In der aktuellen Krise werden bestimmte Nahrungsmittel teurer. Gleichzeitig werden jedes Jahr Lebensmittel verschwendet. Die Zahl in der Primärproduktion ist sehr wahrscheinlich höher als vom Landwirtschaftsministerium erfasst.
Steigende Lebensmittelpreise beschäftigen derzeit die Bürger:innen in Deutschland. Aufgrund des Kriegs in der Ukraine werden bestimmte Produkte teurer und knapp. Parallel dazu spielt sich jedes Jahr eine andere Entwicklung ab: Die Verschwendung von Lebensmitteln.
Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) entstehen jedes Jahr 12 Millionen Tonnen Lebensmittel, die gar nicht erst auf den Tellern der Menschen landen. Das BMEL bezieht sich dabei auf eine Studie des Johann Heinrich von Thünen-Instituts aus dem Jahr 2019, das im Auftrag des Bundesinnenministeriums und gemeinsam mit der Universität Stuttgart entstand.
Aufgeschlüsselt nach Bereichen der Wertschöpfungskette entfallen laut der Studie rund 1,4 Millionen Tonnen – das entspricht 12 Prozent des Mülls – auf die Primärproduktion. Das heißt: Die Lebensmittelverschwendung fängt direkt auf den Feldern an, noch bevor das Produkt die Konsument:innen in den Supermärkten erreicht.
Kritik an mangelhafter Datenlage
Jedoch ist diese Einschätzung laut der Deutschen Umwelthilfe (DUH) wahrscheinlich unzureichend. Auch, weil die Daten der Studie aus dem Jahr 2015 stammen. Die DUH sagt: Jedes Jahr werden in Deutschland zehn Mal so viele Lebensmittel in der Primärproduktion verschwendet – nämlich 16,6 Millionen Tonnen.
Grundlage bildet der Bericht „Driven to Waste“ des World Wide Fund For Nature (WWF) aus dem Jahr 2021, wie die DUH auf Nachfrage von Utopia mitteilt. Das WWF-Dokument legt dar, dass in Europa jährlich 150 Millionen Tonnen Lebensmittel in der Landwirtschaft verschwendet werden.
Geht man davon aus, dass die Pro-Kopf-Verschwendung gleichmäßig verteilt ist, und ungefähr 11 Prozent der europäischen Bevölkerung in Deutschland leben (Anteil der 83 Millionen Menschen an 747 Millionen des gesamten Kontinents, nicht nur EU), sind es 16,6 Millionen Tonnen Abfall in der deutschen Landwirtschaft.
Zwar handelt es sich hierbei um eine Annäherung, allerdings stellt die DUH fest, dass die Datengrundlage des WWF-Berichts „besser“ sei – unter anderem, weil Ernteverluste berücksichtigt werden und nicht nur Nachernteverluste, wie es in der Studie des BMEL der Fall ist. „Es ist die Aufgabe der Politik mit einer besseren Datenlage nachzuliefern“, erklärt die DUH gegenüber Utopia.
Unzureichende Definition von Lebensmittelabfällen
Von Nachernteverlusten ist bei Lebensmitteleinbußen die Rede, die bei pflanzlichen Erzeugnissen nach der Ernte beispielsweise bei Transport, der Lagerung oder der Erstbehandlung entstehen. Unter Ernteverlusten versteht man Verluste, die beim Wachsen oder der Aufzucht entstehen. Bei pflanzlichen Produkten handelt es sich oft um mechanische Beschädigungen oder Ware, die wegen ästhetischer Makel aussortiert wird. Ernteverluste tierischer Produkte können beispielsweise zerbrochene Eier oder verschüttete Milch sein.
Tiere, die noch vor ihrer Schlachtung sterben – etwa weil sie tot geboren werden oder im Stall verenden – fließen bislang nicht in die BMEL-Statistik ein. In der Studie des Johann Heinrich von Thünen-Instituts heißt es dazu: „Verlustmengen, die während der Ernte landwirtschaftlicher Rohstoffe und der Aufzucht von Tieren entstehen“ seien „nicht als Lebensmittelabfälle zu bewerten“. Als Grund dafür wird die gesetzliche Definition von Lebensmittelabfällen der EU genannt.
„Es geht um lebenswichtige Ressourcen, Tierleben und das Klima“
Die DUH fordert deshalb Regelungen, die die Verschwendung von Lebensmitteln bereits auf dem Acker und im Stall stoppen. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Die Bundesregierung muss endlich die Augen aufmachen und anerkennen, dass der Großteil der gesamten Lebensmittelverschwendung bereits während der Produktion entsteht. Wir fordern deshalb von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir Transparenz und Taten: Wir brauchen eine ehrliche Erfassung der Verschwendung und dringend gesetzliche Regelungen. Nur wenn Verluste ehrlich erfasst und als Verschwendung definiert werden, lassen sie sich wirksam reduzieren.“ Laut Müller-Kraenner gehe es um mehr als ausschließlich Essen: „Es geht um lebenswichtige Ressourcen, Tierleben, die Natur, unsere Böden, unser Grundwasser und das Klima.“
Gemeinsam mit Foodsharing hat die DUH deshalb eine Online-Petition gestartet. Du findest sie hier.
Utopia meint: Unsere Lebensmittelverschwendung ist enorm. Da die Wertschöpfungskette nicht erst im Supermarkt anfängt, müssen Wege gefunden werden, diese Verschwendung in allen Sektoren zu minimieren. Das fängt schon bei einer genauen Datenerhebung an, wie die DUH zu recht das BMEL kritisiert. Laut der aktuellen BMEL-Statistik entstehen mehr als 50 Prozent der Lebensmittelabfälle in Deutschland in privaten Haushalten. Auch wenn die Politik unter anderem mit mehr Transparenz und Regeln zur Vermeidung von Überproduktion nachziehen sollte, kannst auch du in deinem Alltag dazu beitragen, diese Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Wie dir das gelingt, erfährst du hier: Lebensmittelverschwendung: 10 Tipps für weniger Essen im Müll
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