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Kognitive Dissonanz: Das hat sie mit Nachhaltigkeit zu tun

kognitive dissonanz
Foto: CC0 / Pixabay / mohamed_hassan

Kognitive Dissonanz bezeichnet das unangenehme Gefühl, wenn du deine Vorstellungen und dein Handeln nicht unter einen Hut bekommst. Wir erklären dir, wie du dagegen vorgehen kannst.

Der Begriff „kognitive Dissonanz“ geht auf den amerikanischen Sozialpsychologen Leon Festinger zurück. Festinger schleuste sich 1954 in eine Sekte in Wisconsin ein, um undercover herauszufinden, wie diese Menschen mit dem Widerspruch zwischen Glauben und reellem Handeln umgingen. Daraufhin entwickelte er die Dissonanztheorie.

Wer sich mit diesem Phänomen vertraut macht, kann viel dabei lernen. Das Wissen darüber hilft, sich eigene Verhaltensmuster bewusst zu machen und zu durchschauen. Gerade beim Streben nach einem nachhaltigen Leben äußert sich die kognitive Dissonanz aber auch mal durch Schmerz und Verzweiflung. Menschen, die sehr perfektionistisch sind und hohe Werte haben, leiden besonders darunter. Wie können wir damit umgehen?

Kognitive Dissonanz: Was ist das?

Der Mensch hat ein natürliches Bestreben nach innerer Harmonie.
Der Mensch hat ein natürliches Bestreben nach innerer Harmonie.
(Foto: CC0 / Pixabay / StockSnap)

Kognitive Dissonanz (auch Dissonanztheorie) ist ein unangenehmer Gemütszustand, bei dem unser Verhalten mit unseren Werten nicht vereinbar ist. Kognitiv bedeutet „das Denken betreffend“. Dissonanz kann man mit dem Wort „Uneinigkeit“ gleichsetzen. In der Psychologie heißt es, dass kognitive Dissonanz für uns aversiv ist – das heißt, wir empfinden sie als unangenehm. Zu unserer inneren Überzeugung und unseren Vorstellungen stoßen neue Erkenntnisse hinzu, die mit den bisherigen Auffassungen nicht zusammenpassen. Das erzeugt Widersprüche. 

Zur Dissonanztheorie zählt auch, dass jeder Mensch danach strebt, diese schmerzvollen inneren Widersprüche aufzulösen. Wir können ein Ungleichgewicht in unserem inneren Glaubenssystem nicht einfach so akzeptieren. Das führt dazu, dass Betroffene versuchen, sich dafür zu rechtfertigen. Sie bemühen sich, ihre Einstellung ihrem Verhalten anzupassen. Entweder werten sie die Gewichtigkeit eines Themas ab oder ändern ihre Einstellung dazu sogar komplett, sodass der innere Frieden wieder hergestellt ist.

Kognitive Dissonanz: Beispiele und Strategien der Dissonanzreduktion

Ein typisches Beipiel zur Veranschaulichung ist die kognitive Dissonanz bei Raucher:innen. Einerseits haben sie meist die Einstellung „Ich rauche gern, es entspannt mich“. Andererseits wissen sie über die gesundheitsschädigende Wirkung Bescheid. Die Diskrepanz zwischen beiden Gedanken können Raucher:innen lösen, indem sie sich beispielsweise sagen: „Ich fühle mich super, es wird schon keinen Einfluss auf mich haben. Der Nachbar von nebenan hat sein ganzes Leben lang geraucht und ist 93 Jahre alt geworden“. Vielen fällt es schwer, einfach so mit dem Rauchen aufzuhören.

Solche Strategien der Dissonanzreduktion sind vielfältig. Ein charakteristischer Mechanismus der kognitiven Dissonanz kommt vor allem nach gefällten Entscheidungen zum Tragen. In so einer Situation können dich Gedanken der Unsicherheit quälen, ob die Entscheidung richtig war oder nicht. Um diese Gedanken zu überwinden, rückst du die Vorteile der gewählten und die Nachteile der nicht gewählten Option in den Vordergrund.

Es gibt aber nicht nur Strategien, die den Weg des geringsten Widerstands gehen, um die Dissonanz auszugleichen. Sie können auch positiv sein – wenn sie dich dazu bewegen, dein Verhalten in die richtige Richtung zu verändern. Zum Beispiel, wenn die kognitive Dissonanz dich dazu bewegt, Sport zu treiben oder mit dem Rauchen aufzuhören. Laut GEO glauben Forscher:innen auf Grundlage von Versuchen, dass Taktiken der Dissonanzreduktion wichtig für unsere Selbstachtung sind. Sie sollen uns auch gesund halten, da sie uns vor zu viel Stress schützen, den kognitive Dissonanz auslösen kann. 

Kognitive Dissonanz in Bezug auf Nachhaltigkeit

Kognitive Dissonanzen beim Einkaufen sind alltäglich
Kognitive Dissonanzen beim Einkaufen sind alltäglich
(Foto: CC0 / Pixabay / pascalkoenig)

Du kannst mit dir selbst die folgende Übung machen: Gehe alle Bereiche deines Lebens in Bezug auf Nachhaltigkeit durch – also Mobilität, Ernährung, Wohnen, Konsum und so weiter. Wo kommt ein schlechtes Gewissen auf und welche Ausreden hast du automatisch parat, um die Problematik abzuschwächen? Es kommt natürlich dabei darauf an, welches Wissen du über verschiedene Dinge hast und was für Werte du vertrittst.

Nachhaltigkeit und kognitive Dissonanzen gehören sehr eng zusammen. Das liegt an der Schwierigkeit, dass für den Kampf gegen die Klimakrise sehr viel und sehr schnelle Veränderung notwendig ist. Hinzu kommen strukturelle Gründe, wie zum Beispiel der mangelnde öffentliche Verkehr in ländlichen Gegenden. Der macht es nicht einfach, auf das Auto zu verzichten. Immer wieder kommen wir damit in innere Konflikte, weil wir nicht so nachhaltig leben, wie wir müssten. Weitere Beispiele für kognitive Dissonanzen (und Reduktionsgedanken) und Nachhaltigkeit:

  • Fliegen hat einen hohen CO2-Abdruck, aber du möchtest gern (wieder) die Erfahrung einer weiten Reise machen. Außerdem ist einmal doch in Ordnung, oder?
  • Am nachhaltigsten wäre es, nur biologische, regionale und saisonale Lebensmittel zu kaufen. Aber es ist schwierig, auf die Avocados und Tomaten im Winter zu verzichten. Gesundes, vielfältiges Essen ist doch auch wichtig.
  • Du bist unterwegs und hast plötzlich großen Hunger auf eine warme Mahlzeit. Anstatt dir später etwas zu Hause zu kochen, muss es jetzt einmal das plastikverpackte Fast Food sein.
  • Faire Mode ist kostspielig, auch wenn sie die bessere Wahl wäre.
  • Jede Woche produzierst du viel Plastikmüll. Das macht dich traurig, aber du weißt nicht wie du es ändern sollst. Leider gibt es keinen Unverpacktladen bei dir um die Ecke.
  • Der menschengemachte Klimawandel ist unsagbar schlimm. Aber wie viel kannst du als einzelner Mensch schon ausrichten? Wieviel ist denn eigentlich wirklich menschengemacht davon? Kannst du das wirklich wissen?
  • Du fährst schon sehr viel Fahrrad, trennst Müll, kaufst plastikfreie Hygieneartikel und so weiter. Dann ist es auch nicht so schlimm, ein paar neue Sachen über das Internet zu bestellen, oder?

Die Masse an Dingen, die wir verändern müssen, können erschlagend sein. Auch, wenn du schon viel tut und dir Mühe gibt, dich einschränkst – es scheint nie genug zu sein. Die Umweltpsychologin Karen Hamann von der Universität Koblenz-Landau sagt in einem Interview dazu: „Generell gilt: Wir sollten uns in der Umweltkommunikation bewusst sein, dass Informationen über den Zustand der jetzigen Welt Schmerz auslösen, und deshalb Menschen damit nicht allein stehen lassen“. Sie wünscht sich Räume, in denen wir lernen können, mit diesem Schmerz umzugehen und Motivation fürs Handeln zu entwickeln. Wir brauchen einen anderen Umgang mit unseren kognitiven Dissonanzen.

Der Umgang mit kognitiver Dissonanz

Manchmal braucht man einfach mal Abstand.
Manchmal braucht man einfach mal Abstand.
(Foto: CC0 / Pixabay / ZigmarsBerzins)

Kognitive Dissonanzen sind normal und alltäglich. Wir werden sie nicht immer auf die beste Art und Weise lösen können. Oben im Text sind zu den Bewältigungsstrategien schon einige Beispiele gefallen. Hier hast du sie nochmal im Überblick: 

  • Meist lösen wir die innere Harmonie durch eine automatische Reaktion – durch das Zurechtbiegen der Sachlage. Damit veränderst du deine Einstellung, sodass sie zu deinem Verhalten passt. Du rückst dich ins richtige Licht.
  • Oder du machst es umgekehrt. Du löst das Problem durch eine veränderte Handlung in Richtung deiner inneren Einstellungen oder Wünsche.
  • Die dritte Möglichkeit ist, dich abzulenken und die Dissonanz auszuhalten. Die psychische Erregung kompensierst du zum Beispiel durch Entspannung, Sport oder mit Draußen in der Natur sein. Andere ausgleichsbringende Handlungen können auch helfen. In der Realität sind das leider oft einfach zu erreichende „Lösungen“ wie Alkohol. Nutze besser ein anderes, weniger schädliches Mittel.
  • Dann gibt es noch die Dissonanzvorbeugung: Bevor ein Ereignis eintritt, planst du vorher schon deine Ausreden, damit es sich weniger dramatisch anfühlt. Ein Beispiel dafür sind Prüfungssituationen, in denen du dir sagst, dass du nicht in Topform bist. Wenn du schlecht abschneiden solltest, hättest du schon eine Entschuldigung parat.

Du kannst dir jetzt deine kognitiven Dissonanzen bewusst machen und verschiedene Bewältigungsmethoden durchgehen. Wenn du genug Kraft hast deine Handlung in die positive Richtung anzupassen, ist das sehr gut. Wenn nicht, ist es nicht schlimm, denn du hast zumindest die Muster deiner kognitiven Dissonanz durchschaut. 

Utopia meint: Sei nicht zu streng mit dir selbst und gehe nicht zu hart mit dir ins Gericht. Kognitive Dissonanzen sind normal und werden dir immer wieder begegnen. Lass dich von diesen nicht verrückt machen. Perfekt nach deinen Werten zu leben, ist nur unter größter Anstrengung möglich und kann Stress und Burn-Out verursachen. Damit ist keinem:r geholfen. Auch wenn du die gute Absicht hattest, dein Leben möglichst nachhaltig zu gestalten. Ein Stück weit muss das auch spielerisch und unperfekt passieren, ohne den extremen Druck deiner Dissonanzen.

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