Der Klimawandel hat Sibirien längst erreicht. Schon seit Jahren warnen Wissenschaftler:innen vor Eisschmelzen und dem steigenden Meeresspiegel. Doch auch die Permafrostböden tauen immer weiter auf – und bringen unerwartete Gefahren mit sich.
Stündlich kracht es am Batagaika-Krater in Sibirien. Ganze Erdblöcke fallen von den Kraterwänden in das Erdloch, das sich im Permafrostboden Sibiriens gebildet hat.
Permafrost, so werden Böden bezeichnet, die seit tausenden von Jahren gefroren sind. Während die oberen Schichten durch die Sonneneinstrahlung auftauen und im Winter wieder einfrieren, bleiben die tieferen Schichten immer gefroren. Jedenfalls bis jetzt.
Denn der Batagaika-Krater wächst jedes Jahr – inzwischen ist er ein Kilometer breit und etwa 100 Meter tief. Damit ist er der größte Permafrostkrater der Welt, jedes Jahr wächst er um weitere zehn Meter. Und mit ihm auch die Risiken für Mensch und Umwelt.
Ein Sechstel der Erdoberfläche gilt als Permafrostgebiet
Ein Sechstel der gesamten Erdoberfläche gilt als Permafrostgebiet. Der gefrorene Boden ist teilweise sogar mehrere hundert Meter dick gefroren. Im nordöstlichen Teil Sibiriens reicht der Frost sogar bis circa 1,6 Kilometer ins Erdinnere. Doch was passiert, wenn dieser Dauerfrostboden auftaut?
Die Schichten von Permafrostböden bestehen aus toten Pflanzen und Tieren, die dort seit mehr als hunderttausend Jahren liegen. Weil sie von Eis umgeben sind, wurden sie noch nicht zersetzt.
Schmilzt dieses Eis, können sie von Mikroorganismen abgebaut werden. Dabei werden die Treibhausgase Kohlenstoff (trockener Boden) oder Methan (feuchter Boden) freigesetzt, die die globale Erderwärmung beschleunigen. Aber im Permafrostboden sind nicht nur tote Pflanzen und Tiere gefroren. Auch Krankheitserreger sind im Boden konserviert.
Ausgerottete Krankheiten ruhen in den Eisschichten
Im August 2016 starb ein zwölfjähriger Junge in Sibirien an Milzbrand. Weitere 70 Personen mussten im Krankenhaus behandelt werden. Dabei galt Milzbrand seit 75 Jahren als ausgerottet. Ganze Rentierherden starben, weil sie sich mit dem Erreger bacillus anthracis infiziert hatten.
Der Hintergrund der Tragödie: Wie der britische Guardian berichtet, war ein verstorbenes, infiziertes Rentier im Frost Sibiriens konserviert. Während der Hitzewelle von 2016 taute Permafrost auf – und mit ihm der Kadaver des Rentiers sowie die enthaltenen Erreger. So jedenfalls die Theorie.
Bakterien sind widerstandsfähige Erreger
Gefroren können Viren und Bakterien hunderttausende von Jahren überdauern. Vor allem Bakterien sind gefährlich, weil sie unter Stressbedingungen Sporen bilden können.
Sporen sind eine Überdauerungsform von Bakterien, bei der sie alle Stoffwechselprozesse auf ein Minimum reduzieren. Einfach gesagt, ist eine Spore eine kleine Bakterie in der Bakterie, die sich nicht mehr teilt und wartet, bis die äußeren Bedingungen sich verbessern. So können Bakterien hunderttausende Jahre überleben und sich dann wieder reaktivieren.
Stetige Koevolution von Mensch und Erreger ist wichtig für die Immunabwehr
Menschen und Krankheitserreger durchleben die Evolution gemeinsam. Je besser das Immunsystem Krankheitserreger erkennt und bekämpft, desto stärker verändern sich Keime, um die Wirte besser zu befallen. Ein Beispiel: Nachdem die Menschheit begann, Antibiotika einzusetzen, passten sich auch Bakterien an: Sie entwickelten Antibiotikaresistenzen.
Diese Art der Entwicklung wird als Koevolution bezeichnet. Doch was passiert, wenn der Mensch wieder in Kontakt mit Krankheitserregern kommt, die seit Jahrhunderten als ausgestorben galten? Oder solche, mit denen er nie in Berührung gekommen war?
Infektionen aus dem 18. Und 19. Jahrhundert können zurückkehren
Die Wissenschaftler:innen Prof. Dr. Boris Revich und Marina Podolnaya von der Russischen Akademie der Wissenschaften schrieben in einer Studie von 2011: „Infolge des Schmelzens des Permafrosts könnten die Überträger tödlicher Infektionen des 18. und 19. Jahrhunderts zurückkehren, insbesondere in der Nähe der Friedhöfe, auf denen die Opfer dieser Infektionen begraben wurden.“
Und tatsächlich haben Wissenschaftler:innen in Leichen, die 1918 in den Massengräbern in der Tundra Alaskas begraben wurden, Erbgut-Fragmente der Spanischen Grippe entdeckt. Auch andere Krankheitserreger, wie die für Pocken oder Beulenpest, sind wahrscheinlich in den Permafrostböden Sibiriens begraben. Tauen konservierende Eisschichten auf, können die Erreger Tiere und Menschen befallen.
Infektion von Tieren nicht automatisch eine globale Gefahr
Laut Dr. Alexander Sokolov, Stellvertretender Direktor an der Arctic Scientific Research Station in Russland, geht von solchen Erregern nicht automatisch eine globale Gefahr aus. „Wenn ein Polarfuchs infiziertes Fleisch isst, stirbt er höchstwahrscheinlich in zwei oder drei Tagen und hat keine Zeit, weit vom Epizentrum der Infektion entfernt zu sein.“, sagt Sokolov.
Jedoch beeinflusst die globale Erwärmung auch das Verhalten der Tiere. Viele Arten wandern in kältere Gebiete oder besetzen neue, die zuvor zu kalt für sie waren. Schon jetzt gibt es dramatische Veränderungen durch die globale Erwärmung.
Krankheitserreger können beim Menschen aggressiver sein
Wenn Tiere in wärmere Gebiete wandern, kommen sie mit anderen Arten in Kontakt und es entstehen neue Wechselwirkungen. Auf diese Weise können Krankheiten leicht von einer Art auf die anderen übertragen werden.
Außerdem können schnell übertragene Krankheiten beim Menschen sehr aggressiv wirken, wie es im Fall der Spanischen Grippe war. Studien zufolge handelte es sich bei dem Influenza Virus um einen Virus, der direkt von Vögeln auf den Menschen übertragen wurde. Damit waren die Veränderungen, die durch Erreger und Wirt-Wechselwirkungen entstehen, sehr gering und der Virus extrem aggressiv für Menschen.
Effektiver Klimaschutz ist wichtiger denn je
Mit Corona erleben wir gerade eine Pandemie, die uns stark einschränkt und vielen Menschen das Leben genommen hat. Wir können uns weitere Pandemien nicht erlauben. Doch wie es aussieht, wird es mit Sicherheit welche geben.
Aber noch ist es nicht zu spät, dem entgegenzuwirken. Wir müssen das 1,5° Ziel einhalten, damit das Schmelzen der Permafrostböden nicht noch weiter fortschreitet. Dafür müsste der CO2-Ausstoß bis 2030 deutlich sinken. Hier sind politische Maßnahmen gefordert, wie die CO2-Besteuerung von Unternehmen, der Umstieg auf erneuerbare Energien oder der Reduktion von Massentierhaltung. Aber jede:r Einzelne von uns kann auch etwas gegen den Klimawandel tun. Tipps dafür findest du hier.
Außerdem wichtig: Weitere Forschung, um die Gefahren zu kennen. Welche Erreger noch im Eis der Permafrostböden konserviert sind, ist unklar. Aber sie können für uns alle gefährlich werden.
Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.
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