Vier von fünf Bäumen in Deutschland sind laut der aktuellen Waldzustandserhebung krank. Baumexperte Peter Wohlleben sieht die Gründe dafür aber nicht nur im Klimawandel.
Als „entlarvend“ bezeichnet der deutsche Förster und Autor Peter Wohlleben die Waldzustandserhebung, die diese Woche für das Jahr 2023 vorgestellt wurde, im Gespräch mit Utopia. Dort werden Hitze, Dürre und Parasiten als Gründe dafür angeführt, dass mittlerweile nur jeder fünfte Baum gesund ist. Für Wohlleben, der oft als „Baumexperte“ bezeichnet wird, verraten vor allem die Zahlen zu den einzelnen Baumarten einen anderen Grund: „Der größte Teil der Bäume draußen ist nicht heimisch, dort wo er steht.“
Der Klimawandel ist laut Wohlleben also nicht hauptverantwortlich für den schlechten Zustand der Wälder. Er verschlimmere die Situation nur zusätzlich. „Momentan wird der Wald immer mehr zum Klimaopfer. Vor allem deshalb, weil die Forstwirtschaft nicht umschwenken will“, betont er. Diese sei nämlich dafür verantwortlich, dass Wälder gepflügt würden wie Äcker und die Böden infolgedessen weniger Regenwasser speichern könnten. Das Wasser benötigen sie aber für die trockenen Sommer – dadurch trocknen immer mehr Wälder aus.
Wohlleben: „Man kann einen Wald nicht umbauen“
Ein Warnsignal, das der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir (Bündnis 90/ Die Grünen) zum Anlass nimmt, große Veränderungen anzukündigen. „Wir müssen den Wald vielfältiger, strukturreicher und damit insgesamt widerstandsfähiger gestalten, um ihn für die Zukunft fit zu machen“, betonte er bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der neuen Erhebung. Allein in diesem Jahr sind deshalb insgesamt 250 Millionen Euro für den „Umbau von Wäldern hin zu klimaangepassteren Mischwäldern“ geplant, wie es auf der Internetseite der Bundesregierung zur Waldzustandserhebung heißt.
Wohlleben sieht das kritisch: „Das eine ist, man kann Wald nicht umbauen, weil Wald überhaupt nicht erforscht ist.“ Allein in Deutschland kenne man geschätzt 90 Prozent aller Bakterienarten nicht, sagt Wohlleben. Das habe eine norwegische Studie anhand der Entnahme und Untersuchung von Buchenwaldboden gezeigt. In diesem wurden mehr als 40.000 verschiedene Bakterienarten gefunden, viele davon unbekannt.
Da das heimische Ökosystem jedoch sehr empfindlich sei, könnten durch Störungen große Teile des Bodenlebens verhungern und möglicherweise Arten aussterben, die vielleicht den Wald retten könnten. „Und das Zweite ist das Thema Klimawandel. Für welches Klima sollen die Bäume denn fit werden? Das wissen wir ja gar nicht. Und man müsste es genau für den Ort wissen, wo der Baum gepflanzt wird.“ Aufgrund des Klimawandels sei aber nicht genau abzuschätzen, wie die Temperaturen sich in den kommenden Jahren in bestimmten Regionen Deutschlands konkret verändern werden.
Wald komme auf natürliche Weise zurück, sagt Wohlleben
Aber was tun, um den Wald zu schützen? Wohllebens Meinung: Nichts. Würde man die Wälder in Ruhe lassen, kämen sie von alleine überall zurück – das sehe man selbst an lebensfeindlichen Orten wie zwischen Bahngleisen oder auf Mauern. Und auch an Orten, die aktuell nur mit Monokulturen bepflanzt sind, sei es durchaus möglich, dass sich dort auf natürlich Weise auch andere Bäume ansiedeln. „Wir wissen eines und das ist auch gut belegt: Dass heimische Waldökosysteme momentan am resilientesten sind. Da wird ja oft gesagt, die Bäume sind zu langsam, das geht nicht so schnell. Doch, von einem Jahr aufs andere – das kann man beobachten.“
Özdemir sieht das anders. „Die Klimaveränderung ist so schnell und so massiv, dass der Wald sich auf natürliche Weise alleine nicht anpassen kann“, sagte er bei der Vorstellung des Berichts. Der Fokus der staatlichen Maßnahmen liegt deshalb nun vor allem auf Waldumbau und Wiederbewaldung bestehender Wälder, wie ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums auf Anfrage von Utopia mitteilte. Flächen neu zu bewalden sei zwar möglich und förderfähig, finde jedoch nur in geringem Umfang statt.
Weniger Fleischkonsum könnte die Wälder retten
Dabei glaubt Wohlleben, genau das könne die Lösung sein: „Wir müssen meines Erachtens Landwirtschaftsfläche in Wald zurückverwandeln.“ Ganz konkret schlägt er Äcker vor, die aktuell zum Anbau von Tierfutter genutzt werden. Möglich wäre das nur, wenn die Mehrheit der Bürger:innen ihren Fleischkonsum reduziert. Davon würden wir Menschen allerdings auch stark profitieren, da mehr Waldfläche Wohlleben zufolge auch zu deutlich kühleren Temperaturen führe. Der Förster verweist dabei auf eine US-Studie, die gezeigt habe, dass die Ostküste sich entgegen des globalen und kontinentalen Trends in Nordamerika abgekühlt habe – und führt das auf Aufforstung zurück.
Eine Maßnahme sieht Wohlleben dafür als unumgänglich: „Wir brauchen ein strengeres Bundeswaldgesetz.“ Das müsse ganz genau regeln, wer was im Wald tun darf und Fehlverhalten sanktionieren. Unwahrscheinlich ist das nicht, denn aktuell wird in der Politik schon intensiv darüber diskutiert. Ob es allerdings zu einer Einigung kommt und wie strikt das Gesetz dann letzten Endes ist, bleibt offen.
Zur Person
Peter Wohlleben ist deutscher Förster und Autor. Bekannt wurde er besonders durch sein Buch „Das geheime Leben der Bäume“ und den dazugehörigen Kinofilm. Seine Sicht, Bäume würden miteinander kommunizieren, wird indes von anderen Expert:innen häufig kritisiert. Wohlleben war bereits in zahlreichen Talkshows zu Gast, hat eine eigene Waldakademie gegründet und setzt sich öffentlich für den Schutz der Wälder ein.
Verwendete Quellen: Bundesregierung, National Library of Medicine
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