mein Lehrer, der Krake) auf Netflix empfehlen. Diese zeigt die außergewöhnliche Bindung eines Oktopus-Weibchens zu dem Taucher und Dokumentarfilmer Craig Foster.
Es gilt zudem: Nicht nur bei Kraken sollten Aquakulturen und Massentierhaltung vermieden werden. Denn auch Fische, Hühner, Rinder und Schweine leiden unter den Haltungsbedingungen in der Massentierhaltung. Fisch und Fleisch sollte – wenn überhaupt – nur selten gegessen werden und wenn dann nur aus zertifiziertem Wildfang oder mit Bio-Siegel.
Übrigens: Es geht auch ohne Fisch und es gibt inzwischen viele leckere Alternativen zu Fisch, die du stattdessen in deinen Speiseplan aufnehmen kannst.
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