Wieso bucht jemand einen Langstreckenflug und geht gleichzeitig auf Demonstrationen für mehr Klimaschutz? Ein Verhaltensökonom sagt: Weil Menschen besonders gut darin sind, sich selbst zu täuschen — und weil niemand perfekt ist.
Florian Zimmermann ist Verhaltensökonom an der Universität in Bonn. Seine Fachrichtung untersucht die Gründe für menschliches Handeln und unter welchen Annahmen diese zustandekommen. In Zeiten der Klimakrise und gesellschaftlichen Veränderungen, die daraus folgen, kann die Verhaltensökonomie wichtige Beiträge leisten. In einem Interview mit der Welt erklärt Zimmermann, welche psychologischen Prozesse sich hinter menschlichem Verhalten verbergen – und warum diese nicht zwangsläufig logisch oder rational sein müssen.
Niemand ist frei von Fehlern
Zuletzt stand die Protestgruppe Letzte Generation in der Kritik, als bekannt wurde, dass einer der Klimaaktivisten bei einem Gerichtstermin nicht erschien ist – weil er per Langstreckenflug nach Asien gereist war (Utopia.de berichtete). Derartige Flüge, so die Kritiker:innen, sind für ihre umweltschädliche Wirkung bekannt; das Handeln des Aktivisten daher Ausdruck von Doppelmoral.
Laut Zimmermann spiegelt diese scharfe Kritik eine Erkenntnis aus der Verhaltensökonomie wider: Doppelmoral wiegt für Menschen schwerer, als jemand der sich konsistent unmoralisch verhält. „Doppelmoral ist in der Wahrnehmung von Menschen sehr schlimm“, so Zimmermann.
Die eigentliche Handlung schätzt Zimmermann dabei weniger kritisch ein. Im Interview erklärt der Experte, dass sich fast niemand immer moralisch einwandfrei verhalte. Moralische Perfektion in menschlichem Handeln zu finden sei hingegen ein äußerst seltener Fall. Er argumentiert, dass nicht nur Aktivist:innen voller Widersprüche leben, sondern jede:r Einzelne. „Wünsche, die zulasten der Gesellschaft gehen, wie zum Beispiel eine Fernreise, haben viele Menschen. Und man darf auch dann für etwas demonstrieren, wenn man selbst nicht frei von Fehlern ist“.
„Menschen sind gut darin, sich selbst zu täuschen“
Wieso Menschen wider besseren Wissens trotzdem unmoralisch handeln, erklärt Zimmermann derweil durch ein anderes Phänomen aus der Verhaltensökonomie: „Wir wissen aus der Forschung, wie gut Menschen darin sind, sich selbst zu täuschen„.
Demnach ist es für das menschliche Wohlbefinden wichtig, die eigenen Handlungen verständlich zu machen. Sich eine Handlung selbst zu erklären, indem man eine Entschuldigung oder Rechtfertigung zurecht legt, verhindert kognitive Dissonanzen. Damit ist das unangenehme Gefühl gemeint, das Personen haben, wenn sie etwa widersprüchlich handeln. Dieser Prozess findet größtenteils unbewusst statt.
„Wir wollen über uns denken, dass wir uns grundsätzlich moralisch positiv verhalten“, fasst Zimmermann zusammen. Das kann sich im Alltag dann darin äußern, den CO2-intensiven Langstreckenflug damit zu rechtfertigen, dass man ohnehin so wenig fliegen würde.
„Kooperation gelingt, wenn andere auch kooperieren“
Der Verhaltensökonom ist der Überzeugung, dass es im Kern gesellschaftlicher Debatten um mehr Klimaschutz um ein Kooperationsproblem geht: Das Problem, dass nachhaltige Alternativen häufig teurer sind, als die klimaschädlichere Option. Und Menschen daher abwägen, ob sie die ersten sein wollen, ein entsprechendes Opfer zu bringen.
Konkret heißt das Zimmermann zufolge: Jede:r wisse, dass es besser für die Gesellschaft wäre, wenn alle CO2 einsparen. Doch solange die individuellen Vorteile bei klimaschädlicheren Optionen überwiegen, könne man schwer erwarten, dass Menschen klimafreundliche Optionen wählen.
Auch lesenswert: Nach Zeit-Recherche: Ist CO2-Kompensation noch sinnvoll?
Wie können Menschen dennoch motiviert werden?
Um Menschen dennoch zum nachhaltigerem Handeln zu bewegen, bedarf es laut Zimmermann Vorbilder: „Wir wissen aus der Kooperationsforschung, dass Menschen dann bereit sind zu kooperieren, wenn andere auch kooperieren“, so der Experte. Außerdem wisse man, dass „sehr viele Menschen an sich bereit wären, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen“.
Ein wichtiger Schritt um Kooperation zu ermöglichen, ist laut Zimmermann Transparenz. Wer beim Einkaufen klar erkenne, welche Option die klimafreundlichere ist, kann leichter entscheiden. Den Vorwurf, der Bevormundung kann er dabei nicht nachvollziehen. Selbst wenn auf Fleischprodukten Schockbilder abgedruckt würden, bliebe die Kauf-Entscheidung immer noch bei den Käufer:innen, so Zimmermann. Beim Klimaschutz sei es schließlich zumutbar, dass Menschen eine informierte Kaufentscheidung träfen.
** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.War dieser Artikel interessant?