„Wir senken die Stromsteuer radikal“, sagt die Bundesregierung. Doch das Strompreispaket gilt nur für bestimmte Unternehmen, Kritiker:innen fürchten um den Klimaschutz. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Nach monatelanger Diskussion verständigt sich die Ampel-Koalition auf Strompreis-Entlastungen für das produzierende Gewerbe. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der die Details mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vereinbart hat, findet starke Worte: „Die Bundesregierung entlastet das produzierende Gewerbe massiv bei den Stromkosten“, erklärt er am Donnerstag. „Wir senken die Stromsteuer radikal.“ Hinzu kommen weitere Maßnahmen. Allein im nächsten Jahr bedeute das eine Unterstützung von bis zu zwölf Milliarden Euro. Doch wirklich neu ist längst nicht alles an dem Paket – und Kritiker:innen fürchten um den Klimaschutz und die Energiewende.
Strompreise: Was ist eigentlich das Problem?
Unternehmen aus allen Branchen klagen über hohe Strompreise. Verschärft hat sich das seit dem Ukraine-Krieg und der darauf folgenden Energiepreiskrise. Zuletzt dachten große Konzerne mit hohem Strombedarf laut darüber nach, Produktionsstandorte in Länder mit niedrigeren Preisen zu verlagern.
Tatsächlich ist der Strompreis in Deutschland höher als in vielen anderen Ländern. Das liegt an Steuern und dem CO2-Preis, aber auch daran, dass Deutschland kaum Öl- und Gasvorkommen hat und Erneuerbare weniger abwerfen als anderswo. Nach Daten der internationalen Energieagentur zahlt die Industrie in Deutschland fast dreimal so viel pro Megawattstunde wie in den USA oder Kanada. In der EU liegt Deutschland im Mittelfeld.
Was will die Bundesregierung konkret dagegen tun?
Das Strompreispaket hat mehrere Teile. Neben einem bereits beschlossenen Zuschuss zu den Netzentgelten, die Teil des Strompreises sind, soll die Stromsteuer für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes auf den in der EU zulässigen Mindestwert gesenkt werden. Sie fällt damit vom derzeitigen reduzierten Satz von 1,537 Cent pro Kilowattstunde auf 0,05 Cent pro Kilowattstunde. Davon profitieren nicht nur Großkonzerne, sondern auch der Mittelstand. Der bisherige Spitzenausgleich, über den energieintensive Unternehmen sich einen Großteil ihrer abgeführten Stromsteuer zurückerstatten lassen können, soll im Gegenzug auslaufen.
Die sogenannte Strompreiskompensation, die rund 350 Unternehmen von Kosten durch den EU-Emissionshandel entlastet, soll für fünf Jahre verlängert und zudem ausgeweitet werden, indem der bisherige Selbstbehalt gestrichen wird. Eine Extra-Entlastung für rund 90 besonders stromintensive Unternehmen („Super-Cap“) soll ebenfalls ausgeweitet werden.
Die IG Metall wies darauf hin, dass das Paket kaum zusätzliche Entlastungen bringt. „Ein Teil des Pakets verlängert schlicht bestehende Maßnahmen wie Strompreiskompensation und Super-Cap oder gleicht bereits beschlossene Verschlechterungen wieder aus“, so die Gewerkschaft. „So kompensiert die geplante Reduzierung der Stromsteuer den Wegfall des Spitzenausgleichs. Mit diesen Maßnahmen werden keine Verbesserungen erzielt, aber weitere Verschlechterungen verhindert.“
Was bedeutet das für den Strompreis?
Für die am stärksten entlasteten Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe rechnet man im Wirtschaftsministerium für das kommende Jahr mit einem Strompreis von sechs Cent pro Kilowattstunde. Das könnte zum Beispiel Unternehmen der Stahl- und Zementindustrie betreffen. Die Industriegewerkschaft IGBCE zweifelt allerdings an dieser Prognose.
Wer geht leer aus?
Das Paket der Bundesregierung richtet sich gezielt an das produzierende Gewerbe – nicht an Handel, Dienstleistungsbranche oder gar Verbraucher:innen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks warnte, viele energieintensive Branchen fielen damit durchs Raster. Zum Beispiel gehörten Textilreinigungen und Betriebe des Kfz-Handwerks formal nicht zum produzierenden Gewerbe. Der Branchenverband der Energie- und Wasserwirtschaft argumentierte ähnlich: „Es wäre konsequenter gewesen, die Stromsteuer-Senkung nicht allein auf das produzierende Gewerbe zu beschränken“, erklärte er. „So würden auch umweltfreundliche Technologien wie beispielsweise die Elektromobilität wettbewerbsfähiger gegenüber fossilen Energieträgern wie Heizöl, Benzin oder Diesel.“
Wie soll das Paket finanziert werden?
Das Geld soll aus drei verschiedenen Töpfen kommen. Die 2,75 Milliarden für die Senkung der Stromsteuer müssen aus dem normalen Bundeshaushalt finanziert werden. Damit kommt die Bundesregierung gerade noch rechtzeitig, denn nächsten Donnerstag zurrt der Haushaltsausschuss im Bundestag den Etat für 2024 fest. Finanzminister Lindner sieht zwar eigentlich wenig Spielraum. Die jüngste Steuerschätzung brachte aber 2,3 zusätzliche Milliarden, außerdem darf der Bund wegen der schwachen Konjunktur etwas mehr Schulden machen als bisher geplant. Deshalb sei es machbar. „Alle Maßnahmen sind im Rahmen der Schuldenbremse finanziert„, betonte Lindner.
Die Änderung bei der Strompreiskompensation betrifft den Klima- und Transformationsfonds, der neben dem Bundeshaushalt besonders für Klimaschutz-Ausgaben existiert. Er gilt eigentlich als längst überzeichnet, weil die Bundesregierung immer neue Programme in den Fonds schiebt. Doch für gewöhnlich fließen längst nicht alle vorgesehenen Mittel ab. Der Zuschuss zu den Netzentgelten kommt aus einem weiteren Neben-Fonds, dem gut gefüllten Wirtschaftsstabilisierungsfonds.
Ist das alles schon beschlossen?
Nein, bisher ist es nur eine Einigung von Kanzleramt, Wirtschafts- und Finanzministerium. Die Senkung der Stromsteuer muss vom Finanzministerium jetzt in ein Gesetz gegossen werden, das dann in den Bundestag geht. Viel Zeit für das übliche parlamentarische Verfahren gibt es nicht, denn die Entlastung soll schon 2024 greifen.
Warum sollten Unternehmen jetzt noch Energie sparen?
Diese Fragen wirft die Umweltschutzorganisation Greenpeace auf. „Die heute beschlossenen Maßnahmen untergraben Anreize, den Energieverbrauch und Emissionen zu senken“, bemängelte Energieexperte Bastian Neuwirth. „Um den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft voranzutreiben, sollte sie lieber gezielt Unternehmen dabei unterstützen, auf energieeffiziente Produktionsverfahren mit erneuerbaren Energien umzusteigen.“
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher sprach von einem schwerwiegenden Fehler. „Die Entscheidung der Bundesregierung wird Deindustrialisierung in Deutschland beschleunigen und nicht verlangsamen. Es werden dadurch alte Strukturen zementiert, neue Ideen und Innovation werden gebremst und mehr gute Arbeitsplätze werden verloren gehen.“ Das Erreichen der Klimaziele für 2030 werde noch unwahrscheinlicher.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie kritisierte die Fortsetzung der Strompreiskompensation. „Unternehmen, die sich bisher nicht für den Umstieg auf Erneuerbare Energien engagiert haben, werden zusätzlich entlastet. Unternehmen, die den Umstieg auf Erneuerbare bereits vollzogen haben oder derzeit vollziehen, gehen leer aus. Das sendet ein völlig falsches Zeichen.“
Um das Thema wurde in Politik und Wirtschaft monatelang gestritten. Wer hat sich durchgesetzt?
Auf den ersten Blick hat sich Lindner durchgesetzt, der eine Senkung der Stromsteuer zur Entlastung der Industrie ins Gespräch brachte – ausdrücklich in Abgrenzung zu Habecks Idee eines mit Staatsgeld subventionierten Strompreises für die energieintensive Industrie. Auch Scholz hatte stets wenig Lust auf einen solchen Industriestrompreis erkennen lassen.
Auf den zweiten Blick ist die Sache weniger klar. Dass es überhaupt zu Entlastungen für Teile der Industrie kommt, dürfte am Ende dem Drängen Habecks zu verdanken sein, irgendwann auch flankiert von der SPD-Fraktion.
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